Phänomen läutet Sommer ein: Am 21. Juni leuchtet Eulen-Skulptur in Orihuela auf

Die Sonne sorgt an der Costa Blanca für manches Wunder. Am Abend der Sommersonnenwende verblüfft ein gotisches Kirchenportal Besucher mit einem rätselhaften Lichtspiel.
Orihuela – Dass das Licht der Costa Blanca in Spanien irgendwie besonders ist, wissen nicht nur heutige Sommer-Besucher. Siehe der Name Lucentum - „Stadt des Lichts“ -, den die Römer der Stadt Alicante gaben. Dieses Licht der Küste für ihre Werke anzuwenden, das vermochten geniale Künstler und Baumeister der Vergangenheit, etwa Gáston Castelló, der Maler aus Bronze. Im Hinterland-Tal Vall de Gallinera ist im Oktober und März ein Lichtspiel zu sehen, in dem Kosmos, Erde und Mensch eine wundersame Einheit eingehen. Am 21. Juni in Orihuela dagegen kündigt ein kleines, doch verblüffendes Phänomen den Sommer an. Am Abend der Sommersonnenwende beleuchtet die Sonne eine kuriose Skulptur am Portal der Kirche Santiago.
Costa Blanca: Sonnen-Phänomen kündet Sommer an
Als Zeit einer außerordentlichen Weisheit gilt der Sommer in unserer Kultur ja nicht. Vielmehr werden bevorzugt seichtere Urlaubslektüren für die Playa aufgeschlagen, das Kulturprogramm wird eher laut und schrill, politische Entscheidungen werden vertagt. Doch im Süden der Costa Blanca setzt ausgerechnet am Tag, der den Sommer eröffnet, die Weisheit ein durchaus sehenswertes Zeichen. Immer zur Sommersonnenwende am 21. Juni passiert es. Vor 20 Uhr versammelt sich eine Gruppe Besucher in Orihuela an der Kirche des Santiago. Alle Augen sind aufs gotische Portal gerichtet, genauer gesagt auf einen gewissen Punkt rechts oben vom steinernen Apostel. Die Sonne ist bereits am Untergehen, die Altstadt hat sich in Schatten gehüllt.
Doch da, die Überraschung. Ein Lichtkegel wandert am Abend der Sommersonnenwende über den Bauch der markanten Figur des Jakobsweg-Apostels Santiago entlang der massiven Kirchen-Tür und erfasst ein Schmuckelement. Auf einmal erstrahlt er zwischen den Pflanzenformationen auf dem Bogen, ohne jeden Schatten, ganz deutlich: Ein Vogel, genauer gesagt eine Eule. Jedes Jahr erntet die tierische Skulptur für dieses kurze Aufleuchten mit den letzten Frühlingsstrahlen Applaus . Und sie erhält – dank der Mystery- und Kuriositätensucher auf Sozialen Netzwerken – eine wachsende Zahl von Online-Klicks. Aber was hat es mit dem Sonnen-Phänomen an der Santiago-Kirche in Orihuela auf sich?
Durchblick und Überblick: Applaus für den Kauz
So genau weiß es in der Stadt im Süden der Costa Blanca niemand. Das gotische Portal der Kirche entstand jedenfalls in der ersten Bauphase im 15. Jahrhundert, noch in der Zeit von Spaniens Katholischer Könige. Der Apostel Santiago geweihte Tempel gilt in der Bistumsstadt als besonders reich an Kunstschätzen - mit Baustilen, hochwertigen Gemälden und Skulpturen aus der Gotik, der Rennaissance bis zum Barock. Bisher fehlen Forschungen dazu, ob der erste Baumeister den Effekt mit der beleuchteten Eulen-Skulptur absichtlich so gesetzt haben könnte. Fest steht, dass sich Menschen der Vergangenheit die Mühe gemacht haben, das Sonnen-Phänomen zur Sommersonnenwende genau zu beobachten und über Jahrhunderte weiterzugeben.
Hin und wieder ist im Bezug auf das Sonnen-Phänomen am gotischen Kirchenportal von obskuren Freimaurer-Zusammenhängen zu hören. Wahrscheinlicher jedoch – das erklärt Orihuelas Museum für sakrale Kunst – ist die Eule an ihrem Platz ein tief in die Vergangenheit reichendes Symbol. Und zwar für nicht weniger als die Weisheit. Denn anders als bei uns der sprichwörtliche seltsame Kauz, erntete das nachtaktive Tier in antiken Zeiten jede Menge Respekt für seine vielen Begabungen. Das gute Sehen im Dunkeln etwa – sozusagen der Durchblick, selbst wenn andere nichts sehen. Oder das Drehen des Kopfes um sagenhafte 270 Grad – also eine panoramische Übersicht über die Dinge.
Die Eule auf der Euro-Münze: Kauzige Weisheit
Diese Eigenschaften machten die Eule in der Antike zu einem hochgeschätzten Symbol. Eine feste Begleiterin war die Eule für Weisheitsgöttin Athene. Daher war der Vogel im alten Griechenland unter anderem auf Münzen geprägt und dadurch omnipräsent (Stichwort „Eulen nach Athen tragen“). Noch heute grüßt der Uhu - ähnlich wie Europa, die entführte Königstochter - von Griechenlands Euro-Münzen. Und so flatterte der begabte Nachtvogel bis zum Kirchenportal des Apostels Santiago in Orihuela. Hier erinnert die steinerne Eule nunmehr am längsten Tag des Jahres an die tiefen mediterranen Wurzeln der Christenheit. Und an deren (allzu oft im Schatten verborgene) Weisheit.