Chronisten, übrigens bis heute, sprechen vom Beginn des sozialen Wohnungsbaus und der organisierten Städteplanung in Spanien. Allerdings wirft die Art und Weise der Hilfs- und Wiederaufbauaktionen ein eher trauriges Licht auf fast mittelalterliche Machtgefüge, in denen die Bevölkerung auf die Spendengnade eines Königs und seiner Adeligen sowie die Mildtätigkeit der Kirche angewiesen war. Die Bewohner haben es vor allem den Persönlichkeiten und der professionellen Arbeitsteilung von Bischof Herrero und dem liberalen Ingenieur Larramendi zu verdanken, dass der Aufbau voranging.
Wenn in diesen Tagen Almoradí und Torrevieja dem Beben von vor 190 Jahren mit Veranstaltungen und Events gedenken, feiern zwei ungebetene Gäste mit: die Angst und das schlechte Gewissen. Beide werden verdrängt. Für Wissenschaftler ist es Gewissheit, dass ein starkes Beben wiederkommen wird und sie warnen seit Jahren vor Überbebauung, fordern Mäßigung und höhere Standards in der Bausicherheit. Vergebens.
„Der unglückliche Henrique, Zeuge von Leid und Untröstlichkeit, versuchte mit tausenden Zärtlichkeiten die sterbenden Augen Florentinas wieder zu öffnen, um noch einmal die Geliebte anblicken zu können, er kreuzte seine Arme um sie, ihren schwachen Atem zu spüren. Ein schreckliches Rütteln und die Erde öffnet sich und verschluckte die beiden Liebenden und mit ihnen verschwinden ihre jungen Seelen.“
Der korruptionsgetriebene Bauwahn der letzten 60 Jahre duldete weder Aufschub noch Vernunft, und das aus ihm entstandene Meer an Urbanisationen, das heute weite Teile der Vega Baja prägt, ist nicht nur hässlich und Ressourcen gefährdend, sondern auch gefährlich.
Die Uni Alicante hat es in einer interdisziplinären Studie 2011 auf den Punkt gebracht: Alles, was vor den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts errichtet wurde, hat überhaupt keinen Erdbebenschutz. Erst seit 1992 gibt es Vorgaben, die aber laut Experten nicht nur unzureichend sind, weil sie die spezifischen geologischen Eigenschaften des Baugrunds nur ungenügend abdecken, sondern deren Umsetzung schlicht kaum kontrolliert wurde. Das gleiche gelte für die Stadt- und Raumplanung. 1842 lebten in Torrevieja 3.800 Menschen, heute sind es offiziell 82.000, im Sommer dreimal mehr.
Wie auf der Karte des Nationalen Geografischen Instituts ersichtlich, ist der Süden der Provinz, einschließlich Teilen von Murcia, Hochrisikogebiet für Erdbeben – neben Granada das am meisten gefährdete Gebiet Spaniens. Beide liegen zwischen afrikanischer und eurasischer Platte, deren Verwerfungen hier nahe an die Oberfläche gelangen, 40 bis 50 Kilometer.
Das Nationale Geographische Institut ING ist in Spanien die Referenz zum Thema Erdbeben:
Die Forscher fanden für die Gegend eine Art Rhythmus starker Beben: 1048 Orihuela, 1396 bei Gandía mit mindestens 6,5, 1644 bei Alcoy, 1748 nördlich von Játiva, 1829 Vega Baja, 1884 zwischen Málaga und Granada mit 800 Toten, 1919 Vega Baja. 2003 mit 5,8 in Petrer, das jährlich um die 700 kleine Erschütterungen verzeichnet. 2011 starben bei einem Beben der Stärke 5,1 bei Lorca neun Menschen, 300 wurden verletzt. Der Süden Alicantes ist aus seismologischer Sicht längst „überfällig“.
Ist ein schweres Erdbeben wie in der Türkei und Syrien auch in Europa, in Spanien möglich?