Home-Office als Gefahr: Näherinnen aus Elche warnen vor Coronavirus-Arbeitsreform
Die Coronavirus-Krise hat in Spanien das Arbeiten von zu Hause aus vervielfacht. Ein Kollektiv aus Elche warnt vor einem Boom der Schwarzarbeit - und spricht aus Erfahrung.
- Näherinnen aus Elche warnen: Coronavirus führe zu Schwarzarbeit und Verletzungen von Arbeiterrechten.
- Arbeiterinnen vergleichen Covid-19-Krise mit Ölpreiskrise vor 40 Jahren, seit der sie zu Hause arbeiten.
- Bis heute kämpfen Näherinnen des Schuhsektors der Costa Blanca um Anerkennung und faire Verträge.
Elche – Das Zuhause ist der Arbeitsplatz der Coronavirus-Stunde. Die Regierung von Spanien will das Home-Office auch für die Zeit nach Covid-19 mit einem neuen Gesetz regulieren. Darauf einigte sich Madrid mit Gewerkschaften. Doch idealisieren sollte man das Arbeiten von Zuhause aus nicht, sagt eine Gruppe Frauen, die sich gut damit auskennt: Die Näherinnen aus der Stadt der Schuhe an der Costa Blanca: Elche. Leicht könne die Arbeitsform Schwarzarbeit fördern und Arbeiterrechte verletzen, warnt ihr Verein Aparadoras de Elche. Wie die Näherinnen darauf kommen? Sie sprechen aus Erfahrung.
Denn vor langer Zeit hätten die Schuhnäherinnen schon ihre Wirtschaftskrise erlebt, bei der Angestellte zum Arbeiten nach Hause wechselten: „In der Ölpreiskrise 1979 sandte man uns Frauen mit unseren Nähmaschinen heim – danach folgten die Schneider. Und nun folgen die Menschen mit den Computern“, schrieben die Aparadoras zu den Plänen aus Madrid. Im Schuhsektor am Fluss Vinalopó sei die Arbeit von zu Hause aus „seit 40 Jahren reguliert“, so der Verein. „Aber das heißt nicht, dass die Bedingungen eingehalten werden – wie die Gewerkschaften gut wissen.“
Zwei Euro pro Stunde: Coronavirus-Krise brachte viele Näherinnen um ihre kümmerlichen Gehälter
Seit zwei Jahren prangern die Arbeiterinnen ihre Lage in einer organisierten Vereinigung an. An die 7.500 Frauen seien in der Zone Elche bis Villena, die 70 Prozent der Schuhe Spaniens herstellt, illegal angestellt. Tausende weitere hätten zwar einen Vertrag, aber keinen angemessenen zu ihrer faktischen Arbeit. Mit Covid-19 könnte die Schattenwirtschaft an der Costa Blanca (siehe Tweet oben) einen Schub bekommen, befürchten die Näherinnen. Daher fordern sie Politik und Gewerkschaften wieder zum Handeln auf.
Immerhin gab die Coronavirus-Krise ihnen die Chance, sichtbarer zu werden: Im April machten die Aparadoras Schlagzeilen, als sie Masken gegen Sars-CoV-2 nähten. Viel Applaus brachte ihnen das ein – mehr aber auch nicht. „Was ist, wenn diese Frauen bald nichts zu essen haben?“, fragte Isabel Matute, Vorsitzende der Vereinigung, in einer Stellungnahme. Denn: Die Pandemie führte zur Schließung von Betrieben, große Bestellungen wurden abgesagt, zeitweise blieben tausende Frauen ohne ihre sowieso kümmerlichen Gehälter von zwei oder drei Euro die Stunde.

Schuhindustrie wurde dank Eisenbahn zum wirtschafltichen Motor der Costa Blanca
Hintergrund: Die Schuhindustrie wurde mit dem Import der Nähmaschine und dem Bau der Eisenbahnlinie Ende des 19. Jahrhunderts zum wirtschaftlichen Motor der Costa Blanca. Bis heute gilt das Tal des Flusses Vinalopó mit den Orten Elche, Elda, Petrer, Villena, als Tal der Schuhe. In Elche kann man im Industriegebiet in Torrellano auf einer Outlet-Route Schuhe einkaufen, in Elda steht ein Schuhmuseum. Das Coronavirus traf mit China und Italien früh wichtige Abnehmer der Schuhe von der Costa Blanca, die heute oftmals in Billiglohnländern, aber auch in Elche und Co. in stillen Kämmerlein entstehen.