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Für einen würdigen Tod: Deutsche nimmt Sterbehilfe in Spanien in Anspruch

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Von: Susanne Eckert

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Eine Seniorin sitzt nachdenklich im Rollstuhl
Sterbehilfe in Spanien: Wenn man ständig unter Schmerzen leidet, ist das Leben sehr hart. © Ángel García

Als erste Patientin an der Costa Blanca hat eine Deutsche in Spanien Sterbehilfe in Anspruch genommen. Ihre Tochter gewährt Einblick in die Gründe und Abläufe.

Jávea – „Meine Mutter hat es nicht mehr ausgehalten vor Schmerzen. Und das trotz der Opiate“, erinnert sich U.W. (Namen der Redaktion bekannt), Tochter der ersten Patientin, die an der Costa Blanca in Spanien Sterbehilfe in Anspruch nahm. „Es ist mir wichtig, dass die Menschen erfahren, wie das alles abläuft“, sagt die Deutsche. Ihre Mutter G. W. war 88 Jahre alt und seit vielen Jahren Schmerzpatientin.

Sterbehilfe in Spanien: Chronische Schmerzen quälen Deutsche

Die Hochbetagte war eine starke, selbstbestimmte und lebensfrohe Frau, die stets auf ihr Aussehen achtete. Fotos zeigen sie noch kurz vor Ostern mit strahlendem Lächeln am Strand an der Costa Blanca. Ihre chronischen Schmerzen steckte die Deutsche weg, um die letzten Jahre in ihrem Paradies – Jávea an der Costa Blanca – zu genießen. Doch ihre Augen wurden sehr schlecht, sie konnte die Hände nicht mehr gebrauchen und litt unter Inkontinenz. In der Zeit half ihr der Pflegedienst in Spanien – auch psychisch. „Aus der Pflege hat sich eine Freundschaft entwickelt“, erzählt Andrea Fass vom Pflegedienst. „Wir waren spazieren, Eis essen und ich habe sie gestylt.“ Die 88-Jährige war gerade Uroma geworden und sah sich immer wieder die Fotos ihres Urenkels an.

Doch nach einem Sturz am Ostersamstag war es, als sei ihre Lebenskraft plötzlich aufgebraucht. Selbst die Opiate halfen nicht mehr gegen die Schmerzen. Die Seniorin sagte zu ihrer Tochter immer häufiger, sie sei am Ende, habe keine Lebensqualität mehr. Kurz, sie wollte nicht mehr leben. Für solche Fälle gibt es das spanische Gesetz zur Sterbehilfe (Lore), das vom Parlament nach langem Tauziehen am 18. März 2021 verabschiedet wurde und drei Monate später in Kraft trat. Nach Belgien, Luxemburg und den Niederlanden ist Spanien das vierte EU-Land, in dem unter bestimmten Umständen die aktive Beihilfe zum Sterben straffrei ist. Die Kosten werden von der Krankenkasse übernommen.

Sterbehilfe in Spanien: Tochter verhindert Selbstmord der Schmerzpatientin

Doch wie setzt man so ein Gesetz in die Tat um? Sterbehilfe war in der Familie nie ein Thema gewesen, sie hatten keinerlei Erfahrung damit. Also nahm die Deutsche die Dinge erst mal selbst in die Hand, sammelte blutverdünnende Medikamente und schnitt sich die Pulsadern auf. „Das war wirklich schrecklich“, erinnert sich ihre Tochter, die sie gerade noch rechtzeitig im Badezimmer ihres Hauses an der Costa Blanca fand. Ihre Mutter reagierte auf die Einlieferung ins Krankenhaus ungehalten: „Lasst mich doch einfach in Ruhe sterben, ich will gehen“, rief sie. „Das war sehr heftig“, erinnert sich ihre Tochter bewegt. „Es ist sehr schade, aber es war eben ihr Wunsch“, sagt ihre Betreuerin vom Pflegedienst in Spanien. „Ständige Schmerzen zermürben und dann auch die Perspektivlosigkeit. Es wurde ja immer schlimmer.“

Da man ihr kein Gehör schenkte, trat die Hochbetagte in den Hungerstreik. „Anfangs wollte sie nicht einmal mehr was trinken“, berichtet ihre Tochter. Die 88-Jährige war so fest entschlossen, dass Marina Salud, der private Betreiber der öffentlichen Gesundheitsversorgung im Marina-Alta-Kreis an der Costa Blanca, schließlich den Sterbehilfe-Plan in Gang setzte. „Das ist ein großer verwaltungstechnischer Aufwand für das Gesundheitszentrum und das Krankenhaus in Dénia“, berichtet die Tochter. „Aber das muss es ja auch sein.“ Marina Salud habe alles perfekt gemacht – obwohl es ja der erste Fall im Kreis gewesen sei und keiner Erfahrung hatte – und dabei viel Menschlichkeit gezeigt.

Sterbehilfe in Spanien: Ablauf streng geregelt

Zunächst wurde untersucht, ob die Deutsche wirklich ohne Aussicht auf Besserung unerträgliche Schmerzen litt und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war. Denn sie hatte keine Patientenverfügung in Spanien unterschrieben. Dann wurde sie ausführlich über das Vorgehen bei der Sterbehilfe informiert und unterschrieb den Antrag. Wer keine spanische Staatsangehörigkeit hat, muss übrigens eine Residencia vorweisen oder einen Beleg, dass er oder sie seit über zwölf Monaten in Spanien lebt. Der Gesetzgeber hat zudem versucht, mit Fristen und mehrfacher Wiederholung des Antrags auf Sterbehilfe einen Missbrauch auszuschließen. Niemand soll aus einer Kurzschlussreaktion heraus handeln. Ein erster Antrag richtet sich an den behandelnden Arzt. Die Einschätzung weiterer Ärzte wird hinzugezogen, anschließend muss eine Expertenkommission zustimmen. Wenn sie das tut, geht die Mitsprache des Patienten weiter. Er entscheidet, wo, wann und wie, ob mit Tabletten oder Injektion, ob allein oder in Begleitung einer Fachkraft, ob mit dem privaten oder öffentlichen Gesundheitssystem Sterbehilfe geleistet wird.

Der ganze Entscheidungsprozess an der Costa Blanca hat sechs Wochen gedauert, in denen die deutsche Schmerzpatientin ihren Antrag wiederholt bestätigen musste. „Denn sie hatte bis zum letzten Moment das Recht, ihre Meinung zu ändern“, versichert die Tochter. Auch die Familie des Patienten wird in Spanien nach ihrer Meinung befragt. „Ich habe das schweren Herzens unterstützt“, sagt die Tochter. „Denn sie zählte ja schon die Tage bis zu ihrem Termin.“ Die Sterbehilfe wird zu Hause geleistet, nicht im Krankenhaus und auch nicht in einem Heim. Sowohl den Transport nach Hause, als auch die Beerdigung muss die Familie selbst organisieren. „Wir haben meine Mutter hübsch gemacht, das Zimmer mit Blumen und Kerzen dekoriert und ihre Lieblingsmusik aufgelegt“, sagt die Tochter. Dann seien auch schon der Arzt und die Palliativschwester gekommen.

Friedlicher Abschied: In Spanien jetzt eine legale Möglichkeit

Für die Tochter war es die erste nahe Konfrontation mit dem Tod, sie hatte eine extrem enge Beziehung zu ihrer Mutter. „Ich hatte zunächst Angst und Bedenken, dass es zu Hause stattfand. Doch es war wirklich das Beste“, sagt die Deutsche. „Ich befürworte die Sterbehilfe. Der Selbstmordversuch meiner Mutter war schrecklich für mich. Am Tag der Sterbehilfe war der Pflegedienst an unserer Seite und natürlich das Sterbehilfe-Team. Der Arzt und die Schwester sind genau einem Protokoll gefolgt. Sie waren menschlich und professionell sehr gut, meine Mutter ist sofort eingeschlafen.“ Man habe den beiden Spaniern angesehen, dass es ihnen nicht leichtfiel. „Ein Arzt gerät bei Sterbehilfe in einen Gewissenskonflikt, er verstößt ja gegen den Hippokratischen Eid“, sagt die Tochter. Dieser Eid, in dem der Arzt sich unter anderem verpflichtet, dem Patienten nicht zu schaden, bestimmt auch heute noch die ärztliche Ethik.

„Es war ein friedlicher Abschied“, meint die Betreuerin vom Pflegedienst. „Für mich ist es furchtbar, wenn einer meiner Patienten nicht mehr leben möchte. Mein Ziel ist es ja, Menschen zu helfen und ihnen Lebensqualität zu schenken.“ Doch die Entscheidung liege beim Patienten. „Es gibt einige, die kämpfen bis zum letzten Atemzug, und andere, die ein Ende machen wollen“, sagt die Deutsche. „Es ist gut, dass es jetzt in Spanien diese legale Möglichkeit der Sterbehilfe gibt. Jedes Tier wird erlöst, nur der Mensch soll alles aushalten.“ Die Hochbetagte wurde verbrannt, das Bestattungsinstitut kümmert sich darum und behält die Urne maximal drei Monate lang. „Wenn mein Bruder kommt, beerdigen wir sie in unserem Garten“, schließt die Tochter traurig.

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