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Schandfleck im spanischen Ferienparadies: Gemeinde in Andalusien lässt Hüttenviertel abreißen

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Von: José Antonio Nieto

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Eine mit einem Koffer und einer vollen Plastiktüte bepackte Person geht auf einen Bus zu.
Neuanfang fast bei Null: Aus seinem alten Leben in Spanien konnte dieser Migrant nicht viel retten, mehr besaß er womöglich auch nicht. © Carlos Barba/EFE

Die bereits seit Jahrzehnten existierende Hüttensiedlung Walili in Andalusien ist abgerissen worden. Hunderte Migranten, die sie bewohnten, mussten ihre menschenunwürdigen Behausungen mit ihrem wenigen Hab und Gut verlassen.

Almería - Neben der Hochburg El Ejido hat sich Níjar mehr und mehr zum zweiten großen Pol des Agrarsektors der Provinz Almería in Andalusien entwickelt. Die Zahl der Betriebe und Plantagen in der Gemeinde nimmt stetig zu, was immer mehr Arbeitskräfte anlockt, insbesondere afrikanische Immigranten. Viele der Erntehelfer, da oft prekär beschäftigt und gering entlohnt, finden keine für sie bezahlbare Wohnung – oder keinen Vermieter, der ihnen eine vermieten will.

Hüttenviertel abgerissen: Bewohner müssen Siedlung in Spanien mitten in Kältewelle verlassen

So entstanden in der Gemeinde Níjar auch immer mehr Hüttenviertel, mit rudimentären Behausungen, ohne Anschluss an Kanalisation, Wasser- oder Stromnetz und auch ohne Müllabfuhr. Eines der größten und ältesten, in dem vor allem Erntehelfer aus dem Maghreb – fast ausschließlich Männer – notdürftig hausten, mitunter schon seit über 20 Jahren, war die am Ortsrand von Los Nietos gelegene, als Walili bekannte Hüttensiedlung. Sogar über eine improvisierte Moschee und einen Friseur verfügte Walili, um den Bewohnern die Illusion eines normalen Dorflebens in Spanien zu vermitteln.

Seit Ende Januar existiert Walili nun nicht mehr. Das Rathaus in Níjar hatte die Zwangsräumung beschlossen und diese den Bewohnern auch schon vor Monaten angekündigt. Der Schritt erfolgte im Einvernehmen mit den übergeordneten Administrationen, der andalusischen Landesregierung und der spanischen Zentralregierung. Und auch mit dem Segen der Justiz. Als Stichtag für den Abriss der Siedlung war der 30. Januar angesetzt worden, und die Frist wurde eingehalten. Am frühen Morgen bereits starteten die Arbeiten, noch vor dem Mittag waren sie auch schon beendet, stand keine Hütte mehr und waren von der einstigen Hüttensiedlung Walili nur noch Plastik- und Palettenreste übrig. Mitten in der landwirtschaftlichen Anbausaison, in der mehr Migranten dort zugegen sind. Und auch mitten in einer Kältewelle im Süden von Spanien.

Zwangsräumung auf Wunsch der Wirtschaftslobbys? Kritische Stimmen zur Hüttensiedlung in Spanien

Für die mit der Maßnahme überhaupt nicht einverstandene Landarbeitergewerkschaft Soc-Sat hat das Rathaus bloß dem Wunsch der Agrar- und auch der Tourismuslobby entsprechen wollen. Für die Urlauber sei das Hüttenviertel, an einer der in den Naturpark Cabo de Gata führenden Straßen, kein schöner Anblick gewesen. Und den Agrarunternehmern in Andalusien dürfte die Existenz von Walili, wenn sie ihre Kunden oder Geschäftspartner aus dem Ausland empfangen, wohl peinlich gewesen sein.

Ein vermülltes Gelände aus der Vogelperspektive.
Von der Siedlung Walili in Andalusien sind nur noch Reste von dem Plastik und Holz übrig geblieben, aus dem die Hütten errichtet worden waren. © Rathaus Níjar

Die Bürgermeisterin von Níjar, Esperanza Pérez (PSOE), führt indes ganz andere, löblichere Gründe für den Abriss der Hütten im Süden von Spanien an: die dortigen menschenunwürdigen Lebensverhältnisse, mangelnde Hygiene sowie eine erhöhte Unfall- und Brandgefahr durch illegal verlegte Stromanschlüsse. Wofür die Sozialistin kein Verständnis aufbringt, ist, dass diese Umstände seit Jahrzehnten geduldet wurden, die Politik stets wegschaute und nie jemand gegen das Elend der Slum-Bewohner vorgegangen war.

Betroffene Migranten: Rathaus verspricht Erntehelfern in Andalusien alternativen Wohnraum

Deshalb setzte sich die Kommunalregierung schon vor längerem zum Ziel, alle Hüttenviertel in Níjar zu beseitigen. Aber nicht, ohne den Erntehelfern alternativen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Andalusiens Landes- und Spaniens Zentralregierung gewährten der Gemeinde bereits Anfang 2022 eine Subvention in Höhe von 1,6 Millionen Euro, um in Los Grillos ein Gebäude mit 62 Wohnungen zu errichten, die zu Vorzugsmieten an in der Landwirtschaft tätige Migranten vermietet werden sollen. Für eine provisorische Unterbringung bietet zudem eine Herberge 80 Personen Platz.

Mehrere NGOs, darunter die andalusische Menschenvereinigung Apdha, die sich mit linken Parteien und weiteren Kollektiven zu der Protestbewegung „Derecho a Techo“ (Recht auf ein Dach) zusammengeschlossen hat, werfen der Bürgermeisterin jedoch vor, ihre Versprechen nicht einzuhalten. Den Erntehelfer aus der geräumten Hüttensiedlung stelle das Rathaus eben nicht eine würdige Wohnalternative bereit, zumindest nicht allen. So hätten viele der rund 500 Bewohner von Walili auf andere Hüttenviertel ausweichen müssen. Nicht zuletzt auch, weil sie in der Nähe ihrer Arbeitsplätze verweilen wollen, die abgelegen liegen und nicht mit öffentlichen Transportmitteln zu erreichen sind.

Nicht nur Kritik nach Räumung von Hüttensiedlung: Karitative Organisationen unterstützen Vorgehensweise

Bürgermeisterin Esperanza Pérez wiederum wirft den mit ihrer Vorgehensweise kritischen Organisationen eine Unkenntnis der Lage vor Ort vor. Und verweist zu Recht darauf, dass lokale NGOs, die sich seit Jahren in den Hüttenvierteln um deren Bewohner kümmern wie das Rote Kreuz, Almería Acoge, Fundacion Cepaim oder Ärzte ohne Grenzen, die Initiative des Rathauses unterstützt und von Anfang an mit begleitet haben. Ebenso wie die Universität Almerías. Und sogar die EU habe das Vorgehen der Gemeinde positiv gewürdigt.

Ein Feuerwehrmann löscht eine in Brand gesteckte Hütte.
Zwei Mal musste die Feuerwehr eingreifen, weil Bewohner des Slums während seiner Räumung Hütten in Brand steckten. © Carlos Barba/EFE

Die Zahl der Bewohner der rund 200 Hütten in Walili schraubt das Rathaus auch herunter auf etwa 250. Dies entspreche zumindest der Zahl der Personen, die vor der Zwangsräumung von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten, im Sozialamt eine Wohnalternative zu beantragen. Einige von ihnen aber, räumt die Bürgermeisterin ein, hätten auf eigene Faust nach Alternativen gesucht und seien schon vor dem Abriss ihrer Hütten bei Freunden oder Verwandten untergekommen.

Räumung der Siedlung nicht ohne Zwischenfälle: Feuerwehr muss wegen Bränden intervinieren

In die neuen Wohnungen in Los Grillos, die Platz für etwa 150 Personen bieten, konnten die obdachlos gewordenen Bewohner von Walili letztlich aber nicht verlegt werden, da diese nicht rechtzeitig fertig wurden und noch keine Wasser- und Stromversorgung haben. So mussten sie provisorisch in eine Lagerhalle gebracht werden, in der eine Notunterkunft mit 300 Schlafplätzen eingerichtet worden ist.

Trotzdem seien Räumung, Abriss und Verlegung der Betroffenen problemlos und recht friedlich verlaufen, meint Pérez. Ganz so harmonisch, wie die Bürgermeisterin konstatiert, ging das Ganze am Ende aber doch nicht vonstatten. Nicht zum ersten Mal brannte es in der Siedlung, diesmal aber brachen die Feuer nicht ungewollt aus, sondern waren mutwillig entfacht worden. Die ohnehin anwesende Feuerwehr, die gleich zweimal intervenieren musste, konnte die Flammen aber rasch löschen, sodass niemand verletzt wurde.

Zur Gewährleistung der Sicherheit waren auch Guardia Civil und Ortspolizei präsent. Mit etwa 60 Einsatzkräften, hebt Unidas Podemos hervor, während das Rathaus nur eine Sozialarbeiterin entsandt habe, moniert die im Gemeinderat oppositionelle Partei, die auch eine mangelnde Information der Betroffenen beklagt. Viele der Bewohner der Siedlung, die zum Teil auch kein Spanisch verstehen, hätten nicht gewusst, was nun mit ihnen geschehen soll oder wohin sie gebracht werden sollten. Weshalb sich so einige auch nicht getraut hätten, in die für sie bereit stehenden Busse einzusteigen.

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