Es kam anders, die Alliierten landeten in Italien und in der Normandie. Doch so töteten deutsche Bomben auch noch über zwei Jahre nach Kriegsende Menschen. Im Unterschied zum relativ sicher zu lagernden TNT, im Zweiten Weltkrieg quasi Standard, bestanden die Wasserbomben auch aus Nitrozellulose, vulgo Schießbaumwolle, die als Zündbeschleuniger verarbeitet war. Allerdings destabilisiert sich die Verbindung, ein Salpetersäureester, ab 30 Grad schnell, zersetzt sich in einer exothermen Reaktion, setzt also Hitze frei.
Als ein riesiger orangefarbener Feuerball Himmel und Erde zerriss, es war kurz vor zehn Uhr abends, also beste spanische Abendessenszeit, dachten viele zunächst an eine Atombombe, denn der Rauch formte sich zu einem riesigen Pilz über Stadt und Hafen. Die Ausmaße der Katastrophe, die für Cádiz mit dem Tsunami nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 die größte der neueren Geschichte wurde, lassen sich nur erahnen: Druckwelle und Feuer machten das Fischer- und Matrosen-Barrio San Severiano dem Erdboden gleich, die Viertel Barriada España und Bahía Blanca wurden schwer zerstört, die Armensiedlung Campo de la Mirandilla fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Schwere Zerstörungen erlebte das Waisenhaus Hogar del Niño Jesús und das Krankenhaus Madre de Dios. Selbst das Dampfschiff Plus Ultra, 1,5 Kilometer vor der Küste, bekam einen Trümmerregen ab.
Die Bilanz war apokalyptisch: Offiziell 150 Todesopfer, darunter sehr viele Kinder, waren zu beklagen. Zeitzeugen sprechen von „viel, viel mehr“, von Tagelöhnern, Armutsflüchtlingen, die rund um den Hafen lagerten. Ihre Kadaver habe man einfach auf Lkws verladen und irgendwo verscharrt, glauben Angehörige einer Opferorganisation, die bis heute gegen das Vergessen dieser menschengemachten Katastrophe ankämpft.
5.000 Verletzte wurden mehr geschätzt als gezählt, 2.000 Häuser hatten Schäden erlitten, 500 davon mussten ganz abgerissen werden. Die Tore der Kathedrale wie der Stierkampfarena wurden durch den Druck regelrecht aufgesprengt. Nur die massive Stadtmauer verhinderte noch mehr Tote in der unmittelbaren Altstadt. Die Franco-Behörden kehrten den Heroismus der Helfer in Uniform hervor, hielten sich hinsichtlich der Ursache aber vornehm zurück, ganz vertuschen konnten sie sie nicht. Es wurden provisorische Wohnviertel zusammengezimmert, Wohnungen, die bis heute vor sich hin schimmeln und auseinanderfallen.
Eine Entschädigung für das Leid und die Verluste verweigerte das Franco-Regime ebenso wie deren demokratische Nachfolger. Viele ähnliche Unfälle, Brände, Explosionen, Zugunglücke, vor allem in den 1940er Jahren, schoben Francos Lautsprecher gern „Kommunisten“, Republikanern, Saboteuren des Untergrunds in die Schuhe und hatten so neue Anlässe für Verhaftungswellen und Hinrichtungen. Die Ursache der Explosion von Cádiz konnten sie nicht verschleiern, das Leid der Opfer aber schon.
Zum Thema: Nuklearunglück von Palomares - Unfallzone 56 Jahre später noch immer verstrahlt.