Málaga boomt seit einiger Zeit, Touristen, Hafen, 500 IT-Firmen sind der Stolz der Stadt. Die Mieten steigen schneller als in Madrid und der Stadtchef will sich längst nicht mehr mit Provinznestern wie Valencia vergleichen, sondern „neben Madrid und Barcelona zum dritten großen innovativen Ballungszentrum Spaniens“ werden. Welthafen, Logistikcenter für Südeuropa, Tor nach Afrika, Europas Silicon Valley, neue Start- und Landebahn am Airport, sind inflationär gebrauchte Superlative des Augenblicks. Tourismus-Mekka ist man sowieso.
Málaga konkurriert mit Phuket in Thailand, Belgrad in Serbien, San Carlos de Bariloche in Argentinien und Minnesota, USA, um die Weltausstellung 2027. Aus de la Torres Sicht keine Konkurrenz, auch Pedro Sánchez meint, „keine Stadt ist besser geeignet für die Expo als Málaga“. Was soll er auch sonst sagen? 2,9 Milliarden Euro Direktinvestitionen sind geplant, das meiste davon erhofft, elf Millionen Besucher kommen mindestens, 31.000 Arbeitsplätze soll das Projekt schaffen. Der gesamte „economical impact“ liege bei knapp 18 Milliarden Euro.
Herz der Expo Málaga soll ein 80 Hektar großes Grundstück unweit von Airport, Tech-Park und Uni-Campus werden. Also das Modell Sevilla 1992, nicht 1929. Auf einem Viertel davon werden die Pavillons errichtet, der Rest soll von Wasser und Grün durchflutet sein sowie von Veranstaltungsräumen, möglichst alles Open Air – chic, intelligent und öko. „Was gebaut wird, wird Teil der Zukunft der Stadt werden“, versichert de la Torre. Denn „Nachhaltigkeit“ und „umweltfreundliche Stadt“ sind die Schlüsselworte für die Bewerbung.
Davon ist Málaga weit entfernt und unfähig, das bis 2027 zu ändern, sind sich Kritiker sicher. Allen voran unabhängige Stadtplaner und von Gentrifizierung, Lärm, Müll, Delogierungen und urbanistischem Chaos geplagte Anwohnervereine einer Stadt, deren Zentrum zur Airbnb-Wüste verkommt, einer Stadt, in der gigantische Hochhäuser für Besserverdiener hochgezogen werden, eine Stadt, die wöchentlich neue Baulizenzen genehmigt und deren Grünflächen-Quote pro Bewohner zwei Drittel unter EU-Schnitt liegt.
Doch vielleicht ist genau diese Gemengelage die passende Grundlage für eine solche Expo, sagen die Modelle doch voraus, dass 2050 zwei Drittel der Menschheit in Städten leben werden. Die Weltausstellung könnte also neben der internationalen Nabelschau auch sehr nützliche Best-Practice-Beispiele aus aller Welt an die Costa del Sol bringen, die über die bescheidene „nachhaltige“ Realität in Málaga hinausweisen. Es gibt kaum Radwege, höchstens 30 Kilometer insgesamt, Grünzonen weichen Wolkenkratzern, der Verkehr staut sich, erst 2035 will die öffentliche Busflotte auf Elektro oder Wasserstoff umgestellt haben.
Derweil ekeln, von der Politik ungestraft, zwielichtige Firmen alteingesessene Mieter aus Vierteln, um deren Häuser abzureißen und neue Blöcke hinzuklotzen, für 15 bis 20 Euro Miete pro Quadratmeter. Und das grüne Vorzeigeprojekt der Stadt, die Umwandlung des Flussbetts des Guadalmedina in eine grüne Ader kommt nicht voran, „ist eher eine eitrige Wunde“. „Aktuell ist Málaga weder nachhaltig, noch (sozial) integrierend“, schlussfolgert Uniprofessor José Damián Ruiz Sinoga in „Málaga hoy“.
Immerhin, das Guadalmedina-Projekt und der Plan Málaga Litoral, also die Neugestaltung der gesamten Küstenlinie für zusammen 1,9 Milliarden Euro, würden wohl ohne Expo nicht so schnell finanzierbar sein. Auch hat de la Torre versprochen, das Expo-Gelände anschließend mit 1.400 öffentlich verwalteten, „leistbaren“ Wohnungen zu bestücken. Gleichzeitig sollen Cercanías und Metro-Linien ausgebaut werden. Aber eine nachhaltige Expo in Málaga 2027? Ein Blick in die Bewerbungsmappe offenbart: „Auf dem Expogelände sind 300 Parkplätze für Fahrräder geplant, 416 für Busse und 4.660 für Autos“. Am 27. Juni stimmen 172 Ländervertreter in Paris über die Vergabe ab. Dann sieht Málaga weiter.
Sind Sie in Málaga schon mal Rad gefahren? Hätte ich den Versuch nicht schnell abgebrochen, könnte ich Ihnen kaum davon berichten. Die Stadt hat eine Menge zu bieten, Kultur und Geschichte, andalusisches Ambiente, die Küche, Fröhlichkeit, Meer und Sonne sowieso. Doch Málaga ist auch ein chaotisches Ballungszentrum mit unübersehbaren Schattenseiten. Das Verkehrsaufkommen wird kaum noch bewältigt, Mieten steigen exorbitant, ganze soziale Gruppen werden verdrängt, der Lärm durch Touristen und Bauarbeiten ist manchmal unerträglich. Grünflächen, öffentlicher Nahverkehr, der kleine Händler um die Ecke kommen in dem Boom unter die Räder. Spekulanten hingegen wittern Morgenluft, der Bürgermeister steht auf deren Seite.
Dass sich Málagas Stadtobere so enthusiastisch für die Expo 2027 bewerben, noch dazu unter dem Motto: „Auf dem Weg zur nachhaltigen Stadt“ erscheint manchen daher ein schlechter Witz. Die Weltausstellung als Prestigeprojekt der Politik und Geldmaschine für die üblichen Verdächtigen. Oder doch auch eine Chance? Denn gerade einer Stadt, die mitten in einem radikalen Umbruch steckt, kämen gelungene Anregungen für die soziale und ökologische Balance aus aller Welt gelegen. Ein milliardenschweres Megaevent als Motivation für eine Kurskorrektur, eine Neuordnung der Prioritäten für die Stadtentwicklung? Da ist Fahrrad fahren in Málaga die sicherere Wette.
Zum Thema: Die Expos in Sevilla 1929 und 1992 - Lektionen und Warnungen für die Expo Málaga 2027.