Am 25. Januar 2023 haben sie ihren Trainer Pepe Mel gefeuert, der war gerade vier Monate im Amt. 18 Punkte aus 18 Spielen und den Abstiegsrang 20 nach 24 Spieltagen erreichte er in der Segunda División, LaLiga SmartBank. Diese Bilanz ist ein Desaster, einer musste dafür büßen, die Bürokraten in der zweiten Reihe waren es wieder nicht. „Wir brauchen den Wechsel, um den Klassenerhalt zu schaffen“, lautete es knapp aus der Pressestelle im Rosaleda-Stadion. „Ich bin heute morgen aufgestanden, um zum Training zu fahren“, sagte Mel einigermaßen von den Socken am Tag seiner Entlassung. Fünf Trainer in eineinhalb Jahren haben sie in Málaga „verbraucht“, ein Rückkehrer soll nun die Rettung bringen. Sergio Pellicer, der schon 2020/2021 den Verein für 25 Partien trainierte, die Klasse hielt und derzeit beim C. F. Fuenlabrada dümpelt. Am 30. Januar wurde auch Sportdirektor Manolo Gaspar gekündigt, am 3. Februar ein neuer Generaldirektor bestellt.
Möglicherweise ist der dräuende Abstieg der Malagueños 2023 in die schändliche dritte Spielklasse unvermeidlich und angesichts der jüngeren Vereinsgeschichte auch folgerichtig. Dabei hat der sonst so weitblickende Bürgermeister Málagas, Francisco de la Torre, gerade nochmals 1,5 Millionen Euro Stadtgeld an den zwangsverwalteten Verein überwiesen, „um sie nächstes Jahr in der höchsten Liga spielen zu sehen“. Ein echter Visionär. De la Torre ist über 80 Jahre alt, als er jung war, reichte diese Summe zusammen mit einem Anruf an den richtigen Stellen für sowas wohl aus. Heute offenbar nicht mehr. Er will 2027 die Weltausstellung in Málaga ausrichten, ein drittklassiger Club ist da eher schlecht für das Image.
Proteste gab es im sozial angespannten Málaga wegen dieser spontanen und sinnlosen Subvention nicht. Öffentliche Gelder die Toilette hinunterzuspülen hat in Andalusien ja lange Tradition, wie die Armut. Man hat die Sonne, das Meer, Sardinen am Spieß und der Wein ist auch nicht zu teuer, das schönste Land der Welt und jede Menge „arte“, das lokale Wort für die Kunst, im Elend den Humor nicht zu verlieren. Und den brauchen Andalusier und besonders die Fans vom Málaga CF. Außerdem ist Fußball in einer spanischen Stadt mit maßgeblichen Arbeitervierteln sozusagen eine essentielle Dienstleistung, seit Religion nicht mehr so zieht, vielleicht umso mehr. Seit 1904 in Málaga unter blau-weißem Wappen, das allmählich zum Kreuz wird.
Das vorerst letzte Kapitel der Vereinsgeschichte neben dem Platz wurde Ende November 2022 geschrieben. Da fuhr Fernando Puche, ein Jahrzehnt schillernder Präsident und dann weiter Eigentümer des Clubs Málaga CF, ins Gefängnis von Alhaurín de la Torre ein. Zwei Jahre Haft warten auf den 76-Jährigen, den Haftantritt zögerte er so lange hinaus, bis die Behörden ihm öffentlich mit einer Fahndung drohten. Auch gesundheitliche Einwände seitens seiner Anwälte halfen dem früheren Besitzer der Stierkampfarena Málaga und umtriebigen Geschäftsmann nichts mehr.
Seine Behauptungen, alles sei eine „politische Intrige dreier Halunken“, zerbröselte an den Beweisketten. Er schuldet dem Staat 46,6 Millionen Euro, als Nachzahlung und Buße für Tabakschmuggel und daraus resultierender Steuerhinterziehung in industriellem Maßstab. Das ist Bandolero-Handwerk in allerschönster Tradition. Der Prozess zog sich ewig hin, als Puche auch noch Insolvenzbetrug beging, also Geld versteckte, um die Strafzahlung zu umgehen, platzte den Richtern, die eigentlich nur noch einen symbolischen Abschlag von 1,2 Millionen forderten, der Kragen, und sie hoben die Aussetzung zur Bewährung auf.
Der enthauptete Fußballklub geriet schon mit dem Auffliegen Puches 2009 in eine erste große Krise, als Retter kam ein Scheich aus dem Morgenland, ausgerechnet aus Katar, dem Land der jüngsten Fußball-WM. „Scheich kauft europäischen Fußballklub“, das war damals kaum noch eine Meldung wert, so alltäglich war es. 2010 übernahm der Ölscheich Abdullah ben Nasser Al-Thani die Mehrheit am Club und zahlte 36 Millionen Euro, womit auch 14 Millionen Euro angehäufte Schulden getilgt wurden. Seine drei Söhne mischten ordentlich mit an der Costa del Sol, der Málaga CF wurde ihr liebstes Spielzeug, sie kauften Spieler, tanzten durch VIP-Lounges und Marbellas Beach-Clubs, über weitere Eskapaden wurden sieben Schleier des Schweigens gelegt. Aber die Al-Thanis brachten den Verein 2012/2013 immerhin auch ins Viertelfinale der Champions League und so zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte.
Damals schlugen sie Panathinaikos Athen, Zenit St. Petersburg, den AC Milan und FC Porto, ihr Stadion „La Rosaleda“ wurde zur uneinnehmbaren Festung. Keine Niederlage in der gesamten Saison. Bis der BVB kam. Die Dortmunder flogen mit einem 1:0 Hinspielsieg an die Costa del Sol, kassierten da aber zwei Treffer von Eliseu und Joaquín, das Halbfinale war für die Malagueños in Sicht. Doch dann schob sich der lange Schatten des Schiedsrichters und die Auswärtstorregel zwischen sie und das Glück. Eine aus Vereinssicht „untragbar lange Nachspielzeit“ und ein Tor, bei dessen Entstehung vier Borussen gleichzeitig im Abseits gestanden haben sollen, töteten den Traum. Bis heute hält sich die Saga, dass Dortmund der Uefa mehr Werbe- und TV-Einnahmen versprach und der andalusische Underdog daher zu verschwinden hatte. Als „magische Nacht von Málaga“ verherrlicht der BVB Dortmund das bis heute.
Dortmund, damals unter Clublegende Klopp, schaltete dann Mourinhos Real Madrid aus, verlor aber das bis dato einzige deutsche Champions League-Finalduell gegen die Bayern mit 1:2 im Wembley Stadion, in dem viele jener Spieler aufliefen, die 2014 den deutschen WM-Titel klarmachten. Trainer bei Málaga war damals übrigens Manuel Pellegrini, der den Verein von 2010 bis 2013 trainierte, zwischen seiner sehr kurzen Station bei Real Madrid und seinem Karrierehöhepunkt Manchester City. Heute coacht der Chilene, der fast mehr Mannschaften trainierte als Spieler auf den Platz dürfen, mit Real Betis Sevilla wieder einen Erstligaverein, und das sehr erfolgreich. Mit der Niederlage gegen Dortmund ging er aus Málaga weg.
Quasi Standard in dieser Saison: Málaga verliert Zuhause wie Auswärts, oft knapp, aber doch:
Mit dem sechsten Platz in La Liga hatte sich Málaga trotz des bitteren Aus in der Champions League gegen Dortmund für die Europa League der kommenden Saison 2013/14 qualifiziert, wurde aber von der Uefa mit einer Sanktion belegt, weil der Club ein Schuldenlimit beim Finanzamt und der Sozialversicherung überschritt. Das Startverbot war eine Neuheit, denn wegen Schulden wanden sich auch damals schon ganz andere Vereine, hatten aber bessere Seilschaften.
Bis heute glauben sie im Rosaleda-Stadion an eine Rache der „Schiedsrichter-Mafia“ wegen ihrer Beschwerden nach dem Dortmund-Spiel. Sie fühlen sich um die Champions League und um die Europa League gleichermaßen betrogen. Nun trugen die „Martiricos“, die Märtyrer, wie der Spitzname der Spieler wegen der Adresse ihres Stadions am gleichnamigen Paseo de Martiricos lautet, ganz zu recht.
2013 wurde nicht mehr besser. Als „Retter“ nach dem Abgang von Pellegrini und den Scheichs, die zwar noch immer formal Eigentümer des Clubs sind, ihn aber verkommen ließen, holten sie 2013 ausgerechnet Bernd Schuster, seit zwei Jahren vereinslos und vorher von Besiktas Istanbul wegen Erfolglosigkeit vom Platz gejagt. Die damaligen Stars Isco, Joaquín oder Toulalan mussten verkauft werden, um Schulden zu tilgen, andere Pellegrini-Asse gingen von selbst. Schuster bekam einen Fünf-Jahres-Vertrag, der aber sofort und ohne Abfindung kündbar war, wenn er unter Rang Zehn in der Liga rutschte. Das geschah, der Klassenerhalt reichte den Bokerones nicht, beim letzten Heimspiel im Rosaleda wurde der Deutsche gnadenlos ausgepfiffen und zog gesenkten Hauptes von hinnen.
2023, nach 26 Spielen, steht der CF auf dem vorletzten Rang in der zweiten Liga, der Kontakt zu den rettenden Plätzen droht abzureißen. „Der CF im Januar noch schlechter als im Dezember“, „Zahlen lügen nicht – Vereinsführung steht nackt da“, „Pepe Mel vor Mission Impossible“ titelten die Sportgazetten, bis sie Mel feuerten.
Der Verein, der eigentlich eine Firma ist, steht unter gerichtlicher Zwangsverwaltung, mit Scheich Al-Thani und dessen Söhnen kann man nur noch über Richter und Anwälte per Videoübertragung im fernen Katar sprechen. In Spanien werden sie seit letztem Oktober per Haftbefehl gesucht, wegen Untreue und Geldwäsche und weil sie den gerichtlichen Vorladungen nicht folgten. Er sei unschuldig, er habe auf seine Berater gehört, erklärt der Anwalt des Scheichs per Videokonferenz, so wie es sein spanischer Vorgänger auch vor Gericht tat. Die Ermittlungen wurden nun an ein Strafgericht übergeben, da „öffentliches Interesse“ von Seiten des Ermittlungsrichters angemeldet wurde. Nicht, weil es sich um Fußball handelt, sondern weil die mutmaßlichen Straftaten Dimensionen angenommen haben, die generalpräventive Verfolgung erfordern. Neben dem Scheich sind auch Minderheitseigner, Spanier, weitere Araber und zwei Dutzend Firmen im Visier der Justiz.
Es steht im Moment eher mittelprächtig um den Fußball in Andalusien, abgesehen von der glänzenden Performance des Real Betis Balonpié aus Sevilla, der am 26. Spieltag auf Rang 6 noch um einen Champions League Platz mitkämpft. Der FC Sevilla, einst quasi Eigentümer des Europa League-Pokals, ist nur zwei Punkte von einem Abstiegspaltz entfernt, Cádiz ist schon einen Schritt weiter und war am 20. Spieltag Drittletzer. Almería ist selbst auf Rang 11 auch nicht sicherer, weil nur drei Punkte vom Abstiegsrang entfernt. Granada ist auf dem 6. Platz, aber in der zweiten Liga und hat noch ein schwerest Stück Arbeit zum Aufstieg vor sich.
Bald könnte es geschehen, dass der Málaga CF auf Fußballgrößen wie Torremolinos oder Antequera trifft. Letzterer Verein aus dem Hinterland stürmt nach dem Investment eines Holländers, der neben einem afrikanischen Verein auch Antequera als „cantera“, als Talente-Steinbruch, entdeckt hat und eine Million Euro in den Dorfclub steckte, durch die Regionalliga wie ein heißes Messer durch Butter in der Sonne, während der Málaga CF in der Sonne der Costa del Sol dahinschmilzt.
Die Dauerkartenbesitzer des Málaga CF bleiben ihrem Verein treu, wenn auch in Wut und Ärger, laufen sie nicht über in das in Spanien typische Fanlager der „Glory Hunter“, das nur Barca oder Real kennt. Wut und Ärger sind auch Emotionen, die den Fußball ausmachen. Sie haben das Elend sozusagen abonniert, erleben mit ihrem Club gleichzeitig eine Parabel auf ihr eigenes Leben und eine willkommene Ablenkung davon, mit Freunden und einem Bier in der Hand. „Wir sind der Sturm, wir sind die Flut“, ist ihr Schlachtruf, auch wenn im Moment Ebbe ist im Wasserglas.
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