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Mafia-Metropole Marbella: Milliardenschwerer Mehrwertsteuer-Betrug aufgeflogen

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Von: Marco Schicker

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Guardia Civil in Marbella.
Razzia in Marbella: Die Guardia Civil durchkämmt eine Anwaltskanzlei. © Rafael España/EFE

Eine Anwaltskanzlei in Marbella soll im Zentrum eines weltweit tätigen Betrugsnetzwerks mit Mehrwertsteuer stehen. Doch auch der Ehemann und Stiefsohn der Bürgermeisterin stehen unter Mafia-Verdacht. Fast schon eine Tradition in dem Luxusort.

Marbella - Es ist der größte bisher aufgeflogene Mehrwertsteuerbetrug in der Europäischen Union: Rund 2,2 Milliarden Euro IVA (die spanische Mehrwertsteuer) sollen über rund 9.000 Personen sowie 600 Firmen und Stiftungen hinterzogen oder betrügerisch vom Fiskus zurückgeholt worden sein. Im Zentrum dieses gigantischen Betrugs-Netzwerks stand eine kleine Rechtsanwaltskanzlei in Marbella an der Costa del Sol, dem spanischen Zentrum für Luxus-Badeurlaub und organisiertes Verbrechen.

Mit der Operation „Admiral“ hat die Europäische Anwaltschaft Europa, in Zusammenarbeit mit dem EU-Betrugsdezernat OLAF sowie den Kollegen in Deutschland, Belgien, Zypern, Slowakei, Spanien, Frankreich, Girechenland, Ungarn, Italien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Rumänien, Dutzende Büros, Firmensitze und Wohnungen duchsuchen lassen. In Spanien traf es eine Firma in Barcelona sowie zwei Wohnungen und eine Anwaltskanzlei in Marbella, wo neben sehr vielen Akten auch einige Luxusfahrzeuge beschlagnahmt wurden.

Auf das illegale Mehrwertsteuerkarussell, einem der beliebtesten Fahrgeschäfte der in Europa tätigen Finanzmafia, machte 2021 die Steuerfahndung im portugiesischen Coimbra aufmerksam. Als die Beamten steuerlichen Etikettenschwindel bei einer Firma feststellten, die Mobiltelefone, Tablets und andere Elektronik im- und exportierte, schwante ihnen, dass die Ausmaße des Schwindels weit über diese Firma hinausgehen könnte.

50 Milliarden Euro im Jahr: Mehrwertsteuerbetrug in der EU - Marbella als Schaltzentrum

Die Europäische Anwaltschaft übernahm daraufhin die Ermittlungen, eine Neuerung, denn erst 2021 erhielt diese Institution durch eine Gesetzesänderung auch die Kompetenz für solche länderübergreifenden Maßnahmen. Legionen von Beamten und Rechtsgelehrten mussten sich nun durch die Akten von 9.000 Firmen wühlen, die Finanzströme auch von 600 verdächtigen Personen verfolgen, ein Endlospuzzle, zumal bei den Ermittlungen auch Nicht-EU-Länder eine Schlüsselrolle innehate, wie Albanien, China, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, USA und diverse Inselstaaten, deren Kooperation in solchen Fragen eher zurückhaltend ist.

Bei den Mehrwertsteuerkaurussellen geht es darum, durch fingierte Waren- und Geldflüsse sowie Verkäufe zwischen EU- und Nicht-EU-Staaten die Erstattung angeblich bezahlter Mehrwertsteuer zu erschwindeln. Fordert das zuständige Finanzamt dann die Mehrwertsteuer von jenem Unternehmen ab, die sie angeblich von dem anderen Unternehmen einkassiert hat, ist diese Firma längst „verschwunden“. Der Schaden geht zu Kosten der Staatskassen, es zahlen also alle Steuerzahler.

Diskothek in Marbella
Die Party im „Opium“ Marbella wurde jäh von Schüssen unterbrochen. © Opium Beach Club

Dass dieses Schema, das in der Realität komplexer ist, als hier erklärt, über Jahre funktionieren konnte, legt den Verdacht auf Insider-Aktiviäten in Behörden nahe. Beispiele, unter andere aus Ungarn zeigten in der Vergangenheit aber auch, dass allein die Langsamkeit staatlicher Behörden ausgefuchsten Kriminellen genügt, um abzusahnen. Europol beziffert den jährlichen Geldabfluss durch Mehrwertsteuer-Karusselle an kriminelle Netzwerke um die 50 Milliarden Euro erreicht.

Marbella war in dem Netzwerk eine wichtige Schaltstelle, in den durchsuchten Anwaltskanzleien sollen hunderte der Scheinfirmen gegründet worden sein, die in das Karussel-Geschäft involviert waren. Über Verhaftungen wurde, wohl aus taktischen Gründen, bisher nichts mitgeteilt.

Familie von Marbellas Bürgermeisterin unter Mafia-Verdacht

Marbella ist aber derzeit auch in den nationalen Schlagzeilen wegen krimineller Aktivitäten seiner „Eliten“ zu finden, eine lange Tradition des Luxus-Badeortes. Der Fall der illustren Familie von Marbellas Bürgermeisterin und Senatorin Ángeles Muñoz zieht immer weitere Kreise. Muñoz‘ schwedischer Ehemann Lars Broberg und dessen Sohn Joakim stehen wegen des Verdachts der Geldwäsche in Verbindung mit organisiertem Drogenhandel vor Gericht, im Februar 2021 wurden er und sechs weitere Personen verhaftet. Wegen einer Kaution von 25 Millionen Euro sind die Güter der sehr geschäftstüchtigen Familie unter Kuratel. Seitdem müht sich die Opposition im Rathaus, der PP-Bürgermeisterin Mitwisserschaft oder zumindest Befangenheit in dem Fall nachzuweisen und sie zum Rücktritt zu bewegen.

Es sei ein klarer Interessenskonflikt, wenn die Person, die über eine „saubere“ Stadt wachen soll, in einem persönlichen Nahverhältnis zu mutmaßlichen Drogendealern und Geldwäschern stehe. Muñoz schmetterte alle Vorwürfe ab und bekam jetzt Rückendeckung von ihren Parteifreunden und der Landesregierung in Andalusien. Die absolute PP-Mehrheit in Sevilla unterband eine parlamentarische Fragestunde zu dubiosen Subventionszahlungen, die durchaus eine Verbindung der Bürgermeisterin in das trübe Netzwerk ihres Mannes herstellen könnten.

Bewachsenes Eingangstor zur Finca Malibu von Sean Connery in Marbella.
Eingang zur Finca Malibú in Marbella, dem spanischen Anwesen von Sean Connery, die ihm noch juristischen Ärger brachte. © EFE

Konkret geht es um die Zahlung von 250.000 Euro Landeszuschüssen an die Baufirma Codecosol, deren Chef – laut Richter – ein Vertrauensmann Brobergs ist. Dieser Zuschuss wurde von seiner Frau als Bürgermeisterin befürwortet, der Vorgang wanderte also zumindest über ihren Schreibtisch. Das Präsidium des Landtags unterband mit der PP-Mehrheit eine Anfrage an das zuständige Landesministerium und befeuert damit den Verdacht der Kungelei. Mittlerweile aber hat auch die Staatsanwaltschaft auf Ermittlungen verzichtet. In diesem Fall. Außerdem gibt es sinestre Erwähnungen von Muñoz in den Aufzeichnungen des Ex-Kommissars Villarejo, der als Kopf der „Polizei-Kloaken“ Spaniens gilt.

„Das Schweigen spricht für sich selbst“, konstatierte die oppositionelle PSOE auf die Rückendeckung der PP in Sevilla für ihre Bürgermeisterin. Allerdings bleibt die PSOE eher kleinlaut, erhielten dieser Tage doch mehrere Ex-Funktionäre der Sozialisten, darunter der frühere Landesministerpräsident José Antonio Griñán, den Antrittstermin ihrer Haftstrafen: Wegen Hinterziehung von 600 Millionen Euro Landesgeld im Rahmen der ERE-Skandale.

Marbella stand die vergangenen 40 Jahre im Rampenlicht endloser Bau- und Vergabeskandale, selbst berühmte Bewohner wie Sean Connery sahen sich in steuerliche Konflikte verwickelt, fast wöchentlich werden auch im Ausland gesuchte Verbrecher an der Costa del Sol verhaftet. Auch die Gewaltkriminalität durch Drogenkartelle lässt in Marbella - wie sowie immer wieder von sich hören, durch Racheakte oder Schießereien, wie im Sommer in einem Beach-Club.

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