Nach und nach liefen bei der Polizei in Marbella Vermisstenanzeigen der Verwandten ein. Nach einer Weile wandten sich die Entführer an die Angehörigen und forderten fünf Millionen Euro Lösegeld für die Freilassung, andernfalls würden sie ihre Opfer töten. Nach rund einer Woche fieberhafter Ermittlungen kamen die Polizisten auf die Spur der Täter, stürmten die Villa, die sich in einer der diskreten Luxuswohnanlagen Marbellas befand und befreiten zwei Menschen. Ein weiterer Entführter, der bereits in einem Diabetis-Koma lag, weil ihm die Täter Medikamente verweigerten, wurde auf der Straße aufgefunden, dem vierten gelang die Flucht. Bei der Durchsuchung wurden Tatwaffen und -fahrzeuge, Drogen, Waffen, gefälschte Kennzeichen und Papiere und 50.000 Euro aufgefunden. Über die Nationalität der Täter, die sich in Untersuchungshaft befinden, machte die Polizei keine Angaben.
Der Fall erscheint spektakulär, stellt aber für Marbella nur eine alltägliche Episode dar. Strand- und Altstadtidylle und goldfunkelnder Luxus rund um Puerto Banús gehen in Marbella seit jeher Hand in Hand mit der Brutalität krimineller Banden, aber auch den diskreten Ganoven in feinem Zwirn. Unter den spanischen Städten über 100.000 Einwohnern wird Marbella (140.000) im gerade publizierten Kriminalitätsranking 2022 des spanischen Innenministeriums wieder auf Rang zwei geführt, knapp hinter Barcelona. 10.609 Straftaten wurden in der Glitzer-Metropole der Costa del Sol 2022 registriert, die Tendenz 2023 lag bis Ende März 22 Prozent über diesem Wert.
Korruption, Geldwäsche und Drogenhandel sowie damit im Zusammenhang stehende Straftaten werden aber nicht nur durch etliche in- wie ausländische Banden begangen, die sich im Luxus-Ambiente des einstigen Glamour-Strandortes, seiner Edel-Villen, Golfplätze und klischeetriefenden Beach Bars wohlfühlen, sondern reichen traditionell auch bis in höchste Kreise der Stadtverwaltung. Gerade lief auf dem landesweiten TV-Kanal La Sexta eine Reportage über Marbella und den erstaunlichen Reichtum der früheren Ärztin und seit 2007 Bürgermeisterin von Marbella, Ángeles Muñoz. Gegen ihren kürzlich verstorbenen schwedischen Mann und dessen Sohn wurde aktiv wegen Drogenhandels und Geldwäsche sowie Betreibung einer kriminellen Organisation ermittelt, beide waren zwischenzeitlich in Haft.
Im Zusammenhang damit gerät auch Muñoz ins Zwielicht eines ganzen Universums an Firmen, die, so der Verdacht, von amtlichen Entscheidungen zur Umwidmung von kommunalem Grund sowie bei der Vergabe von städtischen Aufträgen profitiert haben könnten und, an denen die Familie der Bürgermeisterin, Mann wie Frau, direkt oder indirekt beteiligt gewesen sein soll oder sonstwie profitierte. La Sexta interviewt dazu mehrere Journalisten, die seit Jahren mit der Materie vertraut sind, verschiedene Verdachtsfälle von Korruption ans Licht brachten, es werden finstere Verbindungen der Stadtchefin zu Briefkastenfirmen im Ausland und sinestren Unternehmen in Marbella, Madrid und andernorts erwähnt und bunt medial aufbereitet. Es geht um Off-Shore-Unternehmen, Zahlungen unter der Hand, Baumaßnahmen enger Verwandter ohne Genehmigungen usw. Allerdings hat die Justiz bisher nichts Belastbares geurteilt und die Medien bleiben so im Hätte, Könnte, Müsste. Ein unsichtbarer Schutzfilm scheint Muñoz zu umgeben.
Muñoz selbst verweigert - so der Vorwurf der Opposition - eine echte Offenlegung ihrer privaten Finanzen, die ihren Reichtum von mehreren Millionen Euro, so die PSOE, unmöglich in wenigen Jahren als Ärztin erworben haben kann, so wie sie das beteuert. Die Untersuchungen wurden sogar im Senat geführt, Spaniens zweiter Parlamentskammer, führten aber auch dort zu nichts. Ihre Partei, die PP, stärkt ihr bei der Strategie den Rücken. Dabei war Muñoz einst mit dem Anspruch angetreten, das instransparente Gehabe und das kriminelle Erbe ihres schillernden Vorgängers Jesús Gil, der auch Präsident von Atlético Madrid war und der wegen Veruntreuung von Steuergeldern und einem Dutzend weiterer Delikte kurz im Knast saß und 2005 auf Weisung des Obersten Gerichtshofes seines Amtes enthoben wurde, zu bereinigen und „Marbella wieder zu einer sauberen Stadt zu machen“.
Doch dort, wo sich einst internationale Promis und Hollywood-Stars, Adelige und Künstler ein Stelldichein gaben (auch damals schon nicht immer sauber, wenn wir nur an den Ärger denken, den sich James Bond Sean Connery mit seinem Haus in Marbella einhandelte), haben sich nun endgültig Geldproleten und die Köpfe mafiöser Gangs aus allen Teilen Europas und der Welt eingenistet, ihre Entourage im Schlepptau, die auch schon mal eine Schießerei in einem Beach Club in Marbella anzettelt, bei der zufällig der Neffe des Königs anwesend ist.
Die Sozialisten versuchen Wahlkampf gegen Muñoz zu machen, sind aber selbst durch die ERE-Skandale in Andalusien nachhaltig beschädigt.
Wenn internationale Haftbefehle in den spanischen Polizeidienststellen eingehen, geht der Blick fast automatisch nach Marbella und Umgebung, in die Urbanisationen und Villenviertel von Benahavís, San Pedro, Estepona. Doch auffallend häufig nimmt die Polizei in Málaga oder Torremolinos „kleine Lichter“ hoch, während die Promis der Szene ungestört in Marbella Cocktails schlürfen und Partys auf den Jachten feiern. Verhaftungen und Hausdurchsuchungen in einer Anwalts- und Steuerkanzlei in Marbella, wie kürzlich bei Ermittlungen gegen einen Ring von Mehrwertsteuerbetrüger, sind da eher die Ausnahme.
Bürgermeisterin Muñoz, derzeit viel mit Händeschütteln, Eröffnungen und Ankündigungen befasst, tritt am 28. Mai 2023 zur Kommunalwahl an, um ihre absolute Mehrheit zu verteidigen und eine fünfte Amtszeit als Bürgermeisterin zu absolvieren. Ihre Chancen dafür stehen nicht schlecht, eine verdächtig passive Opposition ist keine Konkurrenz, eine „unternehmerfreundliche Politik“ machten sie bei den örtlichen Geschäftsleuten beliebt, Luxushotels und -marken investieren ungebremst, Geld stinkt bekannt nicht. Urlauber, Residenten und Golfer, für die „Marbella“ ein Prestige-Etitkett ist, leben ohnehin in ihrer Welt. Die katholischen Bruderschaften Marbellas - in Andalusien einflussreiche Seilschaften - gaben der Bürgermeisterin in diesem Jahr die Ehre, die Festrede zur Semana Santa zu halten. Wer in Marbella lebt, fährt kostenlos mit dem Stadtbus, für das einfache Volk fallen also Almosen ab, und nach Auskunft eines Journalisten von eldiario.es sei „es den meisten, vor allem den reichen Einwohnern von Marbella egal, ob sich da oben jemand bedient“, solange die Kasse stimmt und hinter den Fassaden und Fiestas der Promis und des Geldadels die Diskretion gewahrt werden kann.