Die Autopsie ergab, dass er mit einem Hammer ermordet wurde, die Gerichtsmedizin fand zwei Dutzend Schläge auf Schädel, Rücken und Brust. Noch am gleichen Tag verhaftete die Nationalpolizei zwei 19-Jährige „aus Antequera“ wie es knapp hieß. Einer habe die Polizei angerufen und sich als Zeuge des Vorfalls gemeldet, was Verdacht erregte. Bei einer Hausdurchsuchung wurde ein blutverschmierter Hammer gefunden, dann klickten die Handschellen.
Über die Täter erfuhr das geschockte Antequera bis heute kein Wort. Offenbar waren die beiden in der Mordnacht auf dem Rückweg von einer Bar als sie an dem Mann vorbeikamen und „eine Diskussion“ eskaliert sei. Was dann geschah, ist Gegenstand der Ermittlungen, „in alle Richtungen“, wie die Polizei schreibt. „El País“ will wissen, dass die beiden schon in den beiden Nächten vor dem Mord auf Miguel Ángel losgegangen seien. Doch normalerweise publiziert die Polizei (verbotenermaßen) verklausulierte Andeutungen über die Herkunft der Täter, wie „Personen mit spanischer Staatsbürgerschaft“ (eingebürgerte Einwanderer) oder „Angehörige einer Familie“ als Code für Gitanos oder „Jugendliche aus dem Viertel Soundso“ womit klar wird, um welche soziale Schicht es sich handelt.
Doch diesmal kam gar nichts, was an den Marktständen den Verdacht nährt, es könnte sich um Burschen aus „guten Familien“ handeln, die gerade hier im Hinterland mitunter noch einen höheren Anspruch auf Schutz der Privatsphäre zu haben scheinen als marginale Gruppen. So wie es schon immer war. Das ist natürlich eine blanke Vermutung, wenn auch auf genannte Indizien gestützt, die allerdings in einer Kleinstadt schnell zur Gewissheit wird. Ein Anruf bei der Polizei blieb fruchtlos, sonst ist vor allem die Ortspolizei schnell in ein Schwätzchen zu verwickeln. Diesmal nicht. Auch das Schweigen des Bürgermeisters, sonst sehr redselig, sei auffallend laut, kommentierten Bürger im Netz.
Ein Ex-Kumpel des Getöteten schloss auf Nachfrage einen Konflikt im „Milieu“ aus, „sie haben ihn einfach umgebracht“ sagt er mit hängenden Schultern. Miguel Ángel war kein Engel, erzählt er, „hatte Probleme mit Alkohol“, war aber ruhig, ging zum Arzt, jeden Tag zur Tafel „und er war nicht der Typ, der sich auf Raufereien einlässt“. Durch die Presse in Málaga – das Antequeraner Dorfblatt traut sich so etwas nicht – geistert dazu das Wort „Aporofobia“, die Angst und Abscheu vor Armut und daraus resultierend der Hass auf arme Menschen; eine Verhaltensstörung, die durch elitäre Erziehung ebenso wie durch selbst erlebtes Elend ausgelöst und gestärkt werden kann. Seit 2021 wird diese Motivation – die übrigens keine Spezialität irgendeiner Ethnie oder sozialen Schicht ist – in der spanischen Rechtsprechung als Hassverbrechen strafverschärfend bewertet.
Im gleichen Jahr starben zwei Obdachlose in Málaga gewaltsam, ein 64-jähriger Bulgare wurde im Schlaf auf einer Bank in den Jardines Picasso totgetreten, ein zweiter Mann mit einem Stein an der Uferpromenade ermordet. 2016 erregte der Fall eines Obdachlosen Aufsehen, der, totgeschlagen und halbnackt an eine Bank gefesselt, im Wartebereich des Flughafens Málaga gefunden wurde. Die Polizei war damals nicht so verschämt bei der Nennung der Herkunft des Täters, ein „Finne“ sei es gewesen.
Jemand hat frische Blumen an den Tatort in Antequera gebracht. Die Kerzen, die der Wind verweht hatte, richtet gerade eine Frau in Kittelschürze, noch bevor ich das Foto machen kann. Es soll ja ordentlich aussehen, „un poco de dignidad“, ein bisschen Würde, murmelt sie. Neben den Kerzen liegt ein Stück Pappkarton und steht der Stuhl, den sich Miguel Ángel – er soll aus der Nähe von Loja, Granada, stammen – von einer Lokalterrrasse geklaut hat. Vielleicht lassen sich genau in diesem Lokal die Väter der Täter gerade Schinken schneiden. Niemand rührt vorerst die „Wohnung“ des Toten an, er ist aber auch kein Thema mehr. Die Stadt feierte gerade Karneval, dann kniet der Bürgermeister wieder viel in Kirchen. Irgendwann kommt die Müllabfuhr. Die beiden 19-Jährigen, von denen niemand etwas wissen will, sitzen erstmal in Untersuchungshaft.