Spaniens Straßen-Orangen: Nicht mehr nur für die Tonne - Sevilla und Málaga Vorreiter

Bislang landeten jährlich tausende Tonnen Orangen von Spaniens Straßen auf den Müllkippen. Das muss nicht sein: Sevilla macht aus ihnen jetzt Energie, Málaga verkauft seine Orangen an die Oranjes. Die Niederländer haben damit tausenduneine Idee.
Málaga/Sevilla – Just, wenn der Norden Europas unter einer grauen Wolkenschicht mit blattlosen Bäumen überwintert, erfreut uns Spanien nicht nur mit milderen Temperaturen und viel mehr Sonnenlicht, sondern haben auch Orangen Erntezeit. Vor allem in Andalusien stehen die Bäume dann in voller Frucht nicht nur in Plantagen, wie die berühmten Orangen aus Valencia, sondern zieren von Códoba bis Cádiz fast jeden Patio, Kirch- und Dorfplatz. Ganze Orangen-Alleen durchziehen die Städte und liefern muntere Farbtupfer und wohlig-sinnliche Gerüche. Sevilla ist dafür besonders berühmt, über 40.000 Orangenbäumchen zählt hier allein die Stadtverwaltung, in Málagas Straßen sind es immerhin auch rund 7.000, sagt das Rathaus. Eine Dunkelziffer wird vermutet.
Orangen auf allen Straßen und Plätzen Andalusiens
Erquicklich ist der Anblick, wenn in eine dieser Früchte herzhaft ein Tourist, meist Brite, beißt und sich dessen Gesicht dann vor Schreck und Bitternis zusammenzieht. Er biss nämlich nicht in eine Orange (naranja), sondern in eine naranja agria, die Bitterorange. Diese ist eigentlich auch die erste Sorte, die auf der Iberischen Halbinsel kultiviert wurde, ihr Öl, die Schalen nutzten die Mauren für Duftwässerchen, Aufgüsse, Salben und als Gewürz sowie als Medizin auch in Form von Orangenwein, den die Glaubensvorschriften eigentlich verboten. Manchmal wird sie daher auch mit dem arabischen Begriff Azahar bezeichnet, der aber eigentlich für die Blüten der Orangenbäume, ob süß oder bitter, steht.
Bitterorangen-Marmelade für den King of England: Aber nur in Bio-Qualität

Erst seit etwa 500 Jahren, als ihre süße Apfelsinen-Cousine, eine Kreuzung wir praktisch alle Zitrusfrüchte in Europa, aus China über Portugal - das damals den Seehandel von Asien bestimmte - die Oberhand bekam, darbt die bittere Orange überwiegend als Dekoration und Touristenschreck am Straßenrand und Ende Januar bis März plumpsen die Früchte dann aufs Pflaster, stinken, ziehen Fliegen und anderes Getier an, werden zur Rutschfalle. Auf den Dörfern kommt der Bauer abends mit einem Anhänger und sammelt die Früchte als Viehfutter ein, aber in den Städten? Allein in Málaga landen jährlich rund 700 Tonnen bittere Orangen verwest und teuer abtransportiert auf der Müllverwertungsanlage Los Ruices, dutzende kommunale Beschäftigte haben über Wochen damit zu tun, die Früchte ab- und aufzusammeln und die Gehsteige drumherum von der ätzenden Säure zu reinigen.
Bekanntermaßen beliefert Sevilla das englische Königshaus und auch einige Gourmet-Shops mit der dort so unvermeidlichen Bitterorangenmarmelade, die auch für Touristen, die in Sevilla einen Städtetrip machen ein bevorzugtes Souvernir ist. Doch die Früchte dafür kommen, wir kennen ja den Bio-Fimmel von King Charles, aus erlauchten Plantagen, die sich Hoflieferanten nennen dürfen und nicht von den Straßen, wie uns urbane Legenden immer wieder weißmachen wollen. Auch in Málaga will man die Verschwendung der für Spanien und Andalusien so emblematischen Azahar nun entgegenwirken und fand eine interessante Lösung in den Niederlanden, dem Land der Oranjes.
Niederländer kaufen Málagas Orangen: Öle, Konzentrate, Putzmittel und Konditoreizutaten aus den Schalen

Das Unternehmen PeelPioneers (Schalen-Pioniere) will ab Ende 2023 die Orangen ernten lassen und im südniederländischen Städtchen Den Bosch verarbeiten. Aus den Früchten werden dann Dutzende Produkte, aromatische Öle und Konzentrate für die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie sowie Reinigungsprodukte gewonnen, erklärt Málagas Umweltstadtrat erfreut, der so eine Last von 700 Tonnen nutzbringend los wird. Sind die Schalen dann bis zum letzten ausgepresst, werden sie – gewürfelt und kandiert – an Konditoreien verkauft. Die niederländischen Verarbeiter beenden damit nicht nur eine traurige Vergeudung dieser Früchte, sondern lassen der Azahar sozusagen auch historische Gerechtigkeit widerfahren.
PeelPioneers würde ab kommender Saison 2023/24 die Ernte der Orangen in Málaga Stadt auf eigene Rechnung übernehmen, für Málaga entfielen nicht nur diese Kosten, sondern auch die steigenden Müllgebühren samt der bald strafbewehrten EU-Verpflichtung, Biomüll auch als solchen zu behandeln. Die Stadt will die „Oranjes“ nun noch davon überzeugen, auch die Produktion nach Andalusien zu verlagern, statt die Ware nur grob zu reinigen und dann zu verfrachten. Man suche schon nach geeigneten Grundstücken, lockt das Rathaus.
In Sevilla begann man im vorigen Jahr damit, die Orangen zur Energieerzeugung für Biogas zu nutzen (siehe Euronews-Video oben), so wie man das bereits mit mit dem Trester der Oliven macht, der zu Bio-Kerosin verarbeitet wurde, mit dem bereits Linienflugzeuge betankt werden, wenn auch bisher nur zu einem geringen Teil von bis zu 5 Prozent. Doch das Handling der kreuz und quer in der Stadt verteilten Orangenbäumchen ist relativ kosteninstensiv, Sevilla übt noch.
Orangen aus Andalusiens Straßen: Was ist mit Schadstoffen?
Bereits vor 20 Jahren gab es ein Unternehmen, Tana, das die Orangen aus Málagas Straßen absammelte und an die Marmeladenmacher von Sevilla oder an Vermuth-Destillen lieferte. Doch die hohen Abgaswerte in Málaga Stadt, Unsicherheiten über die Qualität der Böden und die Anforderungen der britischen und französischen Kundschaft unterbrachen damals die Lieferkette, nicht mal für Tierfutter wurde man die Bitterorangen aus Málaga noch los. Die „Schalen-Pioniere“ aus den Niederlanden scheinen in den Früchten mitten aus dem Verkehrsdschungel in Málaga kein Problem zu sehen, womöglich glauben sie ja, die verpflichtenden Umweltzonen in Spaniens Innenstädten bringen jetzt tatsächlich eine entgiftende Wirkung.
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