„Ja zur Sonnenenergie, aber nicht so!“ steht auf Transparenten, „Ihr tötet meine Zukunft“ auf einem anderen. Der Sprecher der Plattform „Cartaojal sin parques fotovoltaicos“ Juan María Cívico erklärt: „Wir werden es nicht erlauben, dass sie unser Land zerstören, um eine schwarze Silizium-Wüste zu errichten, die unsere Zukunft und jene unserer Kinder zerstört“. Die Solarparks „würden keinerlei Arbeit nach der Errichtung schaffen“, außerdem würde es im „Dorf immer heißer werden“, wenn Bäume fehlten und alles mit den Panelen umstellt sei, die auf wenige Dutzend Meter an den Dorfrand heranreichen.
Sie würden an der falschen Adresse demonstrieren, meint der Bürgermeister Antequeras, Manolo Barón, PP, von dem sie im Vorort Cartaojal nicht viel halten. Den sehe man öfter in den vielen Kirchen Antequeras oder mit den alteingesessenen Gewerbetreibenden des Zentrums und mit Investoren im neuen Logistikpark Puerto Seco von Antequera als bei den Menschen in den etlichen weit verstreuten Vororten, deren Bewohner sich ein bisschen als dummes Bauernvolk stigmatisiert sehen. Immer würden ihre Straßen zuletzt gepflastert, ihre Spielplätze kleiner ausfallen, sie vergessen. Die Stadtelite komme nur zu den jährlichen Fiestas, um Fotos für die Presseaussendungen zu schießen.
Barón macht, was Politiker machen, er wälzt die Verantwortung von sich ab. Denn „für die Genehmigung des Solarparks ist die Regierung Spaniens zuständig“, zeigt er mit dem Finger auf die „Sozialisten“ in Madrid. „Ich bin mit dem Volk von Cartaojal, ihr Protest ist berechtigt, aber von mir hängt es nicht ab“, erklärt er, „nicht eine einzige Zuständigkeit“ fiele ihm zu. Das stimmt und stimmt nicht. Bis 500 MW Leistung genehmigt die Regionalregierung einen Solarpark, ab 500 MW der Staat - oder eben auch nicht. Die Umwidmung von Grundstücken, die zuvor für Landwirtschaft nun aber für industrielle Nutzung deklariert werden, die macht ausschließlich das zuständige Rathaus, geht es um die Umwidmung für Energieerzeugung, muss auch wieder die Region eingeschaltet werden. Die Demonstranten stehen also schon an der richtigen Adresse. Und notfalls solle sich der Bürgermeister gefälligst für sie nach Madrid aufmachen. Denn das sei sein Job, so die Plattform.
Barón ist in seinem Element. Dies hier sei doch alles manipuliert, die Sozialisten wollten den Protest für sich nutzen, fällt der langjährige katholische Laienbruder, der seit 2011 Bürgermeister ist, nun doch aus seiner sonst bemüht bürgerlichen Pose. Er fährt den Dorfsozi Francisco Calderón von der PSOE direkt an: „Ihr wisst doch, dass ich nichts machen kann und auch gegen die Mega-Parks bin“ und „nun politisiert und missbraucht ihr die Proteste“. Der „Sozi“ schießt zurück. Die Plattform habe die Demo selbst organisiert, er könne nichts dafür, dass die PP und der Bürgermeister sie im Stich gelassen hat.
Die Familien aus Cartaojal schlagen eine Aufsplittung der geplanten Anlage in mehrere kleinere vor, die in weniger sichtbaren Bereichen und auf bereits bebauten Geländen wie den vielen Polígonos, den Industrieparks installiert werden. Eine nette Idee. Doch der Großgrundbesitzer und der dahinterstehende Solar-Investor müssten diese Gebiete erst kaufen oder mieten und einzeln genehmigen lassen und sie außerdem vernetzen, das Projekt würde viel, viel teurer. Ihm gehört das Land rund um den Vorort, er macht darauf was er will, so war das hier schon immer. Er hat es an einen kapitalstarken Investor verpachtet, auf Jahrzehnte.
Die Gier scheint die einzige Kraft zu sein, die stärker ist als die Sonne. Die Demonstranten aus Cartaojal ziehen am Nachmittag wieder ab, pünktlich bevor am Rathaus von Antequera wieder zigtausende noch mit herkömmlich erzeugtem Strom betriebene LED-Lichtlein eingeschaltet werden, eine friedliche Weihnacht vorgaukeln und den Rebellen aus der Vorstadt heimleuchten.
Noch nie wurden in Spanien so viele Solaranlagen ans Netz angeschlossen wie 2022. Rund 3.400 MW von gewerblichen Anbietern und 2.000 MW von Privaten für den Eigenbedarf, den autoconsumo. Binnen weniger Jahre hat sich die Einspeisung durch saubere Sonnenenergie verdreifacht, allein von 2021 zu 2022 nahm die erzeugte Leistung von 18.700 MW auf 28.000 MW zu. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht, auch wenn etliche Projekte auf den Fluren der genehmigenden Administrationen verenden. Schon heute erzeugt das Land rund 47 Prozent seines Energiebedarfs aus Erneuerbaren, dieser Anteil stieg 2022 allerdings nicht weiter, weil durch die Trockenheit in Spanien die Wasserkraftwerke schwächelten und durch Krise und Spardiktat die Stromnachfrage sogar sank, um 3 Prozentpunkte.
Dennoch lauten die Prognosen internationaler Analysten, dass Spanien auf dem Weg sei eine Art sauberes Saudi-Arabien Europas zu werden, bis 2035 könnte das Land nicht nur 80 Prozent seines Bedarfs stabil durch Erneuerbare decken, sondern auch Milliarden mit Strom- und Energieexporten umsetzen und sei außerdem auf dem Weg einer gesunden Diversifikation zwischen Sonne, Wind, Biowasserstoff, Flüssiggas etc., das es weitgehend unabhängig von einzelnen Lieferanten und Energieformen mache. Die andere Seite des Boom bei Erneuerbaren Energien in Spanien ist bekannt: Windkraftwerke zerstören Landschaften on wie offshore, erzeugen Lärm, töten Vögel, Solarparks, die in ein paar Jahren zusammen die Fläche Mallorcas ausmachen werden, verändern Kulturlandschaften und belegen Agrar- und Naturflächen. Bauern hören auf zu produzieren und verpachten ihre Felder lieber an Energiekonzerne.