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Großvater der Naturheilkunde aus Spanien: Benalmádenas vergessener Sohn

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Von: Marco Schicker

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Seite aus Al Batyars Enzyklopädie der Pflanzenheilkunde
Seite aus Al Batyars Enzyklopädie der Pflanzenheilkunde. © Bibliothèque Nationale de France

Hinter einer unauffälligen Bronzestatue am Strand der Costa del Sol-Stadt Benalmádena verbirgt sich ein aufregendes Leben und ein Wissensschatz der Menschheit.

Benalmádena – Wer ist dieser einsame Alte, der melancholisch dreinblickende Araber, der da nachdenklich am Strand von Benalmádena meditiert? Eine Verzierung für das rote Pseudo-Castillo Bil-Bil nebenan, das sich ein spleeniges Pärchen in den 1930er Jahren als Badehaus hat errichten lassen? Benalmádena ist, man hört es am Namen, eine maurische Gründung, benannt nach Eisenerzmienen, die hier einst eine wichtige Rolle spielten. Doch die Spuren dieser Zeit sind und wurden fast völlig verwischt. Vor allem das geistige Erbe wurde mit der Christianisierung zunächst unsichtbar gemacht.

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Die Bronzestatue verweist auf diese Zeit und den größten Sohn der Stadt: Ibn Al-Baytar. Das Werk ist in die Jahre gekommen, Restauratoren bemühen sich derzeit um die Reinigung und kleinere Reparaturen, denn mitunter dient der weise alte Mann auch als Klettergerüst. Vor allem das Feldblümchen, das er in der rechten Hand hielt, soll ihm wiedergegeben werden. Der Bildhauer, der ihn einst so schuf, der 2020 verstorbene Hamilton Reed Armstrong, hat überall an der Costa del Sol seine Spuren hinterlassen, schon 1974 goss er einen Engel für den städtischen Friedhof von Benalmádena und 1982 kam Ibn Al-Baytar hinzu. In 40 Jahren wurde die Inschrift fast unlesbar, der alte Mann immer mehr ein Rätsel, und so war er eigentlich nur noch Deko.

Bronze-Statue von Ibn Al Baytar in Benalmádena
Behutsam wird die Bronze-Statue von Ibn Al Baytar in Benalmádena restauriert. Auch seine Blume bekommt er wieder. © Rathaus Benalmádena

Dabei haben wir es mit einem echten Promi seiner Zeit zu tun, einem der größten Geister aus der Zeit als Spanien Al-Ándalus war. Ibn Al-Baytar wurde wahrscheinlich zwischen 1190 und 1197 in eben unserem Ibn al-ma´din, heute Benalmádena, geboren und erarbeitete sich den Beinamen „al-Nabatí“, der Botaniker. In Sevilla (Isbilia) zunächst als Arzt ausgebildet, beschäftigte er sich vor allem mit dem medizinischen Nutzen von Pflanzen.

Dafür zog er durch halb Spanien, das aber damals überwiegend von den Almoraviden beherrscht war, ein grausam wütender, strengst islamistischer Berber-Stamm, der viele Gelehrte vertrieb, Juden wie selbst Moslems. Von der Toleranz, der Kooperation der „Drei Kulturen“ zu Zeiten des Emirats und Kalifats der Umayyaden war wenig geblieben, nur in einigen kleinen Taifas, in Murcia und Aragón, hielt sich dieser Spirit, den die Nasriden im 13. Jahrhundert nochmals aufleben ließen. Der Naturheilkundler bekam diese Intoleranz zu spüren und wanderte, Blumen pflückend, über Nordafrika bis nach Syrien aus.

Sultan der Apotheken: Ibn Al-Baytar macht Karriere

In Ägypten ließ er sich nieder und wurde zum Sultan Al-Kāmil erhoben, dem Chefbotaniker des Reiches. Das machte ihn gleichzeitig zum obersten Pharmakologen, Professor eines Lehrstuhls und Aufseher über Drogenlabore und Apotheken aller Art, zu einem mächtigen Mann. Er studierte die Werke der Antike, ging mit seinen Schülern auf Exkursionen, konsultierte Heiler und Forscher der gesamten arabischen Welt, zu seiner Zeit das Maß aller Dinge in der Wissenschaft. So formte sich nach vielen Traktaten schließlich sein Hauptwerk, in dem er rund 1.400 Pflanzen beschrieb und bestimmte sowie ihren Wert zur Ernährung und Heilung erläuterte. Das Buch wurde das Standardwerk der Naturheilkunde des Mittelalters.

Übersetzerschulen und Klöster brachten es in andere Sprachen und so in Umlauf, die Spanier ließen es, wie fast alles Geistige, am Ende der Reconquista verbrennen und verbieten, nahmen sich aber vorsichtshalber ein Exemplar mit in die geheime Bibliothek der Inquisition, womöglich, so dachte der pyromane Kardinal Cisneros, findet sich darin ja die Formel für ewiges Leben. Fand sich nicht.

Missverständnisse und Manipulation: Wieso das alte Mauren-Wissen für Europa verloren ging

Bis ins 19. Jahrhundert blieb das Wissen des andalusischen Großvaters der Pflanzenheilkunde, der 1248 in Damaskus starb, für Europäer praktisch verschüttet, bis es aufgeklärte, deutsche Forscher um 1840 neu übersetzten und interpretierten, Pharmakologen die Formeln nachbauten und versuchten, die Wirkstoffe zu identifizieren. Zuvor hatten es andere Publizisten, sozusagen in Raubübersetzungen sich selbst zugeschrieben oder den Namen des Autors "latinisiert", um seine arabische Herkunft zu verschleiern.

Statue am Strand von Benalmadena.
So sah die die Statue vor 20 Jahren aus und so soll sie auch wieder erstrahlen. © Keke999/WikiCommons

Das war gängige Praxis im Umgang mit dem Erbe aus Al-Ándalus und geschah nicht immer aus ideologischer Bosheit, oft auch aus Unwissen, so wurden jüdische Gelehrte häufig für Araber gehalten, weil sie die arabische Namensschreibung übernahmen und Arabisch publizierten oder wurden arabische Namen aus Aussprachegründen latinisiert und mit der Zeit setzte sich fest, dass es sich um Christen gehandelt haben musste.

Doch vieles wurde auch vergessen, ist verschollen oder wurde bewusst verschwiegen. So beschrieb bereits im frühen der im 14. Jahrhundert Ibn al-Jatib, ein Gelehrter aus Loja, Granada, die damals grassierende Pest ausführlich als ansteckende Krankheit, einschließlich vermutlicher Ursachen und möglicher Linderungsbehandlungen und gab Empfehlungen zu Hyghiene, die heute international Standard sind bei Epidemien. Doch der mächtigen Katholischen Kirche in Spanien nutzte die Pest damals für Judenpogrome. Wissen ist Macht. Beides stand nicht allen zu.

In der arabischen Welt blieb Ibn Al-Baytar eine Berühmtheit und wird verehrt wie bei uns ein Albert Schweitzer oder Robert Koch, nur eben 700 Jahre älter. Wenn Sie also das nächste Mal in Benalmádena Urlaub machen, erweisen Sie dem alten Mann mit dem Blümchen in der Hand ruhig die Ehre, vielleicht hat er, indirekt, auch Sie einmal geheilt.

Eines der wenigen originalen Exemplare seines Hauptwerkes (es sind insgesamt elf umfangreiche Traktate bekannt) befindet sich in der französischen Nationalbibliothek und ist über die digitale Bilibliothek Gallica vollständig abrufbar.

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