Es liegt daher weniger an einem geschlossenen Konzept, das es nicht gibt, als an den Ambitionen jedes einzelnen Museumsmachers, ob uns das Picasso-Jahr 2023 neue Aspekte, Bezüge ins Heute, Impulse für gesellschaftliche Diskurse verschaffen kann, für die Picasso, der Künstler, das Genie, der Antifaschist, der Pazifist, der Exilant, der machistische Patriarch, der mediterrane Europäer Pate stehen könnte. Genug Anknüpfungs- und Reibungspunkte hat er ja geliefert, seine künstlerische Größe ist derart unangefochten, dass sein Werk jede Debatte übersteht, ob es auch die touristische Vermarktung übersteht oder er für die junge Generation nur auf einen schrägen Pop-Culture-Opa verkürzt wird, ist keine relevante Fragestellung, wenn es doch um Besucherzahlen und Umsätze geht.
17 Ausstellungen mit Picasso-Thematik wird es allein in Spanien 2023 geben, weitere in Frankreich, wo der Meister 1973 im Exil starb, weitere Ausstellungen gibt es in Deutschland und anderen Ländern Europas sowie natürlich den USA. Während New York mit „Picasso und der Feminismus“ ganz offen auch auf Kontroverse setzt, muss man in Spanien Debattierbares zum Thema mit der Lupe suchen, hier ehrt man lieber den schönen Schein, den Landsmann, das unanfechtbare Genie.
Das Museo del Prado in Madrid macht es sich besonders leicht, setzt auf üppige Repräsentation, das kann es schließlich und kombiniert ab Juni 2023 einfach Werke Picassos mit solchen El Grecos, potenziert also den Starauflauf, und überlässt dem Besucher dann, herauszufinden, wie sehr der eine vom anderen inspiriert wurde, - mutmaßlich der Jüngere vom Älteren.
Das Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, ebenfalls in Madrid, versucht immerhin dem Urknall der gemalten Moderne mit der Schau „Picasso 1906: Die große Transformation“ auf die Schliche zu kommen (November 2023 bis März 2024). Es ist mit „Guernica“ sozusagen der Gralshüter Picassos und hätte so auch die Chance gehabt, an diesem Werk und seiner Geschichte, an Picassos Biographie und seiner russischen Frau Olga eine Debatte über Kunst, Krieg, Zensur, Haltung und Gesellschaft zu entfachen. Aber das ist von einem Museum, das von Beamten geleitet wird, vielleicht doch zu viel verlangt.
Bereits im März zeigt, sozusagen die künstlerische Geburtsstadt Picassos, La Coruña, in ihrem Museo de Belas Artes „Picasso blanco en el recuerdo azul“ zehn kreative Phasen des Künstlers. Den Skulpturen widmet sich ab September das Guggenheim Museum in Bilbao in „Picasso: Materie und Körper“, die gleiche Ausstellung wird bereits ab Mai in Málaga im Museo Picasso zu sehen sein, wie überhaupt das Gros der Huldigungsarbeit zum Todesjahr der Geburtsstadt Málaga zuzufallen scheint.
Im gleichen Haus, dem Museo Picasso in Málagas Altstadt, wird die Schau „Picassos Echo“ ab Oktober versuchen, den Einfluss des Sohnes der Stadt auf seine und kommende Generationen, auf die Kunst des 20. Jahrhunderts insgesamt zu werfen. Eine Ausstellung über die Verkommenheit von Fake-Kunst und Kunstmarkt böte sich im Anschluss an, die ja auch ein Erbe Picassos, wenn nicht sogar seine Rache sind, doch wie gesagt: es ist Jubiläum, es geht um Besucherzahlen, nicht um Inhalte.
Málaga zieht die Sache durch, es wird didaktisches Material für Kinder, einen kostenlosen Audioguide für Besucher der „Ruta Picassiana“ geben, die natürlich auch zum Picasso-Geburtshaus an der Plaza la Merced führt, das gerade runderneuert und mit interesssanten Werken Picassos ausgestattet wurde, die, wie eine Stier-Serie lange im Depot schmachteten. Daneben gibt es natürlich die Dauerausstellung im Museo Picasso und selbst im Russischen Museum Málaga, dem Museo Ruso, das seit einem Jahr sozusagen zwischen den Fronten steht, ersetzen nun Picasso-Lithographie-Leihgaben die Lücken, die Russlands Krieg auch hier hinterlässt.
Da Spanier und noch mehr die Andalusier den Hang haben, jedes Event am Ende in ein Fiesta-Tollhaus zu verwandeln, verwundert es kaum, dass es neben Konzerten, Konferenzen und an Picasso inspiriertem Straßentheater auch eine Gastro-Route „Gastronomía Picassiana“ geben wird, wobei Lokale sich von den zahlreichen Lebensmitteln, die in Picassos Werk aufgefahren werden, zu diversen Tapas-Kreationen anstiften lassen sollen.
Ein „touristisch-kulturelles“ Picasso-Metaversum vervirtualisiert unseren Helden auch irgendwie, weil es heutzutage ohne künstliche „Intelligenz“ wohl nicht mehr geht und zur Feria, dem großen Stadtfest Málagas im August, werden in der Stierkampfarena von Málaga, der Plaza de toros, in der „Corrida Picassiana“ zu Ehren des größten Sohnes der Stadt, einem Fanatiker des Stierkampfes, ein paar Stiere abgestochen werden, ganz kunstvoll natürlich. Picasso wird somit nicht nur sprichwörtlich ausgeweidet. Stierkämpfe werden in Spanien noch immer öffentlich subventioniert, toreros werden verwaltungsrechtlich als „Künstler“ geführt, so wie Picasso.
Doch auch der zweitgrößte Sohn der Stadt, sei nicht vergessen, Antonio Banderas, der in seinem Soho Theater in Málaga und danach wohl auch am Broadway in New York ein Musical über Picasso - Titelrolle: Antonio Banderas – das sollte man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – herausbringen wird. Spätestens an dieser Stelle hören wir Picasso endlich herzhaft auflachen, der sich nicht so sehr über die Feiern zu seinem 50. Todestag freut, wie über den Umstand, tatsächlich tot zu sein.
Unter visita.malaga.eu gibt es eine knappe, übersichtliche Agenda zum Picasso-Jahr in Málaga.
Zentrale Webseite mit den Programmen zum Picasso-Jahr 2023 in Spanien und weltweit.
Geburtshaus Picasso in Málaga besuchen.
Picasso-Museum Málaga besuchen (Tickets mit Zeitfenster möglichst vorher buchen).