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Regisseur der Sinnlichkeit: Zum Tod von Carlos Saura - Meister des spanischen Kinos

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Von: Marco Schicker

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 Carlos Saura, 1932-2023
Abschied von Carlos Saura, 1932-2023 © EFE

Carlos Saura ist am 10. Februar 2023 mit 91 Jahren in Madrid gestorben. Mit ihm geht der letzte Meister des klassischen spanischen Kinos, ein Tausendsassa der Vorstellungskraft, ein großer Humanist.

Madrid - Es ist erst wenige Tage her, da inszenierte Carlos Saura für das Teatro Cervantes in Málaga noch einen „Lorca“. Besser gesagt: „seinen“ Lorca. Denn Saura hatte ein überragendes Talent, Genres, Medien, Stilistiken zu verbinden, zu überlagern, ihre vermeintlichen Grenzen aufzubrechen und mit Intellekt und dem feinen Spürsinn des Ästheten so einzusetzen, dass er sie zu neuen Schöpfungen machte. Und da verwundert es auch kaum, dass in seinem Lorca nicht nur Musik, Poesie und multimediale Bühnengemälde verschmelzen, sondern Lorca selbst in den Körper einer Frau schlüpft. India Martínez in der Titelrolle, bis dato eher als Flamenco-Pop-Prinzessin bekannt, schenkte ihm so, noch ohne es wissen zu können, einen überraschend tiefsinnigen Schwanengesang.

Carlos Saura gestorben: „Der letzte Meister des klassischen spanischen Films“

Mit Saura starb am 10. Februar 2023 91-jährig in Madrid „der letzte Meisters des klassischen spanischen Films“ befindet die Tageszeitung „El País“ und in den spanischen Medien rattern die Journalisten die Liste an Erfolgen herunter, von seinen ersten Achtungszeichen beim Filmfestival von San Sebastián in den1950er Jahren, über seinen internationalen Durchbruch mit „La caza“ (Die Jagd), 1965, der ihm den Bären für die beste Regie bei der Berlinale einbrachte, bis zu den rund 50 Filmen, die es in 70 Jahren Schaffenszeit werden sollten, neben etlichen anderen künstlerischen Projekten.

In den 1960er Jahren, sich der Enge Franco-Spaniens entwindend, versuchte sich Saura in Hollywood, drehte mehrere Filme mit Geraldine Chaplin, mit der er von 1967-1979 verheiratet war. „Peppermint frappé“, „Anna und die Wölfe“ sind Arbeiten aus dieser Zeit, Meisterstücke des Symbolismus und der hintergründigen Satire, um die franqusitische Zensur zu umgehen. Als zentrales Werk dieses cineastischen Widerstands kann „La prima Angélica“ gelten, dessen Aufführungen in Spanien 1973 und 1974 zu Tumulten und Anschlägen durch francotreue Kräfte führten und die bereits agonische Diktatur nochmals herausforderten. Der Film brachte Saura einen Sonderpreis der Jury beim Filmfestival von Cannes ein.

Leise Regie, große Bilder: Carlos Saura, Lorca und der Flamenco

Mit und nach der demokratischen Wende in Spanien bricht es aus Saura regelrecht heraus, mit Komödien und Tragödien in seiner vielschichtigen, dabei sehr persönlichen Filmsprache, arbeitet er sich an den alten Zeiten ab, streut Salz in die Wunden, das heilenden Schmerz verursacht. Saura wird stilistisch immer freier, mutiger auch, aberwitziger, zu einem Renaissance-Menschen des Kinos, dem führenden Regisseur der Transición im Künstlerischen, einem Meister der „Klassik“ wie der Postmoderne.

Carlos Saura: Carmen, 1983
Carlos Saura: Carmen, 1983. Einer seiner großen Erfolge. Hier mit Antonio Gades und Laura del Sol. © Carlos Saura/VEGAP/2021

Lorca blieb dabei ein roter Faden des Meisters der leisen Regie und der großen Bilder, des Cineasten, Autoren, Fotografen. Lorca brachten die spanischen Faschisten um, Saura, 1932 geboren, kämpfte gegen ihre Zensur, legte die Psyche der Diktatur mit künstlerischen Mitteln frei, blieb aber - meistens - im Land, einen Seiltanz auf dem Vulkan vollführend und zunehmend geschützt durch seine internationale Prominenz.

Mit Lorca teilte Saura die Faszination für das einfache Volk und ihre Traditionen, das Dörfliche, auch die Untiefen von Familien-Bande im sogenannten tiefen Spanien, dem Archaischen in den Bergen bei Huesca, wo er herstammt ebenso, wie bei den Gitanos im Sacromonte. Es ist so kein Zufall, dass ein zentraler Teil seines Werkes und nach Ansicht vieler Filmfreunde sein bester Teil, die mit dem Tänzer und Choreographen Antonio Gades gedrehten Filme „Bluthochzeit“ (1981, nach Lorca) „El amor brujo“ (1986, nach Manuel de Falla) sowie „Carmen“ (1983, eine flamenquisierte Bizet-Adaption) geworden sind.

Carlos Saura und der letzte Goya: Preisverleihung 2023 in Sevilla wird zur Hommage

Carlos Saura bei der Eröffnung einer Fotoausstellung.
Carlos Saura bei der Eröffnung einer seiner Fotoausstellungen. Der Meister des spanischen Kinos starb 91-jährig am 10. Februar 2023 in Madrid. © Mariscal/EFE

Im gleichen Atemzug sind seine Arbeiten über die „Volksmusik“, ein Wort, das im deutschen Sprachraum auf unnützes Glatteis führt, zu bewerten: Tiefsinnige Werke, die aus dem Wunsch des Ergründens und Vermittelns entstehen, dabei aber etwas Neues, einen Saura nämlich, schaffen. Hier ist „Flamenco“ (1995) als eine der besten „Beschreibungen“ dieser komplexen Kunst zu erwähnen, natürlich „Carmen“ mit Paco de Lucía, dem Gott der Flamenco-Gitarre, aber auch seine Werke über den Tango, die Jota, den Fado. Der Flamenco faszinierte ihn pausenlos: ”Ich glaube, der Flamenco ist einer der schönsten Dinge, die wir in unserem Land haben”. Werke über Lola Flores, über Sevillanas, den spanischen Tanz schlechthin, entstanden, noch immer tourt eine Ausstellung mit Fotos zum Flamenco, natürlich alle von Saura, durch Spanien.

Trailer zu „Argentina“ von Carlos Saura (2015):

Am Samstag, 11. Februar 2023, sollte Carlos Saura in Sevilla den „Goya“ für sein Lebenswerk erhalten, einen spanischen „Oscar“ erhalten. Sieben Jahrzehnte Arbeit sollten so geehrt werden, sieben Jahrzehnte „umfangreiche und hoch persönliche kreative Beiträge zur Geschichte des spanischen Kinos“, wie es der Akademie-Präsident Fernando Méndez-Leite etwas preisverleihungssteif ausdrückt. Erst am 3. Februar ging Sauras letzter Film in die Kinos, „Las paredes hablan“ (Die Wände sprechen), das einen Bogen spannt von den ersten Höhlenmalereien bis zu den Grafitis heutiger Tage, damit hätte er auch dieses Feld noch beackert. Der Ehrengoya wird nun zur posthumen Hommage werden. Saura kennt die Goyas, allein für “¡Ay Carmela!” gewann er 14 Stück davon.

Carlos Saura über Carlos Saura: „Mein Talent ist die Vorstellungskraft“

Auf die Frage, worin sein Talent besteht, sagte Carlos Saura 2021: „In der Vorstellungskraft. Ich habe die Imagination benutzt, um Geschichten zu erzählen, die mir gefallen und von denen ich denke, dass sie anderen auch gefallen. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Ich wollte immer nur, dass sie mich meine Geschichten erzählen lassen, ein Stückchen weiterkommen, das habe ich mein ganzes Leben versucht.“ Er fühle sich „glücklich und es sei ein Wunder“, dass er über 50 Filme machen konnte, „das Kino, das ich machen wollte“. Seine Biographen sehen die eigene Familie (sieben Kinder mit vier Frauen) und soziale Distanzierungen vielleicht als Preis für dieses Leben, einig sind sich indes alle, dass Carlos Saura zum großen Quartett des spanischen Kinos gehört, mit Luis Buñuel, Luis García Berlanga und Pedro Almodóvar.

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