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Ein Rätsel seit 125 Jahren: Ausgrabungen sollen Dama de Elche entschlüsseln

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Von: Stefan Wieczorek

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Vor alten Ruinen stehen Menschen in Strohhüten in der Sonne.
Schatz der Costa Blanca: Der Fund der Dama de Elche war vor 125 Jahren der Grundstein für das heutige Archäologiegebiet. © Rathaus Elche

Am 4. August 1897 brachten Arbeiten auf einer Finca die spektakuläre iberische Büste zutage. Nun feiert Elche seine Dame - und staunt über ihren Auftritt in einem neuen US-Kinohit.

Elche – Wie es am 4. August 1897 genau geschah, lässt sich heute nicht mehr sagen. Zu viele Legenden haben sich um den sagenhaften Fund an Spaniens Mittelmeerküste gebildet. Wo aber vor 125 Jahren die schillernde Skulptur der Costa Blanca geborgen wurde, weiß man ziemlich exakt. In der Ur-Stadt Ilici, nun als Ausgrabungs-Gebiet La Alcudia bekannt, ruhte im Boden die Dama de Elche. Ein grandioses Exemplar iberisch-phönizischer Kunst, sensationell erhalten. Zu gut, um wahr zu sein. Voller Rätsel bleiben jedoch bis heute die Hintergründe der 2500 Jahre alten Büste, um die ein wahrer Kult entstand.

Costa Blanca: Ausgrabungen sollen Rätsel iberischer Büste entschlüsseln

Vor allem die Bürger von Elche, Spaniens Palmenstadt, verehren, ja lieben ihre mysteriös-erhabene, aber irgendwie auch mütterlich wirkende Dame. Mit Sehnsucht erwartet Elche ihre Rückkehr – aus Madrid, wo sie nach einer Odyssee über das Louvre in Paris landete. Forscher dagegen versuchen seit Jahrzehnten die Rätsel der Dama de Elche zu entschlüsseln. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Aber das könnte sich bald ändern. In La Alcudia laufen neue Ausgrabungen: Es ist die zweite Phase eines Generalplans der Region Valencia, der das Gebiet bis 2029 tiefgreifend erforschen soll.

Die Ausgrabungen im Süden der Costa Blanca betreffen just den südöstlichen Sektor des Areals, wo 1897 die mysteriöse iberische Büste wie aus dem Nichts auftauchte. Die verbreitete Version des sagenhaften Fundes besagt, dass ein Junge namens Manolico beim Umgraben des Ackers auf die Skulptur stieß und sozusagen als erster Mensch des modernen Elche in das Antlitz der steinernen Ibererin blickte. Doch laut neueren Forschungen ist diese Geschichte wenig wahrscheinlich, wenn nicht ein Mythos schlechthin. Denn die ältesten Quellen von 1897 sagen nichts zu Manolico.

Wie eine Heiligensage: Dama de Elche im US-Kinohit

Erst im 20. Jahrhundert stieß Archäologe Alejandro Ramos auf Manuel Campello, einen älteren Herren von der Costa Blanca, der angab, als Junge („Manolico“ genannt) die iberische Büste gefunden zu haben. Da der Forscher dieser Schilderung glaubte und sie gezielt förderte, verbreitete sich die durchaus an spanische Heiligensagen erinnernde Erzählung vom Kind, das auf eine mythische Figur stieß. Tatsächlich beten manche Menschen der Palmenstadt die Dama de Elche regelrecht an, als handle es sich um ein Bild der Jungfrau Maria.

Der Kult um die Dama de Elche verbreitet sich indes nach und nach über Spaniens Grenzen hinweg. Im neuen US-Kino-Hammer „Thor: Love and Thunder“ hat die iberische Dame sogar einen kleinen Auftritt. In einer Szene mit Götterfiguren aus aller Welt taucht die Frau mit dem charakteristischen radförmig geflochtenen Haar und entsprechendem Kopf- und Halsschmuck auf. Im neuen Kinofilm wird sie zwar als punische Göttin Tanit ausgewiesen. Dass sich die Macher aber sicher in Elche bedienten, zeigen die Credits am Ende des Films, in denen von einer „Elche Goddess“ (Göttin aus Elche) zu lesen ist.

Erst 15 Prozent: Rätsel um Hohlraum im Rücken

Tatsächlich gilt besagte Göttin auch unter spanischen Forschern als eine der Kandidatinnen, die hinter der rätselhaften iberischen Büste stecken könnte. Nun spricht viel dafür, dass sich das Dunkel um die Dama de Elche lichten wird. Denn, wie etwa die Rektorin der Universität Alicante (UA), Amparo Navarro, neulich beim Besuch des Fundortes der Dama de Elche verlauten ließ, seien bisher erst 15 Prozent von La Alcudia erschlossen. Eng verbunden ist die heutige Ausgrabungs-Stätte mit Alicantes Bildungsinstitut, vor allem über die Stiftung La Alcudia, die 1996 durch ein Abkommen der UA, der Stadt Elche und der Archäologenfamilie Ramos, der das Gebiet gehörte, entstand.

Den Tod des Machers dieses Projekts, Rafael Ramos, betrauerte vor einem Jahr ganz Elche. Erst Anfang 2021 hatte der verdiente Archäologe sein letztes Buch über die Dama de Elche veröffentlicht, in dem er unter anderem die plausibelsten Theorien zu ihrer Identität zusammenfasste. Es scheine, so der Archäologe von der Costa Blanca, dass die Figur, die wohl als kunstvolle Urne diente, – daher der kleine Hohlraum in ihrem Rücken – eine verblüffende Ambivalenz aufweise: Zum einen sei die Dama de Elche als eine Gottheit ihrer Zeit zu deuten, vielleicht eben besagte Tanit, die große Kultfigur des vorantiken Mittelmeeres.

Göttin und Mensch zugleich: Für 30 Euro ans Louvre

„Doch verkörpert wird die göttliche Gestalt durch die menschliche Figur einer Priesterin“, schrieb Forscher Rafael Ramos und versuchte die seltsame doppelte Natur der vor 2.500 Jahren in Stein gehauenen Frau in Worte zu fassen. Göttin und Mensch zugleich sein – was intellektuell nur schwer zu definieren ist, vermögen die Menschen von Elche auf ureigene Weise mit dem Herzen zu erspüren. Mit seiner Arbeit führte Rafael Ramos, selbst ein waschechter Elcher, das Lebenswerk seines Vaters fort, des oben genannten Alejandro Ramos (gestorben 1984), der in den 1930er die ersten großen Ausgrabungenin La Alcudia geleitet hatte. Längst weilte die Dame da im Ausland.

Denn nur einige Tage nach ihrem Fund geschah das Drama: Dem Grundstücksbesitzer, Arzt Manuel Campello, bot sich die Gelegenheit, die Figur ans Louvre zu verkaufen. Für 5.200 Peseten, umgerechnet 30 Euro (!), zog sie also fort, die Figur, der man freilich erst in Paris den Titel „Dame aus Elche“ verlieh. Was für eine Ironie: In ihrer Heimatstadt hatte man sie noch mit einer „reina mora“ (maurische Königin) verwechselt. Nach Spanien kehrte die Dama 1941 zurück, als Diktator Franco, unter gehöriger Medienpropagande, die Schwäche des Nazi-besetzten Frankreichs nutzte.

Darstellerin der Dama de Elche legt Blumen neben Figur nieder.
Zum Jahrestag des Fundes der Dama de Elche legt eine „lebendige Dame“ am Fundort Blumen nieder. © Rathaus Elche

Himmlische Gesetze: Warum keine Rückkehr?

Zunächst im Prado ausgestellt, kam die Ibererin 1971 im Nationalen Archäologiemuseum unter. Bis heute. Um eine feste Rückkehr in ihre Heimatstadt ringen Elche und Madrid seit gefühlten Ewigkeiten. Vordergründig spielen Sorgen um den Zustand der jahrtausendealten Dame eine Rolle, in Wirklichkeit aber auch ihr politisches Gewicht. Ja, beachtlichen weltlichen Einfluss kann die göttliche Dame ausüben. Das bewies sie etwa, als Spanien nach ihrem Abgang 1897 die Gesetze zum Verkauf archäologischer Funde und zur Regulierung von Ausgrabungen verschärfte. Auch Frankreich setzte nach dem Verlust der Dame 1941 ein neues Gesetz ein, um solche Exporte fortan zu verbieten.

Kein Wunder, dass sie so begehrt ist, diese aus Elcher Gestein geschnitzte Frau, mit ihrer himmlisch-irdischen Wirkung über die Grenzen der Länder hinweg. Nur eines vermag (oder beabsichtigt?) die Dama de Elche momentan nicht zu erwirken: Ihre Rückkehr aus Madrid in ihre Heimatstadt. Vergeblich bemühte sich Elche darum, die iberische Büste 125 Jahre nach ihrem Fund „zu Hause“ zu beherbergen. Doch was steckt dahinter? Die Zeitung „Información“ hakte in diesen Tagen bei der Frau an, die für den letzten Besuch der iberischen Dama de Elche an der Costa Blanca gesorgt hatte: Carmen Calvo, 2006 als spanische Kultusministerin für die mehrmonatige Ausstellung der Büste in Elche zuständig.

Befürchtetes Bröckeln: Spanische Sorge

Im Gespräch warb Spaniens beliebte sozialistische Politikerin Carmen Calvo um Vertrauen für den nun zuständigen Kultusminister Miquel Iceta (beide PSOE), übte aber indirekt Kritik an ihm. Iceta nämlich erlaubt partout keine Abreise der Dama de Elche aus Madrid und beruft sich auf Weisungen von Fachleuten, die 2500 Jahre alte Statue könnte auseinanderbröckeln. „Positionen von Experten sind sehr rigoros, aber wir Politiker sind dazu da, Risiken einzugehen“, sagte die PSOE-Dame.

Die Dama de Elche in Madrid.
Die Dama de Elche bleibt in Madrid, auch zum 125. Fundjubiläum gibt es keine Ausnahme. © EFE/MAN

Dabei räumte Carmen Calvo jedoch ein, dass die Zentralregierung in Madrid neben materiellen Schäden noch ein anderes ernstes Risiko befürchte: Wenn die Dama de Elche nämlich an die Costa Blanca reist, könnten auch andere Orte des Landes ihre vielen spanischen Kulturgüter aus der Hauptstadt für sich beanspruchen. „Ich habe es selbst erlebt“, so die Sozialistin, die 2006 mit der Reise der Dama de Elche Ansätze dieses Auseinanderbröckelns in Spaniens Kulturszene auslöste.

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