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Bilder der Costa Blanca: Der Mann aus Bronze, der mit Licht malte

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Von: Stefan Wieczorek

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An einer Wand hängt ein dreiteiliges Gemälde, vor dem Touristen Fotos machen.
Touristen in Alicante, der Stadt des Lichts: Bild von Gastón Castelló im Rathaus. © Ángel García

Das Image einer „Stadt des Lichts“ hat Alicante schon lange. Doch keiner bildete ihren Glanz so ab wie Gastón Castelló. Die strahlende Geschichte eines Malers aus Spanien, der den Krieg im Zirkus überlebte, im Gefängnis Mithäftlinge als Modelle sah und noch heute als Figur aus Bronze Alicantes Herzen erwärmt.

Alicante - Vieles wird Alicante, der Stadt an der Costa Blanca, nachgesagt. Sie biete tolle Sommer-Urlaube. Sie stehe auf der „besten Erde der Welt“. Und als „Stadt des Lichts“ tauften sie schon die Römer. Doch Alicante ist auch die Stadt des stetigen Trubels. Der Menschen in Bewegung, des Kommens und Gehens, des Lärms auf den Straßen. Der einzige, der mitten im Zentrum die Ruhe zu bewahren scheint, ist der Mann aus Bronze auf dem Platz 25 de Mayo. Lässig schaut er hoch, auf der Bank sitzend, ob Menschen mit Einkaufstüten vorbeirauschen, digitale Bilder machen oder sich betrinken. Es ist Alicantes Maler, Gastón Castelló.

AlicanteStadt in Spanien
Fläche:201,3 km²
Bevölkerung:331.577 (2018)
Provinz:Provinz Alicante

Bilder von Alicante: Das Leben von Gastón Castelló - Maler des Lichts

Dass Gastón Castelló eine schillernde Künstler-Figur von Alicante feurigem Sommer-Fest war, vermutet man nicht, wenn man in das bronzene Gesicht des Mannes auf der Bank schaut. Sein Blick könnte Heiterkeit wie Traurigkeit verbergen, in die Leere oder auf ein Ziel - ein Bild vielleicht - gerichtet sein. Vielleicht ist das das Geheimnis der Anziehungskraft des „sitzenden Mannes am Mercado Central“, wie ihn selbst unkundige Menschen der Costa Blanca kennen und schätzen. Ob es ältere Herrschaften sind wie er, Teenies mit Handy, Kinder, die auf seinen Schoß klettern oder Vierbeiner, die sich an ihn schmiegen.

Auf alle wirkt der metallene Gastón Castelló - ein Werk von Bildhauerin Izabella Jagiełło - einladend, irgendwie vertraut. Der Maler war ja ein echter Alicantiner, geboren am 3. November 1903 in einer Konservenfabrik im Viertel Benalúa. Dort war sein Vater Chefmechaniker und als „el francés“ bekannt, weil er aus dem kolonisierten Algerien stammte. Daher auch Gastóns französischer Vorname. „Dort, in der Fabrik, sah ich die ersten Lichter“, berichtete der Künstler aus Alicante einmal. Dass die Optik der „Stadt des Lichts“, wie man Alicante bis heute nennt, eine besondere ist, erkannte er früh. Und stellte sie in Bildern dar.

„Ich hatte früh den Eindruck eines sehr warmen Menschen. Eines, der dazu einlädt, sich zu ihm zu setzen.“

Izabella Jagiełło, Bildhauerin

Feuriges Fest im Sommer ebnete Maler aus Alicante den Weg

Fasziniert zeichnete der Maler aus Alicante bereits als Kind die Welt um ihn. Dinge des Alltags: Arbeiter der Fabrik, Tomaten schälende Frauen. Diese Bilder beeindruckten den damals gefragten Künstler Fernando Cabrera, der den 17-jährigen Gastón Castelló nach Alcoy, ins Hinterland der Costa Blanca, als Lehrling holte. Bald stellte Castelló mit Impressionist Emilio Varela Werke aus, und 1924 brachte ihm das Plakat für ein großes Sportfest genug Geld, um nach Madrid weiterzuziehen. Dort zeichnete er für Werbeagenturen und lernte abends in Gratiskursen der Gesellschaft der Schönen Künste.

1926 hieß die nächste Station Paris, wo Gastón Castelló dank des Vaters die Sprache sprach und Kopien von Kunstwerken anfertigte. „Die Stücke, die das Museum nicht los wurde, verkaufte ich in Montmartre“, erzählte Castelló. Der Impressionismus, „in seiner Tiefe“ kennengelernt, prägte den Maler aus Spanien für immer. Nun schien er mit dem Rüstzeug ausgestattet, um einen eigenen Weg zu gehen. Der begann 1928, als José María Py in Alicante das Johannisfest Hogueras de San Juan begründete. Das Sommer-Fest der kunstvollen Figuren, die am Ende im Feuer enden. „Eine Gunst des Schicksals“ für Gastón Castelló.

Zwei schwarzweisse Fotos eines Künstlers, mal beim Basteln, mal beim Malen vor Stadtkulisse.
Bilder von Alicante: Gastón Castelló mit Hogueras-Figur (links) und beim Zeichnen der Stadt. © Archiv CBN

Erst die Straßenbahn, dann die Revolution: Gastón Castelló mixte viele Stile

Der Bau der kunstvollen Figuren zum Fest von Alicante war ein Feld zum Probieren: „Ich praktizierte Bildhauerei, Fresko, Malerei mit Tempera oder Kasein“, erzählte Gastón Castelló. Die „Silberlinge, um zu reisen und noch ernster zu studieren“ gaben ihm die gewonnenen Preise. Zehnmal schaffte er Platz eins, mit 33 Hoguerasfiguren insgesamt. Das 1928er Werk, die getreue Darstellung einer Straßenbahn, baute Castelló mit Juan Such und José Marced noch deutlich im Stil der Fallas von Valencia. Als Castelló 1930 allein bauen durfte, war der Weg für seine Revolution frei.

In „Die fünf Sinne von Alicante“ ersetzte Castelló das Wachs und Kleider der Figuren durch Pappe und holte sie von den Bühnen, auf denen sie wie auf Sockeln standen. Nun waren Größe und Gewicht unbegrenzt, und damit die Kreativität des Künstlers. Castelló schuf jetzt lange, geometrische Formen und versah seine Bauten mit Stilen, die er aus Paris kannte. Europäisches Art déco mixte er mit amerikanischem, kombinierte antike Ornamente und graziöse Gestalten mit Titanen und aerodynamischen Kurven. Gastón Castelló hatte Alicante einen neuen Stil geschenkt: den „estilo alicantino“.

Unzulänglichkeiten? Die würde schon das Feuer auslöschen

Castelló schuf Situationen, mit Gestalten geradezu in Bewegung. „Cineastische“ Effekte bescheinigten ihm Betrachter. Castelló tobte sich in seinen immer atemberaubendere Höhen erreichenden Werken aus, wie der Schöpfer einer Kunstwelt. Einer Welt mit Menschen, Tieren, deren Proportionen allerdings nicht nach Realität aussahen – das sah man an ihren Gesten und Handlungen. „Ich will nicht, dass die Figuren echt aussehen“, sagte Castelló. „Ich finde realistische Figuren schrecklich.“ Grau, Braun, Ocker – die Farben von Ton und Erde trugen die Hogueras, in denen Castelló mit Licht und Schatten spielte, was besonders nachts Effekte erzielte. Unzulänglichkeiten nahm er bewusst in Kauf. Die würde schon das Feuer auslöschen, in dem die Werke landen würden.

Eine Figur verbrennt in einem Feuer.
Zu Alicantes Fest „Hogueras de San Juan“ gehören kunstvolle Figuren, die im Feuer enden. © Manuel Lorenzo/ efe

In Gastón Castellós Abkehr vom Fallas-Stil erkannte mancher Betrachter politische Motive. Der Künstler selbst sah die Themen seiner Werke als „kritischer Konstruktivismus“. Zumeist auf die Welt von Alicante gerichtet, ging der Maler und Bildhauer im Sommer 1933 jedoch mit einer künstlerischen Gewissensstudie weit über die Grenzen seiner Stadt hinaus. In seiner vielleicht symbolträchtigsten Hoguera-Figur „El món dels imperfeccions“ -Die Welt der Unzulänglichkeiten - bildete er die Vorherrschaft des Starken über den Schwachen ab. Dabei setzte Castelló bildlich schon beim Insekt an und schloss beim Menschen ab.

Spanischer Bürgerkrieg zerbrach die farbenfrohe Harmonie

Den Blick auf Benachteiligte und Vertriebene hatte Gastón Castelló von der Familie erhalten: Die Großeltern, Bauern aus Cocentaina, zog es wegen Armut nach Algerien. So waren Migration und ihre Folgen eine der Konstanten in den Werken des Malers von der Costa Blanca. Die Würdigung des traditionellen Handwerks war eine weitere seiner Prioritäten, weshalb Castelló auch mal regionale Tongefäße als Schmuckelemente für seine Bilder und Werke wählte. Alicantinische Volksmusik und Tänze waren weitere Merkmale des „estilo alicantino“.

Von den universellen Themen schwenkte Gastón Castelló regelmäßig zu Alltagssorgen der Costa Blanca, kritisierte etwa die schlechte Anbindung von Alcoy nach Alicante oder den Verfall seiner geliebten Viertel Santa Cruz und San Roque. „Castelló war der erste plastische Künstler, der auf die Straße ging, mit dem Volk sprach, und so in der Lage war, den Anliegen der Menschen Größe und Würde zu verleihen“, schrieb Autor José Vicente Mateo. Die Harmonie, die der Künstler trotz Unzulänglichkeiten in der Welt um ihn sah, zerbrach 1936 mit dem Spanischen Bürgerkrieg.

Ein Gemälde von einer Frau, die in Richtung Meer schaut und einem Boot zuwinkt.
Bilder von Alicante: „La despedida“, der Abschied, von Gastón Castelló. © Universität Alicante

Castelló musste eine geplante Fahrt nach Paris absagen und blieb in Alicante, wo er als Mitglied der Malergewerkschaft Balkone und Türen restaurierte. Da verpflichtete ihn die rote Propaganda – Alicante war republikanische Hochburg – zum Anfertigen riesiger Porträts von Lenin, Negrín oder Azaña. Doch der Krieg war nicht Castellós Welt. „Das Leben war fast unmöglich, wegen des Hungers und der feindlichen Attacken“, erzählte er. Nach dem Bombardement von Alicante am 25. Mai 1938 (an dieses gedenkt der Platz mit der Bronze-Figur) zog der Maler – mangels Familie nicht gebunden – nach Albacete, wo er sich einem Zirkus anschloss.

Maler im Gefängnis: „Ich war umgeben von hunderten lebenden Modellen.“

Nun schmückte Gastón Castelló Gesichter, frischte Schmuckelemente auf und stand sogar mit einem Clown namens Popy auf der Bühne. Nach Kriegsende steckte das Franco-Regime Castelló ins Gefängnis. Für „subversive Kunst“ gab es sechs Jahre Haft. Doch auch den dunklen Klecks verwandelte Castelló in Form. „Ich war weit davon entfernt, die Haft als Strafe zu empfinden“, sagte er. „Ich war ja plötzlich umgeben von hunderten lebenden Modellen, die sich gern malen ließen, ob in Pose, beim Schlafen, Tätowieren oder Spielen auf dem Hof.“ Aus Platzgründen wechselte Castelló die Maltechnik von Öl zu Aquarell.

Im harten Winter 1939 bildete er damit surreal wirkende Szenen ab, mit Häftlingen, die in Lumpen gehüllt, übereinander gestapelt lagen. Nach nur 18 Monaten ließ das Franco-Regime Castelló frei, da er Kirchen restauriert hatte. Sofort brach er wieder auf zur Suche nach Inspiration. In Algerien fand er sie in Künsten von Nomaden, in der Schweiz, in die ihn Maler Joseph Lachat eingeladen hatte, in Mosaiken. „In Mexiko konnte ich Wandgemälde der großen Künstler Rivera, Orozco, Sigueiros bewundern“, erzählte der Alicantiner über seine Weltreisen.

Eine gemalte Karte der Costa Blanca, neben Figuren von Fischern und Bauern.
Bild der Costa Blanca: Maler Gastón Castellón schenkte Alicante diese Hommage (im alten Busbahnhof zu bewundern). © Alicante Vivo

„Überall versuchte ich, indigene Menschen und exotische Landschaften abzubilden. So verinnerlichte ich asiatische, afrikanische, skandinavische, süd- und mittelamerikanische Figuren.“ Die Stile fügte er in die Bilder ein, die er malte, wenn er nach Spanien heimkehrte. Nach einigen Erfolgen bei den Hogueras in den 40ern trat er 1950 als Festkünstler zurück. Hier sorgten nun andere für Avantgarde. Ramón Marco etwa, bis heute mit 22 Siegen Rekordhalter der Hogueraskunst. Castelló hingegen erschuf nun – bevorzugt auf großen Wänden – Ikonen von seiner Heimat. Mit Mustern und Farben, die er rund um den Globus gesehen und gelernt hatte, bildete er die Schönheit der regionalen Merkmale seiner „Terreta“ ab.

Wie ein von Unzulänglichkeiten befreiter Ort

Fischer, Bauern, Handwerker, Tiere, Palmen und Meer. Mit beinahe kindlichem Charme, so farbenfroh und kristallklar, wurden die Werke dieser Zeit zur plastischen Chronik der Provinz. Auf dem Mosaik im Palast der Diputación – ein Vermächtnis des Künstlers aus dem Jahr 1978 – wirkt seine Heimat, mit perfekter Harmonie von Frau und Mann, Arbeit und Tanz, Maure und Christ, Alt und Neu, wie ein von Unzulänglichkeiten befreiter Ort. Farbig strahlend zeigen auch die Wandbilder der alten Busstation pflückende Bauern, werkelnde Frauen, eine stillende Mutter und ein aufspringendes Pferd.

Das Leben mit einem liebenden Menschen an der Seite war Gastón Castelló zwar nicht vergönnt, doch blieb Alicante die stets auf seine Heimkehr wartende Liebe. Als er am 16. Mai 1986 starb, weinte die ganze Stadt. Bürgermeister José Luis Lasaletta schrieb: „Wir haben einen ehrenvollen und einfachen Menschen verloren, einen Künstler von großer Statur, einen redlichen Alicantiner mit volkstümlichen Wurzeln und unglaublicher Sanftheit.“

Auf einer Sitzbank sitzt eine bronzene Figur eines Mannes in Anzug.
Bilder aus Alicante: Auf viele Menschen wirkt der Maler aus Bronze einladend. Oft werden Selfies gemacht. © Ángel García

Schaut man genau hin, ist all dies auch im Mann aus Bronze am Markt enthalten. „Ich hatte früh den Eindruck eines sehr warmen Menschen. Eines, der dazu einlädt, sich zu ihm zu setzen“, berichtet die polnische Bildhauerin Izabella Jagiełło, die die Skulptur für die Stadt Alicante 2003 schuf. Sein letztes Bild zeichnete Castelló in der Klinik Vistahermosa, in der er wegen eines Lungenödems behandelt wurde, einen Tag vor seinem Tod. Es ist die Skizze einer Frau mit Tränen auf den Wangen, aus Traurigkeit oder aus Freude. Der Künstler schrieb einen Titel unter das Portait: „La Esperanza“, die Hoffnung.

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