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Costa Blanca: Schnipsel vom toten Dichter - Streit bleibt offen

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Von: Stefan Wieczorek

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Junger Mann mit Hemd gestikuliert vor Porträt in Spanien.
Costa Blanca, Haus des toten Dichters: Wer ist der wahre Hernández, die eingerahmte Ikone oder der Darsteller aus Fleisch und Blut? © Stefan Wieczorek

Darf man mit dem Gesicht eines Toten Kampagne machen? In Spanien tun das politische Lager mit dem Bild von Miguel Hernández. Was der Dichter selbst dazu sagen würde? Neulich ergab sich in seinem Haus die Chance, ihn direkt zu fragen.

Alicante - Ach, wenn er doch noch leben würde und ein Machtwort spräche. Oder zumindest einen Schnipsel mit einem Urteil hinterließe. Das wünschen sich an der Costa Blanca rivalisierende Lager in Bezug auf den toten Dichter Miguel Hernández (1910-1942). Im Streit um die Schulpolitik verwenden nämlich die Kritiker der Aufwertung der Regionalsprache Valenciano gegenüber der spanischen Sprache Castellano das Porträt von Hernández. Motto: „Wir wollen in Miguels Sprache lernen“. Das finden viele Anhänger des Poeten aber unerhört. Denn er war Kommunist - und die Castellano-Kampagne ist konservativ geprägt.

Miguel Hernándeztoter Dichter
Geboren:30. Oktober 1910, Orihuela
Verstorben:28. März 1942, Alicante

Costa Blanca: Schnipsel vom toten Dichter - Streit um spanische Sprache

Würde man die Bürgerkriegs-Zeiten des toten Dichters auf heute übertragen, wäre das konservative Lager im Streit um die Sprache an Schulen noch heute der Feind von Miguel Hernández. Das meinen linksorientierte Menschen in Spanien wie Lucía Izquierdo, also Hernández´ Schwiegertochter. Nie und nimmer, glaubt Izquierdo, würde ihr Vorfahr mit dem Haufen gemeinsame Sache machen, der mit seinem Gesicht Kampagne gegen die Valenciano-Aufwertung der Landesregierung macht. Ihr schrieb am 15. Mai Miguel Ángel Robles von der Lehrerplattform für Sprachenfreiheit von der Costa Blanca einen offenen Brief.

Im Streit um die Sprache sei das konservative Lager, das das Porträt des toten Dichter nutzt, laut offenem Brief von Miguel Ángel Robles nicht gegen das Valenciano. Aber sehr wohl gegen den Zwang dazu. „Wir verteidigen die Freiheit, in der Muttersprache zu lernen“, erläutert der Lehrer. Es sei dieselbe Freiheit, wie sie Miguel Hernández in Spanien verteidigte, als er sich gegen Machtmissbräuche seiner Zeiten stemmte. Miguel Ángel Robles weiter: „Der Dichter steht uns nahe, als Mann vom Lande und zudem als Universalpoet, der all seine Werke auf Spanisch schrieb“.

Costa Blanca: Schnipsel vom toten Dichter - Auch Kommunisten machen mit Hernández Kampagnen

Ferner wies der Lehrer darauf hin, dass auch heutige Kommunisten das Porträt des toten Dichters für ihre Kampagnen nutzen. „Doch mit dem heutigen Wissen über den Gulag und die Vernichtung von Millionen von Menschen wäre das nicht im Sinne des Poeten.“ Fakt ist: Hernández war eingetragener Kommunist und starb als solcher 1942 in franquistischer Haft. Fakt ist aber auch: Sein Valenciano war miserabel. Um Valencia machte er auf seinem kurzen, aber bewegten Lebensweg einen großen Bogen. Viel eher ist er Andalusien oder Madrid verbunden. Wie der Poet wohl heute über die umstrittenen Dinge denken würde?

„Wenn die Abwesenheit uns in zwei Teile bricht, dann liebe ich dich mit Vehemenz. Mit Vehemenz werde ich sterben“

Miguel Hernández (1910-1942), „Eifersüchtiger Frühling“

Am Wochenende war an der Costa Blanca tatsächlich die Chance da, es den toten Dichter zu fragen: In seinem Haus Casa Museo in Orihuela öffnete ein Miguel Hernández aus Fleisch und Blut die Tür. Zum internationalen Tag der Museen ermöglichte das eine theatralisierte Tour mit einem charmanten, fast engelsgleichen Poeten. Wie selbstverständlich führte er durch das Haus und erzählte mit Gefühl gespickte Anekdoten. Von den Nöten eines armen Bauernjungen in einer Eliteschule etwa. Von der Strenge und harten Arbeit seiner Eltern. Vom Verliebtsein in Josefina Manresa, die später als Witwe sein Lebenswerk bewahrte.

Costa Blanca: Schnipsel vom toten Dichter - Machtwort am Feigenbaum

An der berühmten Feige im Garten angelangt, trug der lebendig gewordene Dichter die „Elegia“ vor, ein in ganz Spanien bekanntes Meisterwerk für seinen 1935 jung verstorbenen Freund, den (konservativen) Publizisten Ramón Sijé. „Weinend will ich der Gärtner der Erde sein, in der du weilst, so früh, Gefährte meiner Seele“. Einige Besucher konnten nicht anders, als die ikonischen Trauerverse mitzuflüstern. Im Verlust und in der Liebe seien wir doch alle vereint, meinte der Poet und bat am Ende um einen Gefallen: Die gemeinsame Lesung des Liebesgedichts „Primavera celosa“ (Eifersüchtiger Frühling).

Besucher von Museum im Freien im Garten in Spanien unter Feigenbaum.
Costa Blanca: Schnipsel vom toten Dichter - Nach der emotionalen Lesung löste sich Hernández (rechts) wieder in Luft auf. © Stefan Wieczorek

Jeder Besucher bekam einen Schnipsel vom toten Dichter, der am Tag der Museen zum Leben erwachte, und sollte beim Lesen eines Menschen gedenken, den er besonders lieb hat oder vermisst. „Du hast mir das Herz gestohlen und heute hast du deinen Flug überstürzt. Mit einem April voller Leidenschaft, und mit einem Mai voller Eifersucht.“ (...) „Ich küsse und ich liebe, ich liebe und ich sterbe. Wenn die Abwesenheit uns in zwei Teile bricht, dann liebe ich dich mit Vehemenz. Mit Vehemenz werde ich sterben.“ Ein emotionaler Moment wurde es am Feigenbaum im Garten des Hauses von Miguel Hernández.

Doch siehe da: Kaum war die bewegende geteilte Lektüre vorbei, hatte sich der Poet in Luft aufgelöst. Ohne, dass wir ihn nach Valenciano oder dem Kommunismus gefragt hätten. Aber das Gefühl blieb, dass der tote Dichter im Haus seiner Jugend dennoch ein Machtwort gesprochen hatte. Oder es uns zumindest als Schnipsel zugesteckt hatte.

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