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Versteckte Briefe in der Wäschekiste - Die Witwe, die Franco austrickste

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Von: Stefan Wieczorek

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Ein Wandgemälde mit grauen Frauengesichtern in Spanien.
Costa Blanca: Witwe Josefina Manresa auf Gemälde „Frauen von Miguel Hernández“ ganz rechts. © Stefan Wieczorek

Wie eine arme Näherin aus Spanien ein sagenhaftes Erbe rettete: Josefina Manresa, zum internationalen Tag der Poesie. Bebildert mit zauberhaften Wandgemälden aus Orihuela.

Orihuela – Am Tag der Poesie, 21. März, ist in Spanien und besonders an der Costa Blanca ja kein Vorbeikommen an Miguel Hernández, dem großen Dichter aus Orihuela, nach dem neuerdings sogar der Flughafen Alicante benannt ist. Dem wäre aber nicht so ohne Josefina Manresa, seine Ehefrau und langjährige Witwe, die seine Werke durch die Diktatur rettete. 5.000 Dokumente, Gedichte, Briefe, hielt sie in einer Wäschekiste versteckt und trickste so das Franco-Regime aus - in der festen Hoffnung auf ein Spanien, das das sagenhafte Erbe einmal schätzen würde.

Josefina ManresaEhefrau von Miguel Hernández
Geboren:2. Januar 1916, Quesada
Verstorben:18. Februar 1987
Ort der Beerdigung:Friedhof Alicante

Josefina Manresa, die Näherin aus Andalusien, ist nicht nur im Vergleich zu ihrem berühmten Mann kaum eine Fußnote der spanischen Geschichte. Selbst in Orihuela, wo sie Miguel Hernández kennenlernte, wirkt sie wie eine Randfigur. Die Wandgemälde „Murales von San Isidro“, die den folgenden Text bebildern, stellen sie in der Reihe der „Frauen von Miguel Hernández“ als graue Maus ganz am Rand dar. Dabei war sie es, die die Franco-Diktatur austrickste und die Gedichte und Briefe versteckte, die den Dichter in ganz Spanien bekannt machen würden.

Costa Blanca: Versteckte Briefe in Wäschekiste - Witwe mit schmerzendem Herz

Dass Josefina Manresa das Erbe von Miguel Hernández vor der Franco-Diktatur versteckte - tausende Briefe, Gedichte, Dokumente jahrzehntelang in einer Wäschekiste - , scheint selbstverständlich. Heute sorgt an der Costa Blanca und in ganz Spanien jeder Schnipsel des Dichters für Entzücken. Aber heute ist heute. Als 1942 aus der Ehefrau eine Witwe wurde, war von Hochachtung keine Rede. Ihr Mann starb in Alicante elend in Haft, als verachteter Republikaner, Kommunist, Feind des Regimes. Für die Andalusierin, eine arme Näherin, bargen die Verse eine große Gefahr.

Nicht nur für die Witwe selbst. Auch für den Sohn, Manuel Miguel, der drei Jahre alt war, als Papa starb. Er war das zweite Kind des Paares. Der erste Sohn, Manuel Ramón, war 1938 nur einige Monate alt geworden. Dass er nicht überlebte, lag am Elend der Familie im spanischen Bürgerkrieg. Für die 22-Jährige Josefina Manresa war es der bisher schrecklichste, aber nicht der erste schmerzhafte Verlust von geliebten Angehörigen in kurzer Zeit.

Ein Jahr zuvor war Josefina Manresa bereits zur Ernährerin ihrer vierer Geschwister geworden. Ihr Vater, ein Beamter der Guardia Civil, fiel 1936, getötet von linken Fanatikern, obwohl seine Truppe der Republik treu geblieben war. Das nahm seine Frau so mit, dass sie 1937 an der Trauer um ihren Mann starb. Josefina erfuhr vom Tod ihrer Mutter in den Flitterwochen. Kurz zuvor hatte sie Miguel Hernández standesamtlich geheiratet.

Ein Wandbild mit republikanischer Flagge und Soldaten aus Spanien.
Costa Blanca: Versteckte Briefe in Wäschekiste - Wandbild mit Republik-Kämpfern. © Stefan Wieczorek

Ein Schiff für die Überfahrt - Erst Liebesbriefe, dann Bruch

1933 hatte die aus Jaén, Andalusien, an die Costa Blanca zugezogene Spanierin den Poeten beim Fest in Orihuela getroffen. Lange warb er um ihre Gunst vergeblich. Bis er ihr in der Stadt vor einer großen Pfütze begegnete. „Brauchen Sie ein Schiff für die Überfahrt?“, sagte Miguel Hernández und brachte die schüchterne Josefina Manresa zum Lachen. Sie wurden ein Paar. Mit Blumen und Poesie überhäufte er sie. Die bekannteste dieser Widmungen: Das Gedicht „Ser onda, oficio, niña, es de tu pelo“.

Welle sein, ist der Beruf, Mädchen, deines Haars,
geboren bereits für den Beruf des Meeres;
anmutig und brünett sein, deine Übung
und deine beispielhafteste Tugend: Himmel sein.

Wie Josefina Manresa später zugab, war ihre Beziehung mit Miguel Hernández jedoch auch eine „voller Scheu und Distanz“. Das sei damals halt unter jungen Verliebten so gewesen, erklärte sie. Aber sie habe die Unschuld auch nicht vorschnell verlieren wollen, denn „es war das einzige, was ein Mädchen damals besaß“, schrieb die Witwe in ihren Memoiren 1980, ganz poetisch.

Den Dichter von der Costa Blanca aber machte die reservierte Haltung seiner Freundin wütend, und es kam zum Bruch. In Madrid, in das er 1935 auf der Suche nach Glück aufbrach, lebte Miguel Hernández seine Passionen mit der aufregenden Malerin Maruja Mallo aus. Sie – und eben nicht Josefina Manresa, wie man lange vermutete – war die Muse für den heißblütigen Band „El Rayo que no cesa“ (Der Blitz, der nicht erlischt), der dem Dichter in Spanien den Durchbruch brachte.

Hund betrachtet Wandbild mit Gemälde „La Maja desnuda“ in Spanien.
Costa Blanca: Versteckte Briefe in Wäschekiste - Wandbild mit „La Maja“. © Stefan Wieczorek

Mein Mann, der Abwesende - Nur ein kleines Paradies

Aber Josefina Manresa verzieh ihm. Sie kamen 1936 wieder zusammen. Und blieben bis Miguels Tod doch fern. Im spanischen Bürgerkrieg wurde der Dichter zum großen Abwesenden, gerufen an die Fronten oder als Kulturkommissar zu Reisen ins kommunistische Russland. Dass seine ständige Abwesenheit sie ärgerte, darauf lassen nur seine Rechtfertigungen in Briefen schließen, die sie später vor der Franco-Diktatur versteckte. In Aussagen über Miguel Hernández hielt die Witwe ihm aber immer die Treue.

Nur ein kleines Paradies auf Erden war dem Paar noch vergönnt. Die Flitterwochen in Jaén, Josefina Manresas geliebter Heimat, so jäh unterbrochen durch die Nachricht vom Tod ihrer Mutter. In Wirklichkeit weilte das Paar aber in dieser andalusischen Gegend auch deshalb, weil der Dichter dort an die Front bestellt war. Den Faschismus zu stoppen, wurde seine Mission. Die ihre: Die Familie zu ernähren. Nach Hause brachte Miguel Hernández kaum Geld, höchstens Lebensmittel. Als er 1939 gefasst wurde, war auch das vorbei.

„Im Mond aufgelöst“: Das Wiegenlied der Zwiebel

Der Hunger im Haus war groß, immer größer. Nur Zwiebelsuppe gab es, jeden Tag. Als Josefina darüber im Brief klagte, schrieb Miguel ein Gedicht. Es wurde sein berühmtestes, die ikonischen „Nanas de la Cebolla“ (Wiegenlieder der Zwiebel), die etwa Joan Manuel Serrat später als gefeiertes Lied aufnahm.

In der Wiege des Hungers war mein Kind.
Mit Blut der Zwiebel wurde es gestillt.
Aber dein Blut ist bestreut mit Zucker, Zwiebel und Hunger. (...)

Eine braunhaarige Frau, im Mond aufgelöst,
ergießt sich Faden für Faden über der Wiege.
Lache Kind, und schlucke den Mond, wenn es Zeit ist.

Wandbild mit stillender Mutter und Zwiebeln in Spanien.
Costa Blanca: Versteckte Briefe in Wäschekiste - Zwiebel-Gedicht als Wandbild. © Stefan Wieczorek

Um ihrem Mann Essen in die Zelle zu bringen, suchte Josefina Manresa sich einen Job in Alicante und zog in die Stadt, in der sein Gefängnis stand und in der das Paar später am Friedhof im Grab gemeinsam ruhen würde. Kurz vor seinem Tod am 28. März 1942, machte Miguel Hernández ihr dort ein Geschenk: Die kirchliche Heirat. Darauf hatte die fromme Frau lange gehofft. Nun würde es ihr zumindest ein Witwen-Geld ermöglichen. Denn: Franco akzeptierte keine Zivilehen.

Von 8 Uhr bis 3 Uhr nachts - Die universelle Näherin

Wie tickte Josefina Manresa eigentlich politisch? Das ist schwer zu sagen. Schmerzhaft hatte die Witwe an den ideologischen Lagern von Spanien gelitten. Ihr Kampf dagegen war nicht politisch, sondern einer ums Überleben gegen die täglichen Widrigkeiten. An der Nähmaschine, „von 8 Uhr morgens bis 3 Uhr nachts“, wie sie erzählte. Und mit den versteckten Briefen und Gedichten in der Wäschekiste, mit der sie Franco austrickste. In der Diktatur wurde sie durchaus dazu gedrängt, ja erpresst, diese Texte herzugeben. Oder zu unterschreiben, dass sie nie veröffentlicht werden würden.

Was das Regime mit dem versteckten Erbe gemacht hätte? Wahrscheinlich vernichtet. Wie mit dem Band „El hombre acecha“ (Mensch auf der Lauer) geschehen, der 1939 veröffentlicht werden sollte. Längst nicht so ideologisch, dafür umso nachdenklicher waren diese Texte des Dichters. Dennoch ließen Francos Mannen die frisch gedruckten Ausgaben verbrennen. Josefina Manresa rettete das Werk für die Nachwelt. Und als ihr einflussreiche Franquisten versprachen, dass ihr Kind auf eine gute Schule kommen würde, wenn sie die versteckten Texte hergäbe, sagte sie nein. Sie glaubte an ihren Mann und liebte ihn, trotz allem.

Schatten von Flüchtlingen auf Wandbild in Spanien.
Costa Blanca: Versteckte Briefe - Arme, Witwen, Leidende des Krieges auf Wandbild © Stefan Wieczorek

Und: Josefina Manresa glaubte, dass bessere Zeiten kommen würden. 40 Jahre wartete sie darauf. Die Witwe des sogenannten „Universaldichters“ – sie selbst, ein Sinnbild für so viele Menschen in Spanien. Für Arme, für Witwen, für Leidende des Alltags, für Trauernde, für ihrer Unschuld Beraubte. Für Menschen ohne politisches Lager, für Menschen, die nicht einmal Fußnoten der Geschichte sind, doch von Poesie erfüllte Hoffnungen in Wäschekisten verstecken. Auch an ihnen und ihrer Muse Josefina Manresa ist am 21. März kein Vorbeikommen.

Die Wandgemälde, von denen einige im Artikel zu sehen sind, besichtigen Sie gratis im Viertel San Isidro in Orihuela an der Costa Blanca. In der Touristeninfo erhalten Sie zu diesen „Murales de San Isidro“ eine Broschüre. Auf unseren Seiten lesen Sie sowohl einen Text über das Leben und Wirken von Miguel Hernández, als auch, warum der Dichter in Zeiten der Corona-Pandemie wieder besonders angesagt ist.

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