Was die Elcher besonders ärgert: Madrid machte sich nicht einmal die Mühe, neue, stichhaltige Argumente für das Reiseverbot zu suchen, sondern zog einfach ein 16 Jahre altes Dossier des Instituto de Patrimonio Histórico de España (IPHE) aus der Schublade, in der von Salzeinlagerungen und Verkalkungen anhand von Probenentnahmen an der Büste aus den Jahren 2000 bis 2005 die Rede ist, die bei einer klimatischen Veränderung wie sie beim Transport unvermeidlich seien, irreparablen Schaden an der rund 2.500 Jahre alten Skulptur der Dame verursachen könnten.
Dabei war die alte Iberer-Dame, von der bis heute niemand sagen kann, ob sie eine Adelige, eine Königin, eine Konkubine oder Gottheit darstellt, und die längst zu einer Ikone des Lokalpatriotismus geworden – und auch gemacht worden – ist, sozusagen fast schon in Sack und Tüten. Denn im Januar noch lag eine formale Genehmigung der Leihgabe von Mai bis November vor, gestützt durch ein Gutachten der Uni Complutense von Madrid und einer französischen Expertin.
Doch dann kamen die hauseigenen Experten des Archäologiemuseums MAN und legten ihr Veto ein. Elches Stadträte glauben indes fraktionsübergreifend, dass es bei der Ablehnung nicht um den fragilen Zustand des Fundstückes aus dem 5. bis 4. Jahrhundert vor unserer Zeit geht, sondern um ein andauerndes Misstrauen der Hauptstädter gegenüber unberechenbaren Provinzlern. Und: Im Jahre 2018 dokumentierte ein deutscher Tourist im MAN eine Ameise auf der Dame, das wäre in Elche nie passiert!
Als ein Junge 1897 die Statue bei Feldarbeiten in der Loma de Alcudia, etwa drei Kilometer südlich des Stadtzentrums entdeckte, wanderte die Büste – die im Original übrigens knallbunt war – zunächst auf die Terrasse des Anwesens des Gutsherren, Doktor Manuel Campello, der sie der Bewunderung und dem Neid der Nachbarn preisgab. Nur Wochen später verkaufte der Doktor das gute Stück an den französischen Archäologen Pierre Paris, der zufällig zu den Fiestas in der Stadt war. Dieser verscherbelte die Dame für 4.000 Franken an den Louvre, die Iberer-Dame hielt noch im September des gleichen Jahres Hof im berühmtesten Museum der Welt und wurde von vielen Experten analysiert, die auch ihre „eindeutig iberische Zuordnung“ (Emil Hübner) beglaubigten. Deutsche Archäologen und Historiker interessierten sich stets sehr für die Iberer in Spanien.
Dass sie nach Spanien zurückfand, hat sie dem deutschen Faschismus zu „verdanken“. Denn als Hitlers Blitzkrieger Frankreich überfielen, wurden viele Kunstwerke aus Paris nach südlich der Vichy-Linie evakuiert. Zu viele waren es, so dass sich die Franzosen entschieden, einige Werke an die alten Besitzer zurückzugeben, bevor sie Gefahr liefen, ganz an den Feind zu fallen. Diktator Franco konnte sich so 1941 medienwirksam brüsten, die Dama de Elche, die nun gleichsam als Mutter der Nation vereinnahmt wurde, für das spanische Volk wieder in Empfang genommen zu haben. Seitdem steht sie in Madrid, zunächst im Prado, dann im MAN und Elche muss sich mit einer Kopie zufrieden geben und vielen folkloristischen Kopien, mit teils waghalsigen ästhetischen Experimenten.
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Das Fundgebiet La Alcudia wurde über die Jahre übrigens zu einer zehn Hektar großen Ausgrabungsstätte von Weltrang und einer der wichtigsten archäologischen Quellen der Iberer-Zeit überhaupt. Nur die Patronin fehlt. Vielleicht ist gerade die physische Unerreichbarkeit der Dame der Grund, warum sie so tief in die Folklore der Einwohner integriert wurde. Unerfüllte Liebe und endloses Sehnen haben schon stets viel Kreativität freigesetzt und einen Grund mehr, um auf die Hauptstädter zu schimpfen, hat man in Elche so auch.
Zur Ausgrabungsstätte La Alcudia bei Elche.
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