Die Dolmen von Antequera sind wahrscheinlich hunderte Jahre älter als jene von Stonehenge und gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Einer der Steinblöcke, der als Dach der Konstruktion in einem der Erdhügel dient, wird auf 170 Tonnen geschätzt. Die Archäologen haben bis heute nur Ahnungen darüber, wie unsere Vorfahren dessen Transport und Installation fertigbrachten. Im Dolmen de Menga, der rund 5.700 Jahre alt ist und zu den größten bekannten überhaupt zählt, wurde zudem ein 28 Meter tiefer Brunnen entdeckt, dessen Alter und Verwendung bis heute unklar blieben, auch, ob er überhaupt in einem Zusammenhang mit den Dolmen-Bauten steht.
Viele Mythen ranken sich um die Dolmen von Antequera. Verstehen, wenn überhaupt, kann man deren Ausmaße und Wirkung nur im Zusammenhang. Dazu gehören aber nicht nur die drei Dolmen-Anlagen (Menga, Viera und Tholos de El Romeral) selbst, sondern auch das zauberisch geformte Karstgebirge El Torcál, etwa zehn Kilometer von hier. In dessen Höhle Cueva del Toro fanden sie eine handpuppengroße rudimentär gestaltete Kultfigur aus der Dolmen-Zeit, die als „Venus de Torcál“, jetzt im neuen Museum zu sehen ist.
El Torcál wird heute als Wandergebiet mit Öffnungszeiten betrieben, mit wunderbar ausgewiesenen Routen von leichten Spaziergängen bis zu handfesten Klettertouren. Steinböcke begleiten den Besucher eher gleichmütig durch ein aufregendes geologisches Labyrinth, urzeitliche versteinerte Meereswesen, fossilierte Ammoniten begegnen uns 1.200 Meter über dem Meer, frühe Ausflügler sozusagen. Mitunter schneit es hier auch noch im April. Die Anreise ist, wie es sich für ein naturgeschütztes Gebiet in Spanien offenbar gehört, nur im Auto oder mit organisierten Touren möglich.
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Auch die eigenartige Felsformation Peña de los Enamorados in Sichtweite der Dolmen, die die ganze Ebene, die Vega de Antequera dominiert, spielt eine Rolle beim Mythos. Forscher glauben nämlich, dass sich die Ausrichtung und die Öffnungen der Dolmen an dem 900 Meter hohen Felsen orientieren und nicht, wie viele andere Megalith-Konstrukte, an kosmischen Konstellationen.
Die Form des „Felsens der Verliebten“ erinnert stark an einen liegenden Männerkopf. Eine romantische Romeo-und-Julia-Legende um ein maurisches Mädchen spinnt sich seit rund 600 Jahren um den Berg, die sich in einen gefangenen Christen verliebte. Tragisches Ende. Im Stadtmuseum hängt, goldumrahmt, eine Seite aus einem deutschen Buch aus den 1600er Jahren, das davon erzählt.
Siedlungsspuren aus der Bronzezeit gibt es rund um den Hals des schlafenden Riesen und in seinen Nasenlöchern. Vielleicht war der Kopf für die Dolmen-Menschen ein Gottesbeweis oder einfach ein lustiger Anblick. Hier wird gerne und viel gewandert, vor allem um den Valentinstag, ein Vergnügen das mit herrlichen Blicken belohnt, aber um einen unnötigen Nervenkitzel bereichert wird. Denn die Gegend ist teilweise als privates Jagdgebiet ausgewiesen. Von wegen, Ackerbau und Viehzucht.
Von einem Energieplatz rund um die Dolmen, von Druiden und natürlich unfassbaren Schätzen raunt es hier seit Jahrhunderten, befeuert von den Legenden der Mauren, dem Aberglauben des christlichen Mittelalters bis zur Psychedelik der Hippies. Das neue Museum will das alles ein bisschen sortieren, wissenschaftlichen Kontext liefern, ohne den Ort dabei zu entzaubern.
Das Projekt Museum ist nicht ganz so alt wie die Dolmen selbst, ließ sich aber immerhin 30 Jahre Zeit zwischen Beschluss und Eröffnung. Am 16. März 2022 inaugurierte Andalusiens Regionalpräsident Juanma Moreno diesen „Meilenstein des Inlandstourismus“. Die Junta, also die andalusische Landesregierung, ist Hausherr der Steinzeit-Anlage. 33 Monate früher begannen die „Endarbeiten“ am Museum, verlängerten sich, nachdem die UNESCO den andalusischen Verantwortlichen auferlegte, die obere Etage wieder abzutragen und das Dach zu begrünen, damit sich das Gebäude in die Landschaft einpasst und die Sichtachsen nicht stört. Nur so könne das Welterbe sich als solches auch bezeichnen, deklarierte die Unesco, die von Spanien seit 1992 mit dem Versprechen eines Museums hingehalten wurde.
Die Panorama-Fenster auf zwei Ebenen und 4.000 Quadratmetern machen den Zusammenhang der Dolmen untereinander fassbarer. Monitore, Leinwände und Lichtinstallationen beleuchten die „kosmischen“ Dimensionen, aber auch die Kontinuität von 6.000 Jahren ununterbrochener Siedlungsgeschichte – und Landwirtschaftsgeschichte, zu der auch die omnipräsenten Olivenhaine gehören. Im naheliegenden Olivenölmuseum der Mega-Kooperative DCOOP gibt es unter anderem eine 2.000 Jahre alte Ölmühle der Römer zu bestaunen und eine wuchtige Anlage aus dem 18. Jahrhundert, die irgendwie selbst an einen Dolmen erinnert. Ungefiltertes Bio-Olivenöl gibt es zum guten Preis hier auch zu kaufen.
Ausstellungsräume im Dolmen-Museum widmen sich den Archäologen, die als Pioniere die Ausgrabungen, aber auch die Erhaltung der Dolmen-Anlagen vorantrieben, zu einer Zeit, da das Abtragen oder Zuschütten von historischen Bauwerken und auch der Raub von römischen Mosaiken oder maurischen Stukkaturen noch fast ein legaler Geschäftszweig war. Die Dolmen sind bereits seit 1886 „Nationalmonument“.
Viel wegtragen konnte hier niemand, dazu sind die Brocken einfach zu schwer. Bibliothek und ein Archiv dienen der Wissenschaft als Quellen, ein Auditorium künstlerischen und schulischen Veranstaltungen als Bühne. Wechselnde Ausstellungen sollen peripheren Gedankenwelten Platz geben, den Anfang machen stimmungsvolle Fotografien zur Mystik des Ländlichen. Auch Räume für die technische Instandhaltung der weitläufigen Anlage fanden Platz, provisorische Container verschwanden.
Fünf Millionen Euro kostete das Projekt Museum schließlich, fast 100.000 Menschen waren 2021 in den Dolmen zu Besuch, in diesem Jahr sollen es, dank des Mehrwerts, schon fast doppelt so viele werden. Geöffnet ist die Anlage bei freiem Eintritt dienstags bis samstags 10 bis 18, an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 15 Uhr. Im Sommer länger. Es gibt Parkplätze vor Ort, der aber auch leicht zu Fuß vom Zentrum Antequeras erreichbar ist.
Antequera übrigens, gut 40 Kilomter nördlich von Málaga hinter grünem Gebirge gelegen, ist auch einen Besuch wert, wegen seiner Alcazaba und den 40 katholischen Kirchen und Klöstern, zum Beispiel. Und, weil das Brötchen hier kokett Mollete heißt. Rathaus, Stadtbibliothek, einige Schulen und das Centro Cultural, sie alle sind in ehemaligen Kirchen und Klöstern untergebracht, die durch die neue Nutzung exzellent erhalten werden. Den Gläubigen bleiben noch drei Dutzend Gotteshäuser, auch als Garagen für die vielen Heiligen, die zur berühmten Semana Santa ausgeführt werden.
Das könnte ein Hinweis darauf sein, die Spur der Steine nicht nur in eine Richtung zu deuten. Dann erklärt sich auch der mysteriöse Brunnen im Menga-Dolmen. Vielleicht war der auch erst eine „Kirche“ dann ein Stall, Unterschlupf, geschütztes Reservoir? Einfach, weil es nötig und sinnvoll war. Anpassungsfähigkeit hat den Menschen zu dem werden lassen, was er ist. An diese existentielle Tugend, die uns etwas abhanden zu kommen scheint, erinnern uns Antequeras Kirchen und die Dolmen.
Infos zu allen genannten Orten: turismo.antequera.es.
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