1. Costa Nachrichten
  2. Kultur

Granadas Tore - Alhambras Pforten: Eine Reise durch Zeiten, Reiche und Legenden

Erstellt:

Von: Marco Schicker

Kommentare

Burgtor in der Alhambra von Granada
Das Waffentor, puerta de la armas, war der Haupteinlass zur Burg Alhambra unter den Nasriden. © Lucia Rivas/Patronato Alhambra

Granadas Stadttore locken auf romantische Irrwege, zu Vergangenem und Unvergänglichem, einem Parkour und wilden Ritt zwischen Wahrheit und Legenden. Alle Tore führen am Ende irgendwie in die Alhambra - und zum Wein.

Granada – Als, kurz nach Napoleon, die Romantik über Granada herfiel, war Tausendundeine Nacht fast die einzige Vorstellung, die der Okzident vom Orient haben wollte. Dabei war er im Westen Europas fast 800 Jahre zu Hause. Alltag, voller Zauber, Grausamkeiten und Banalität. Ein steter Wechsel zwischen erfindungsreicher Toleranz und religiösem Fanatismus blieben Al-Ándalus und seine Mauren bis heute Spaniens beste Feinde. Granada ist jetzt maximal touristisch, ein Parkour verspielter Mystik, eine Anhäufung von Kulissen, Erinnerungen und Unterstellungen aus zwei Jahrtausenden und - mindestens - drei Religionen. Nicht gänzlich zu Tode restauriert und blankgewienert, bewahrt sich Granada genau die richtige Dosis Patina, um nicht wie ein Themenpark zu wirken.

Festung der Alhambra.
Die Ziegel aus roter Erde gaben der Alhambra in Granada ihren Namen. Die Festung ist der älteste Teil der riesigen Anlage. © Marco Schicker

Nicht die Christen, die Romantiker aber haben die Schlacht um Granada gewonnen, es für alle Zeiten erobert und verformt. Hinter jeder Kachel, unter jedem Teppich, in jedem Torbogen vermuten sie einen Schatz oder einen Fluch, eine Legende, zumindest aber eine eingemauerte Sultanine. Dabei ist die Wahrheit verrückt genug und sie beginnt und endet mit dem geheimnisvollsten Tor der Stadt, mitten in einem verwunschen wirkenden Wald, der die Alhambra als grünen Saum umgibt. Bäume so hoch und grün dank der Sierra Nevada, dem Dach, der Regentonne der Stadt.

Puerta de las Granadas: Honeymoon für Kaiser Karl

Von der Plaza Nueva aus müssen wir zunächst durch einen „Neubau“, erbaut 1526 als Huldigungstor, Puerta de las Granadas, weil es dem spanischen Reichseiniger und „deutschen“ Kaiser Carlos I./Karl V. nach seiner Hochzeit in Sevilla gefiel, einen kleinen Honeymoon in der einstigen Stadt des Halbmondes abzuhalten. Für das süße Renaissance-Tor, das zwei Stadtpalästchen verbindet, ließ der Architekt das Maurentor Bib al-Buxar abreißen. Tor der neuen Freuden hieß es unter den Arabern, mit Freuden hatten es die Habsburger nicht so.

Details in einem Tor der Alhambra.
Details im Weintor der Alhambra. © Marco Schicker

Wir stehen nach einigen hundert Metern und etwas ab vom Wege nun mitten im Wald, da stellt sich uns ein ganz offensichtlich maurisches Tor in den Weg, als wäre es aus der Burg gebröselt und zufällig wieder auf die Beine gefallen. Ringsum keine Mauer, kein Gebäude, nicht einmal ein Pfad, das doppelbögige Tor führt in beide Richtungen in den Wald, kein Hinweis darauf, was dieses muselmannische Knusperhäuschen hier zu suchen hat.

Nicht einmal die Romantiker haben eine Erklärung dafür, denn als Washington Irving oder Hans Christian Andersen hier umherschwärmten, stand das Tor ganz woanders. Zeitreise rückwärts: Wie wir das Tor heute sehen, wurde es 2018/19 „gebaut“, aus einem Haufen Steine, alten Zeichnungen und 100.000 Euro. Zuvor verfiel sie hier seit 1933 zur Ruine, nachdem sie über 50 Jahre in einem Lagerhaus gestapelt lag. 1881 wurde das Tor zwar zum „Nationalen Denkmal“ erklärt, doch da war es schon fast nicht mehr erkennbar. 1873 nämlich beschloss der Stadtrat, es zu schleifen, genau wie die es einfassende Stadtmauer, damit größere Gefährte und mehr Menschen und mehr Geschäfte auf die Plaza Bib Rambla passten, neue Häuser gebaut werden konnten.

Puerta de Bib-Rambla: Allerchristlichste Ohrenabschneiderei

Maurisches Tor in Granada.
Aus Zeit und Raum gefallen: Die Puerta de Bib-Rambla gehört gar nicht hierher. © Patronato de la Alhambra y el Generalife

Dieser zentrale Platz Granadas, die Plaza Bib Rambla, auf dem sich unter den Rechtgläubigen seit 500 Jahren Stierkämpfe, Märkte, Judenpogrome, Prozessionen, Junggesellenabschiede, Bücher- und Menschenverbrennungen fröhlich abwechseln, war auch zu Zeiten der Nasriden, also der letzten islamischen Dynastie, das Zentrum der Stadt, der Madinat Garnata, und unser einsames Wald-Portal war darauf das zentrale Stadt- und Zolltor. Die Mutter aller Tore. Hier ging es zu wie auf einem arabischen Basar. Es war ja auch einer.

Später wurden durch diese Puerta de Bib-Rambla die Katholischen Könige zu Grabe getragen, in der Stadt ihres größten, endgültigen Triumphes 1492, Spaniens großer Zeitenwende. Dennoch wirken Fernando und Isabel bis heute in ihrer Krypta, der capilla real, wie Fremde, weggeschlossen unter allerhöchsten Ehren.

Ihr Enkel Carlos I. ritt durch selbiges Tor, um den örtlichen Adel Untertan und sich zum Einiger eines neuen Spanien zu machen, das schon bei seiner Geburt ein wenig ranzig roch. Er, ein deutsch-römischer Kaiser, geboren in Flandern, aus österreichischem Herrscherhaus, das aus der Schweiz stammt, der kaum ein Wort Spanisch sprach und Bier statt Wein soff. Aber die Mauren waren hier die „Fremdherrscher“ gewesen...

Der Volksmund, unerreicht darin, Pathos auf Erdenmaß zu schrumpfen, nannte das Tor der Bib-Rambla einst auch Arco de las orejas, Ohren-Bogen. Zwei Theorien gibt es dazu. Die eine berichtet vom Einsturz eines am Tor installierten Holzkonstrukts im Mittelalter, das viele Menschen erschlug, darunter viele Frauen. Plünderer schnitten ihnen die Ohren ab, um an die Ohrringe zu kommen. Die andere Version: Hier fädelte die Marktleitung abgeschnittene Ohren ertappter Diebe zur allerchristlichsten Warnung auf.

Puerta de Los Tableros: Reitende Boten der Zíri

Der Paseo de los Tristes, der Spazierweg der Traurigen, heißt so, weil er zum Friedhof führt. Im Gänsemarsch ertippeln Touristenmassen hier die Romantik Granadas, links begrenzt von Palacetes mit Patios aus Orangenbäumen und kecken Brünnlein, Klöster wechseln mit Profanbauten der Nasriden ab, Fassaden, die viel andeuten, ihre Geheimnisse aber im Inneren verbergen. Viele der Lokale von der Plaza Nueva bis hinauf zum Ende des Paseo lassen uns bedauern, dass der Ohren-Bogen nicht mehr in Betrieb ist. Granadas Besuchern bleiben dennoch ein paar hundert großartige Bars.

Puerta de los tableros granada
Der romantische, aber meit überlaufende Paseo del lost tristes in Granada. Links im Flussbett die Reste eines einst lebenswichtigen Tores. © Marco Schicker

Rechts begleitet uns der Darro-Fluss mit seiner ungekämmten Böschung, Lebensader für alle Zeiten und Reiche. Darüber thronen die rötlichen Mauern der Alhambra als Schattenspender. Monumentalkulisse für einen Pfad, noch darüber erhebt sich die Sierra Nevada wie ein Olymp mit Puderzuckerhäubchen. Ein hupendes Taxi oder der Stadtbus drücken uns gegen die alten Mauern und puffende Ellenbogen holen uns aus den Träumen. Der Preis, den wir für die Demokratisierung der Schönheit zahlen müssen.

Mitten im Darro-Fluss, der wirklich Wasser trägt, lassen sich die Reste eines großen Bogens unzweifelhaft maurischer Bauart mehr erahnen als erkennen und wir müssen lange nachschlagen, bis sich der Zweck eines Stadttores mitten im Flusslauf erklärt. Puerta de Los Tableros oder Puerta de Compuertas heißt das Bauwerk, im 11. Jahrhundert unter dem Berberfürsten Badis ben Habús errichtet, dem dritten Emir der Zirí-Dynastie, die dem Kalifat von Códoba hier nachfolgte und sich etwa 100 Jahre hielt.

Das Tor, früher ein Doppelbogen über Fluss und Weg, also zur Hälfte eine Brücke, hatte verschiedene Funktionen: östliches Stadttor, Stauanlage zur Regulierung der Wassermengen bis hin zur Flutung des gesamten Tals gegen herannahende Truppen. Innerhalb des Brückenkopfes an dem der mitleiderregende Bogenrest klebt, gibt es Treppenhäuser und Reste eines Stellwerks für die Staubretter.

Die Konstruktion war so groß, dass oben drüber sogar ein Weg führte, eine wichtige Verbindung zwischen den Alcazabas, den Festungen Cadima und Gidida mit der Alhambra, auf der reitende Boten vorwiegend Hiobsbotschaften überbracht haben dürften. Denn unser Berberhauptmann hatte seine ganze Karriere damit zu kämpfen, die Fürsten anderer Taifas vom eigenen abzuhalten. Das gelang ihm und so verdanken wir diesem Wüstensohn die Unabhängigkeit Granadas als Königreich, das so anschließend unter den Nasriden zu seiner prachtvollsten Entfaltung kam.

Puerta de Elvira: Wo Lorca mit den Señoritas flirtete

Dass Granada im Laufe seiner Geschichte sozusagen mehrere Städte war, belegt uns die Puerta de Elvira, eigentlich Bab Ilvira, etwas nördlich vom heutigen Zentrum. Ihre Ursprünge gehen ins 9. Jahrhundert, ins Emirat von Córdoba, als die Stadt Medina Elvira hieß, gebaut auf Römerfundamenten. Erst im 12. Jahrhundert wurden Medina Garnata und Albaicín das, was wir heute als historisches Zentrum Granadas anerkennen. Das Tor stammt aus dem 11. Jahrhundert und sehr gut sichtbar ist die gigantische Zirí-Stadtmauer, die Granada damals auch nach Norden abschloss und schützte.

Stadtmauer in Granada.
Die Puerta de Elvira in der wuchtigen Zirí-Mauer. © Rafa244/WikiCommons

Dieses, so wie ein halbes Dutzend weiterer Tore fiel den Erweiterungen vor allem ab 1600 sowie den Franzosenkriegen zum Opfer und natürlich der Moderne. Immerhin wurde es 1896 Nationaldenkmal, zu einer Zeit also, in der in anderen Städten gerade erst mit der Schleifung alter Wälle begonnen wurde. So konnte der Dichter Lorca es noch besingen und die koketten Damen, die durchs Tor zur Fiesta gingen. Dank einer neuen Initiative wird das Elvira-Tor ab 2023 Teil eines drei Kilometer langen, ausgeschilderten historischen Spazierwegs entlang der Zirí-Mauern. Sozusagen eine Entlastungsstraße für den Paseo de los Tristes. Schon heute seien die Calle Elvira und das gleichnamige Barrio allen Granada-Besuchern empfohlen, die den Touristenmassen entfliehen wollen, ohne den Charme der Stadt dabei aufgeben zu müssen.

Puerta de la Justicia: Schatztruhe und Höllenschlund Alhambra

Wenn die Alhambra fällt, geht die Welt unter. Das ist die schlichteste und martialistische der unzähligen Legenden. Nachdem was der Festungspalast alles er- und überlebt hat, müssen wir uns keine Sorge um die Welt machen. Die frequentierteste Pforte zur Burg ist heute die Puerta de la Justicia, eingebaut in einen mächtigen Turm, mit vierfachem Gewölbe und in der typisch maurischen L-Form angelegt, die Eroberern Durchblick und Durchbruch erschwerte. Sie entstand am Ende der Nasriden-Zeit, gegen Mitte des 14. Jahrhunderts und wurde von den Eroberern um eine Marienstatue im Torbogen bereichert, weil hier die erste Messe nach der Übergabe an die Christen abgehalten worden sein soll. Christliche und islamische Bauelemente begegnen sich immer wieder in der Alhambra in verschlungener Harmonie. Die beiden Religionen können sich wohl nur in totem Stein vertragen.

Eingangstor zur Alhambra von Granada.
Die Puerta de Justicia, verdeckt von Anbauten aus christlicher Zeit, ist heute der kostenlose Eingang in einen Teil der Alhambra. © Marco Schicker

Ein seltsames Relief einer nach unten weisenden Hand sowie das Symbol eines Schlüssels im Mauerwerk darunter lieferten unseren romantischen Phantasten viel Stoff, die sich aber nicht einig werden wollten, was geschieht, sollte die Hand einmal den Schlüssel erreichen. Von Schatztruhen bis Höllenschlünden ist alles Mögliche dabei, was sich öffnen könnte.

Puerta de las Armas: Das Volk unter Kontrolle

Während das Tor der Gerechtigkeit heute jenen Besuchern ohne Eintrittskarte Zugang zu einem kleinen Teil der Alhambra gestattet, war zu maurischen Zeiten die Puerta de las Armas, also das Waffentor der Haupteingang zur Burg. Dieses Tor liegt genau auf der anderen Seite der Burg über einem Steilhang, der Bittsteller und anderes Volk nur sehr langsam und daher schön kontrolliert an die Pforten der Macht gelangen ließ. Heute ist das aus taktischen Gründen ziemlich kleine, mit einer langen Treppe anzusteuernde Tor verschlossen, was seinen Anblick nur umso reizvoller macht.

Puerta de los Siete Suelos: Der Letzte macht das Licht aus

Historisch mindestens ebenso wichtig, heute aber von den Blicken der meisten Besucher unbeachtet, ist die Puerta de los Siete Suelos, also das Tor der sieben Böden, das sich zwischen den beiden großen Wachtürmen befindet. Hier soll der letzte Nasriden-Sultan, Boabdil, durchgeschritten sein, als er die Burgschlüssel zwangsläufig an die Katholischen Könige übergeben musste. Beim tränennassen letzten Blick zurück musste er sich von seiner Mami vorhalten lassen: "Jetzt beweine nicht wie ein Kind, was du nicht wie ein Mann zu verteidigen wusstest." Sein Schwert hatten ihm die Christen da schon abgenommen, es ist heute in Madrid zu besichtigen.

Pforte der Sieben Böden der Alhambra
Aus diesem Tor, der Pforte der Sieben Böden, verließ der letzte Sultans Granadas 1492 seine Palastanlage. © Patronato

Das Tor der Sieben Böden wurde verschlossen, nach Bobadil sollte es niemand mehr benutzen. Napoleons Mordbanden benutzten es dennoch und zerstörten große Teile davon, als auch sie abziehen mussten. Die Burgverwaltung öffnet es heute nur von Zeit zu Zeit, in den sieben Zwischendecken hat sie die Klimaanlage versteckt.

Puerta del Vino: Kein Wein für's gemeine Volk

Dass die schmucke Puerta del Vino, die, mitten in der Alhambra gelegen, Medina und Alcazaba-Bereiche trennt und die praktisch alle Besucher durchschreiten, wenn sie zu den Nasriden-Palästen, dem steinernen Schlussakkord von Al-Ándalus pilgern, etwas mit echtem spanischen Wein zu tun hat, gilt als widerlegt. Angeblich wurde hier der Wein bezollt, denn im späten Mittelalter sollten die Granadiner nur den Rebensaft aus einem 12-Kilometer-Umkreis konsumieren, dann aber immerhin steuerfrei. Doch niemand schleppte den Wein erst auf den Berg, das Zolltor befand sich natürlich in der Unterstadt.

Tor des Weines Alhambra, Granada.
Das Tor des Weines, puerto del vino, Eingang ins Paradies auf Erden Alhambra. © Marco Schicker

Das um 1310 errichtete, bildschöne Tor hieß auf Arabisch Bib al-Jamra und beschreibt die Ströme von Wein, die im Paradies fließen würden. Die Sultane von Granada wollten darauf nicht warten, die Mauren zechten wie die Maurer und bauten sich Paläste und Gärten, na, wie Sultane eben. In ihr Paradies auf Erden führen uns die Tore, der Himmel aber bleibe den Thoren.

Zum Thema: Spaniens Da Vinci - Über einen maurischen Flugpionier und eine verflogene Epoche.

Auch interessant

Kommentare