Denn gleich darauf brach Corona über Spanien und die Welt, das Leben machte eine Vollbremsung. Live-Künstler - und Sabina ist sozusagen die Mutter aller Rampensäue - konnten nicht mehr auftreten. Doch Poeten und Musiker haben den Vorteil eines reichen Innenlebens, nutzten die Pause, um Neues zu schaffen, zu reflektieren, in Depressionen oder das Whiskyglas zu fallen oder einfach zu chillen. Sabina heiratete zudem. Das hieß, die Welt war tatsächlich aus den Fugen geraten.
Mit kalkulierter Selbstironie und kaum verhohlener Eitelkeit kehrt Sabina nun zurück, „Contra todo pronóstico“, – „Gegen jede Vorhersage“ (auch: gegen alle Widrigkeiten oder wider Erwarten), nennt er seine Welttournee 2023. Der Kartenverkauf begann am 10. November, nur nach Stunden blieben nur noch Restkarten, mehrere Konzerte sind bereits komplett ausverkauft. Wochenlang wird Sabina ganze Stadien in Lateinamerika von Costa Rica bis Buenos Aires füllen, - allein vier Auftritte sind es in Mexiko Stadt. Dazwischen gibt Sabina 2023 16 Konzerte in Spanien (Termine und Orte am Ende dieses Beitrags).
„Ich gehe nicht auf Tour ohne neue Songs“, sagte Sabina kürzlich. Nicht irgendwo, sondern in einer biographischen Doku mit dem doppeldeutigen Titel „So leid es mir tut“. Die hatte im September 2022 beim Filmfestival von San Sebastián Premiere. Auch das sollte all jenen der nicht spanischsprachigen Welt ein Indiz für die Bedeutung dieses Künstlers, dieses Ereignisses sein.
Für Weihnachten hat er ein neues Album angekündigt, fünf Jahre nach dem „Ich leugne alles“ von 2017. „Der Künstler muss ernst nehmen, was er tut und er muss das Publikum ernst nehmen, – aber nicht sich selbst.“ Sabina hat über Jahrzehnte geliefert, ist Teil des poetischen, musikalischen, vor allem aber emotionalen Kulturerbes der spanischsprachigen Welt. Allein für ihn lohnte es sich, die Sprache zu lernen. Im Gegensatz zu den Stones, kann sich jedes Festzelt, jede Dorf-Fiesta, jede Kneipe in Spanien oder Mexiko jederzeit auf Sabina einigen. Auf ihn und auf Kroketten. Sabina, das ist ihr Dylan, nur mit offen gelebtem Humor, ohne den Sabina weder singen noch sein könnte.
Sabinas Songs haben in Spanien und Lateinamerika den Status von Hymnen. Sabina nennt man Original, weil wir von Kopien umstellt sind. Er vertonte nicht nur zeitlos die Dialektik der Liebe zwischen irrem Spiel der Hormone und ätzendem Treibstoff der Kreativität, er lieferte ganzen Generationen die Refrains. Ein Mann, eine Gitarre, ein Macho ohne Arg, den Schalk im Nacken, das Glas in der Hand.
Sein eigener Vater, ein Polizist, nötigte den 1949 in Úbeda (Jaén) geborenen Joaquín Sabina wegen studentischer Aufmüpfigkeit ins Exil aus Franco-Spanien. In London tingelte er durch die Pubs von Camden Town, verlegte verfolgte Dichter, zeigte verbotene Filme, versteckte ETA-Terroristen und bedauerte später nur Letzteres. Die ersten Strophen von Sabinas Lebenslied entstanden zwischen Dichtung, Bier und Wahrheit.
1977 kehrt er, wie auch die Hoffnung, nach Spanien zurück. Er wird Teil der Madrider Off-Szene, nur langsam erhalten solche Künstler Zugang zum öffentlichen Rundfunk. 1980 erscheint mit „La Mandrágora“ in Zusammenarbeit mit Javier Krahe und Alberto Pérez ein Album, das ein Fundament des folgenden Aufstiegs und anhaltenden Ruhmes bildet. 18 Studio-Alben, sechs autorisierte Live-Alben, etliche Kollaborationen, Werke für Kollegen, Bücher folgen.
Sein zentrales Werk sind Liebeserklärungen eines einsamen Wolfes, Satiren im Rumba-Rhythmus oder als Blues, beißend, scherzend, grübelnd, liebend, suchend. Allein vom Album „Física y Química“ 1992 wurden eine Million Exemplare verkauft. Bis 2001, als das Leben anfing, Schulden bei Sabina in Form eines Schlaganfalls einzutreiben. Sekt oder Selters, diese Frage stellte sich ihm nie. „Un buen champán francés“, ein guter Champagner sollte es sein und wenn es ging, mit einer Frau, die vor dem Frühstück wieder verschwindet, damit er sie vermissen und davon singen kann.
In „Sin embargo te quiero“, seinem berühmtesten unter Dutzenden berühmten Songs, singt er, dass „Ich nicht lüge, wenn ich schwöre, dass ich für dich mein ganzes, ganzes Leben gäbe“, um nur eine Zeile später zu gestehen, „dass ich dich, ohne zu zögern, mit jeder betrügen würde, – ein bisschen“. Die Linie zwischen Genie und Wahnsinn ist auch deshalb unsichtbar, damit Menschen wie Sabina sie müheloser überschreiten können.
„Das Gute an den Jahren ist, dass sie Wunden heilen. Das schlechte an Küssen ist, dass sie süchtig machen“, sagt er. Seine Lieder, seine Auftritte sind seine Küsse, mal bitter, mal süß. Tiefe Poesie und Schüttelreime, eingängige Musik ohne Komplikationen, Konzerte, die man ein Leben lang nicht vergisst. Sabina gehörte immer dazu. Man kann nur schätzen, wie viele Kinder zu seinen Songs gezeugt, wie viele Tüten geraucht, Pläne geschmiedet wurden, um dann selig verschlafen zu werden.
Sabina verdient, davon sind die Fans überzeugt, den Literaturnobelpreis mindestens so wie Dylan, – und dazu manchmal eine links und eine rechts, wenn man seine Frauen fragt. Und auch darauf hat die geliebte Kanaille (s)eine Antwort: „In Angelegenheiten der Liebe verliert immer der Beste.“
Tickets und alle Details zur Tournee von Joaquin Sabina 2023 in Lateinamerika und Spanien.
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