Der Putsch um die Macht, der zu einem Krieg der Spanier gegen sich selbst wurde, wütete grausam, um Granada gab es wenig Kampfhandlungen, die Republik war schnell überrumpelt. Doch die Hoffnung vieler, "es kann nur besser werden" oder "so schlimm wird es schon nicht werden", zerschlug sich binnen Wochen. Die blutige Regel, dass der kleine Mann für die Kriege der Oberschicht zahlt, bestätigte sich auch hier. Mit den Truppen kam die Verfolgung, der am Ende des Spanischen Bürgerkriegs und vier weiteren Jahrzehnten Diktatur Hunderttausende zum Opfer fielen, nicht wenige nur wegen übler Nachrede, eines Verdachts. Andalusien wurde von den Franco-Korps aus Nordafrika und den eigenen Verrätern mit als erstes überrannt, in Lorcas Heimat Granada gab es indes kaum militärische Schlachten, dafür setzte der Terror gegen das Volk sofort ein, systematische Säuberungen gegen Andersdenkende.
Mysteriös blieben die Umstände des Mordes an Lorca bis heute, die Forschung hat für jedes Szenario schlüssige Begründungen, aber keine Beweise, auch weil der Leichnam nicht auffindbar scheint. Klar ist nur: Lorca wurde von Putschisten, lokalen Kadern ermordet, dafür gibt es genügend belastbare Aussagen unmittelbarer Augenzeugen. Neben offensichtlichen politischen Motiven wird auch die persönliche Rache eines Falange-Funktionärs vermutet, womöglich, um die eigene bei den Faschisten nicht tolerierte sexuelle Neigung zu verbergen, Zeugen zu beseitigen.
Klar ist, dass Lorca sterben musste, weil er ein Symbol war, ein Humanist, nicht explizit links, aber im Zweifel immer für die Schwächeren und vermutlich auch noch schwul, das war zu viel des „Bösen“. Der Barranco de Víznar nördlich von Granada ist, das mag eigenartig klingen, neben einer Gedenkstätte auch ein wunderschönes Ausflugsziel, lädt zu Spaziergängen durch ein lichtes Wäldchen ein, bei denen die friedliche Natur erst recht mit dem grausamen Geschehen hier kollidiert. Wo sich die Pfade einmal schlängeln wie die wirre Geschichte selbst, einmal den Blick freigeben auf Granada und die weite Welt, wo Wege wie Lebenslinien plötzlich an tödlich steile Hänge geraten. Ein Wanderweg wie Lorcas Leben, luftig und doch verschlungen, in die Welt hinaus und doch immer Granada im Blick, sein Andalusien im Herzen. Bis zum jähen Ende.
Gerade erst im Frühjahr und Sommer 2022 gab es im Barranco de Víznar wieder Ausgrabungen, bei denen die Überreste von 49 weiteren Mordopfern der Franco-Diktatur, davon 20 Frauen, geborgen wurden. Die Universität Granada versucht sie zu identifizieren, Angehörigen Gewissheit zu geben. Auf ihrem Web-Portal Universo Lorca dokumentieren sie kreativ und einfühlsam ihre Arbeit, weit über die Grabungen hinaus. Die Ausgrabungen in Massengräbern aus der Franco-Zeit sollen 2023 im Rahmen des Gesetzes zur Historischen Erinnerung weitergehen, in ganz Spanien, doch hier im Barranco unter anderem auch nach Dióscoro Galindo, einem Dorflehrer und Freund Lorcas, über dessen Hinrichtungsort sich genauere Daten fanden und die darauf hinweisen, dass ein Franco-Schlächter das gesamte Umfeld Lorcas ausmerzen wollte.
Verde que te quiero verde. Verde viento. Verdes ramas. El barco sobre la mar. Y el caballo en la montaña.
Auch der Rektor der Universität Granada, der Arabist Salvador Vila, wurde am 22. Oktober 1936 hier erschossen und verscharrt. Sein Verbrechen? Er gewann im April die Wahl zum Uni-Rektor gegen den Favoriten der Franquisten, Antonio Marín Ocete. Die Falange erklärte die Wahl für ungültig und Vila für vogelfrei, in Salamanca verhafteten sie ihn dann und brachten ihn nur in die Heimat, damit sich der gedemütigte Rektor vor Ort von der Rache überzeugen konnte. Vila war mit der jüdischen Deutschen Gerda Leimdörfer verheiratet, diese wurde auch eingekerkert. Gerda war die Tochter des Chefredakteurs der Berliner Zeitung am Mittag, damals einem der traditions- und einflussreichsten Blätter Deutschlands. Ihr Freund, der Komponist Manuel de Falla, verhandelte mit den Faschisten und erreichte einen Deal. Sie könne von dannen ziehen, wenn sie zum Katholizismus konvertiere. Doch ihr Mann müsse sterben. Ich wüsste gern, wie christlich sich der Priester fühlte als er diese Taufe vornahm.
Die Forscher der Uni Granada konnten bereits dokumentieren, dass „mindestens 300 Menschen hier im Barranco de Víznar erschossen oder zu Tode gefoltert“ wurden und man nicht aufhören werde, bis alle ihre würdige letzte Ruhe fänden. Mehrere tausend Menschen wurde hier verscharrt, aus der ganzen Provinz Granada. So wolle man "Wunden schließen", in dem Angehörige, Familien abschließen könnten, ergänzen die Beteiligten. Manchmal, wenn auch sehr selten, finden sie neben Knochen auch persönliche Erinnerungsstücke, einen Anhänger, ein Ring.
Teile der konservativen Volkspartei (PP), vor allem aber Vox, die Francos Regime in Form und Inhalt unverkennbar verherrlicht (und wenn man sie fragt, sofort das Gegenteil behaupten wird, sich als Opfer linker Hetzkampagne theatralisch in Szene setzt) lehnen das Gesetz zur Historischen Erinnerung rundweg ab, bei einem Machtwechsel würde es zumindest eingeschränkt, wenn nicht auch "verscharrt". Dass die Öffnung anonymer Massengräber, das Verbot der Verherrlichung von Franco-Organisationen "alte Wunden öffne, Spanien spalte", behaupten die Neofranquisten bei Vox, wie auch mancher Altkader und junge Karrierespund im PP-Umfeld, die ETA-Opfer gegen Franco-Opfer instrumentalisieren. Was sie aber wirklich fürchten, ist die bittere Wahrheit, das blanke Verbrechen, das ans Licht kommt, dem sie indirekt noch heute applaudieren und sich so zu Komplizen machen.
Auch Lorcas Leichnam ist nach wie vor verschollen oder konnte bisher noch nicht identifiziert werden. So ist der ganze Barranco, ganz Granada, ganz Spanien sein Grab, wie sie auch sein Leben waren. Seinen Tod verzeihen die Spanier den Faschisten nicht, niemals, selbst solche, die nicht unbedingt Fans der Republik waren, tief religiöse Menschen, die einfachen Leute, die in seinen Liedern vorkommen. Lorca, das war einer von ihnen, hier in Andalusien besonders. Die Franco-Faschisten belogen die Familie auch noch nach dem Tod und beerdigten Lorca angeblich in Alfacar, doch in dem Grab fand sich keine Spur eines Menschen.
Lorca lebt. Auch das steht auf einem der Steine hier. Das Barranco de Víznar ist heute ein Ausflugs-, fast ein Pilgerort der Stille, mit kleinen Gedenktafeln für unbekannte und identifizierte Opfer, einer Steele mit der Aufschrift: „Sie alle waren Lorca“. An ihr stecken immer wieder selbstgeschriebene Zettelchen von Besuchern, die ihre Lieblingsverse des Dichters wie einen Gruß aufschreiben und damit belegen: „Lorca vive“, Lorca lebt. Das war schon 1936 eine Parole der Resistencia, die auf Häuserwänden, sogar Kasernen auftauchte. Lorcas Wesen, das waren Geist und Menschlichkeit. Beides fürchtet der Totalitarismus am meisten. Beides bleiben die besten, die unbeugsamen, unbesiegbaren Waffen gegen eine Wiederholung.
Google-Maps führt ins Barranco de Víznar, lohnenswert ist auch der Besuch des kleinen Anwesens Huerta de San Vicente, von 1926 bis 1936 Sommerhaus der Familie Lorca und heute praktisch in Granada liegend, ein Museum.
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