Die Künstlerin schaffte die Reise nicht mehr, die 87-Jährige Paula Rego war da bereits lange schwer krank. Dass sie am 8. Juni starb, macht ihre Werk- nun auch zur Rückschau, Besucher werden zu Akteuren einer quicklebendigen Totenwache. Denn das sind ihre Werke vor allem: lebendig.
Paula Rego mochte es, Geschichten zu erzählen, kleine und kleinste Dinge zu beschreiben, die Menschen zu bewegen vermögen. Denn nur so könne man große Zusammenhänge erklären und verstehen. Und verstehen wollte sie durch ihr Werk vor allem auch sich selbst, ihr Leben voller Fragen vielleicht nicht ordnen, aber so bebildern, dass eine Draufsicht möglich wird. Portugal und Großbritannien, Lissabon und London heißen die beiden Orte, die sie prägten und die sie sich als „ihre“ große Künstlerin teilen. Im ersten wurde sie geboren, im zweiten starb sie, zwischen beiden schuf sie und lebte sozusagen in ihrer wie der ganzen Welt.
Dass ein Präsident Portugals in ein anderes Land reist, „nur“ um eine ihrer vielen Ausstellungen zu eröffnen, zeigt, wie sehr sich die Welt der Paula Rego gewandelt hat. 1935 wurde sie in die Salazar-Diktatur in den Orwellschen „Estado Novo“ faschistischer Prägung geboren, von den Eltern beschützt, indem sie ihre Paula schnell ins Ausland brachten.
Es folgen sechs Jahrzehnte künstlerischer Entfaltung, mitunter in fast manischen Phasen. Elena Crippa, Kuratorin der Ausstellung im „Picasso“, fasst zusammen: „In den 60er Jahren klagt sie die Diktatur in Portugal an, in den 70ern entdeckt sie das Unterbewußte als eine Wirklichkeit und in den 80er vollzieht sie in ihren Bildern eine weitere Wende, mit frischen, großen, rohen Werken, in dem sie die Komplexität der Liebe, ihres eigenen Lebens behandelt.“.
Die Kuratorin Crippa war eine Schlüsselfigur für Rego, denn sie öffnete ihr vor langer Zeit die damals schwer bewachte Zugbrücke der Modern Tate Gallery in London. Dort auszustellen, als Frau, als Nicht-Britin, war fast unmöglich. Als es gelang, war es der internationale Durchbruch, im Jahr darauf wollten 30 Museen ihre Werke zeigen.
Ihr Stil sei figurativ, was in der Postmoderne fast als Anklage zu gelten hat, aber erneuert. An Einordnungen und Vergleichen fehlt es in der Kunstwelt nie, die eben vor allem auch ein Kunstmarkt ist. Die Rolle, die Qualen, die Würde der Frau im sich aus dem Gestern schälenden Portugal waren ein zentrales Thema in Regos Werk, an dem sie ihre künstlerische Maxime auch am eindringlichsten vorlebte: kleine Geschichten erzählen, um universal wirken zu können. Ihre Figuren brauchen Platz, nehmen ein und hängen nicht einfach an der Wand, sondern purzeln durch den Saal, bleiben vor dem Betrachter stehen oder sitzen und fragen ihn direkt ins Gesicht, was er darüber denkt.
Im Museum Picasso Málaga, das ebenfalls einen chornologischen Querschnitt durch das Werk des Meisters zeigt, ist die Werkschau der Paula Rego, umständehalber zum Schwanengesang geworden, sehr gut aufgehoben. Nicht nur, weil einige ihrer oft großformatigen Werke direkte Anspielungen, Karikaturen, Interpretationen von Picassos Stil sind, sondern weil sie mit ihm Wichtiges teilt: Den unbedingten Drang nach persönlicher und künstlerischer Freiheit – für sich und alle – und die singuläre Schaffenskraft, die Unverwechselbarkeit.
Paula Rego zu Gast bei Picasso in Málaga, das ist auch eine schelmische Erinnerung an den „Macho“, an eine Zeit, in der selbst die gute, die fortschrittliche Hälfte der Welt noch fest in Männerhand war, das Weibchen als Muse, Zierde, Ausrede herhielt. Was sie aber am meisten mit Picasso verbindet, ist das Bewahren des Kindlichen als eine Voraussetzung großen Künstlerseins. Gemessen daran, stand sie dem Hausherrn in Nichts nach.
Zum Thema: Gemalte Lebenslieder - Spanischer Realismus trifft in Málaga auf andalusische Klischees - bis 22. September 2022 im Thyssen.