Picasso dekonstruiert und setzt neu zusammen, inszeniert, karikiert, konzentriert, transformiert in Form und Gehalt. Schön zu sehen ist das in der Sonderausstellung an Stillleben, die auf Spanisch bezeichnenderweise Bodegón genannt werden, als hätte Picasso diesen Begriff selbst geprägt. Seinem „Restaurante“ von 1914 stellt das Museum die „Vanitas“ Gijsbretchs von 1660 gegenüber. Picasso entzieht sich schon in diesem Frühwerk jedem Naturalismus und lässt so mehr erkennen als das Offensichtliche. Und das ist der Job der Kunst, die laut Picasso „eine Lüge ist, die uns die Wahrheit offenbaren hilft“.
Dieses Um-die-Ecke-sehen und -denken hilft auch, die Werke der Alten unter neuen Aspekten zu betrachten. Am eindrucksvollsten sind natürlich die Portraits, bei denen Picasso so richtig aufdreht. Auf den ersten Blick sieht alles nach Veralberung, Karikatur der alten Meister aus, wenn Picassos Männerbildnisse von 1970 den schmalschultrigen Prinzen Felipe von Lorente Germán aus dem 18. Jahrhundert oder El Grecos berühmtes Portrait seines Sohnes von um 1605 quasi in die Ecke drückt.
Doch um das Auffliegenlassen absurd gestellter Helden oder beschönigenden Manierismus‘ geht es Picasso gar nicht vordergründig. Vielmehr verneigt er sich in höchster Verehrung vor dem Parade-Genre der spanischen Malerei, allerdings in Picasso-Vokabular und verschmitzter Mimik. Da genügen einige dicke Striche, um ein aufwendiges Kostüm genauso wirkungsvoll entstehen zu lassen wie es die Alten mit feinem Pinselstrich mühsamst taten.
Die gloriose Pose scheint alles und die beherrscht Picasso perfekt, seine „Männerbüsten“ werden durch ein paar absurd anmutende ins deformierte oder neu formierte Gesicht „gekleckste“ Details zu Held und Clown gleichzeitig, wie zwei Seiten einer Medaille, die, wenn man draufbeißt nicht aus Gold, sondern ein Keks sein könnte.
Und selbst El Greco, den Picasso verehrte, muss damit leben, dass dessen spanischer Zeremonienkragen beim großen Spötter so tief nach unten rutscht, dass man ihn für eine Windel halten könnte. Nun ist auch verständlich, warum es sich die Kuratoren der Sonderausstellung wohl verkniffen haben, Picasso einige religiöse Gemälde zum lustvollen Fraße vorzuwerfen. Die Jungfrau Maria zu einigen seiner Frauenakte? Nur Mut!
Am Ende steht die Erkenntnis, dass Picasso, innovativ und revolutionär, im Grunde selbst auch Barockmaler war, Gestalter seines eigenen Barocks voll Üppigkeit, Formen- und Farbenlust, Humor und Allegorien. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass er sich frei von Auftraggebern und äußeren Zwängen entfaltete. Mal abgesehen vom Exil in Frankreich, das in seinem Fall aber sogar mehr befruchtete als es unterband.
„Cara a cara“ stellt ihn sozusagen in eine Reihe als einen „alten“ Meister mehr, der die Farbpalette in die Gegenwart weiterreicht, die Freiheit der Kunst mit jener des Künstlers und des Kunstbetrachters verbindend, – nicht mehr als Facette, sondern als Grundton.
Dass Málaga, Picassos Geburtstadt, überhaupt eine maßgebliche Sammlung seiner Werke vorweisen kann, ist ein großes Glück, denn zu Francos Zeiten scheiterte ein solcher Versuch wegen behördlichen Verbots und die Gefahr war nicht gering, dass Picassos Werke gänzlich im Exil oder in Privatsammlungen verblieben. Christine Ruiz-Picasso, Witwe von des Meisters ältestem Sohn Paul, machte das zusammen mit der Stadt über eine Stiftung möglich, seit 2003 residiert das MPM im 500 Jahre alten Palacio de los Condes de Buenavista in Málagas Altstadt.
Rund 450 Originalwerke aller Stilistiken, Materialien und Epochen umfasst die Sammlung, etwas mehr als die Hälfte werden im Wechsel gezeigt, die vor allem die Universalität eine der wichtigsten Künstlergestalten des 20. Jahrhunderts offenbaren. Eintrittskarten samt Zeitfenster unter: www.museopicassomalaga.org. Zur Stiftung gehört auch das Geburtshaus Picassos, das neben Dauer- und Sonderausstellungen Seminare, Talkrunden und Konzerte anbietet: museocasanatalpicasso.malaga.eu
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