Andalusische Seele in Stein: Besuch in den Mudéjar-Palästen von Sevilla

Die Stadtpalais im Mudéjar-Stil von Sevilla sind verspielte Pracht, ein architektonisches Scharnier zwischen Orient und Oxident. Sie sind der Hofstaat der Gran Diva unter den spanischen Städten. Und ein echter Geheimtipp.
- Die Palacios und Casas de Mudéjar in Sevilla werden von vielen Touristen übersehen. Viele sind für Besuche und Führungen geöffnet.
- Der Mudejár-Stil ist typisch für sie. Ein Baustil, der maurische Elemente mit andalusischm Lebensstil verwendet. Sevilla ist seine Hauptstadt.
- Bei einer Führung durch den Palacio Lebrija in Sevilla kann man Kunstwerke von den alten Römern bis ins 19. Jahrhundert bewundern.
Sevilla - Es sind nicht nur die Touristen, die an dem Gebäude vorbeistürmen. „Viele Sevillaner sagen mir, dass sie zum ersten Mal von dem Palacio gehört hätten“, sagt die junge Kunsthistorikerin, die heute drei Niederländer und einen CN-Redakteur durch den Palacio Lebrija führt. Die Renaissance-Fassade des Bauwerks, im typischen Goldgelb und Purpur Sevillas in der Calle Cuna, geht fast unter zwischen Mode- und Souvenirläden, Bars und Flamenco-Theatern der endlosen Altstadt von Sevilla.
Mudéjar Paläste in Sevilla: Lebenslust mit tieferer Botschaft
Vielleicht ist es die Reizüberflutung, die Touristen überanstrengt oder sind es die zwölf Euro Eintritt, die viele abschrecken, denn für das Geld kommt man bereits in die Kathedrale und das nahegelegene, prachtvolle Museum der Schönen Künste lädt sogar zum kostenlosen Besuch ein. Doch die Mudéjar-Paläste und Villen Sevillas spiegeln Geschichte und Ästhetik der Stadt besonders lebensnah wider, auch weil viele noch bewohnt, zumindest aber benutzt sind.

Mudéjar ist ein Hybridstil, zwischen Gotik, Renaissance, maurischer Bau- und Ausstattungskunst und Lebensphilosophie, adaptiert vom andalusischen Folklorismus mit seinen Elementen spielend und in gewisser Weise zeitlos. Ein Albtraum für Architekturprofessoren also.
Der Mudéjar hatte seine Blüte als architektonisches Scharnier zwischen Orient und Okzident, als im 15. und 16. Jahrhundert Sevilla eine der bedeutendsten und größten Städte der Welt wurde, doch zieht sich dieser Stil so sorglos wie farbenfroh durch die Jahrhunderte und blieb der bauliche Ausdruck der andalusischen Seele. Man nimmt auf, was man mag und was einem gut tut, egal wo es herkommt und egal, ob man anderswo darüber lacht. Diese Lebensleichtigkeit des Andalusischen finden wir nicht nur im Mudéjar, sondern auch in ihrem Dialekt, im Flamenco, in der Küche.

Palacio de Las Dueñas: Die Märchenwelt der Herzoge von Alba
Eines der prächtigsten Beispiele der Mudéjar-Architektur in Sevilla ist der Palacio de Las Dueñas, im 15. und 16. Jahrhundert auf Klostermauern erbaut, gehört er seit langem zum herzöglichen Hause Alba, also einer der reichsten Adelsfamilien Europas. Zunächst begrüßt einen etwas reserviert eine berankte Fassade, die eher an den Eingang zu einem Kloster erinnert, als an einen Palast. Doch im Inneren – ganz nach maurischer Lebensart – entfaltet sich die Pracht in einem Patio mit zweistöckigen Säulengängen mit ihren typischen Rundbögen, den unendlich reichen Stuckarbeiten, Azulejos aus vier Jahrhunderten, in der Mitte natürlich ein Wasserspiel und überall Palmen, Orangen, Blüten als natürliche Elemente, ohne die diese Architektur nicht vollständig wäre.
In den Pracht- und Wohnräumen eklektizistischer Reichtum in Mobiliar, Vitrinen und an Wänden, mit Hinweisen auf den Charakter der Bewohner. Bei den Albas muss es von allem und viel sein. Mehr Adel als edel. Im 19. Jahrhundert – Erste Republik – wurden die Räume geteilt und zu Wohnungen umfunktioniert, der Dichter Antonio Machado verlebte hier seine Kindheit. Heute strahlt, auch Dank der Eintrittsgelder der Touristen, alles wieder in alter Pracht. Es gibt Führungen gegen Voranmeldung.
Casa de Pilatos: Italienische Inspiration auf enteignetem Besitz
Im Viertel San Bartolomé begann 1483 der Bau eines Stadtpalais, das als Casa de Pilatos firmiert und italienisch inspirierte Renaissance und Mudéjar zusammenführt. Er liegt etwas versteckt, seine Pracht im Inneren verbergend. Gebaut ist er auf Grundstücken, die von der Inquisition enteignet wurden, auf jüdischem Besitz. Auch hier in der Casa de Pilatos sehen wir von außen eher eine Festung und innen dann reine Schönheit, wahrlich königliche Pracht. Kein Wunder, denn die Eigentümer sind die Medinaceli, eine Familie eng verbunden mit kastilischen Königen, Stammsitz ist in Soria. In der Casa de Pilatos ragt neben der Architektur vor allem eine tolle Gemäldesammlung heraus. Der Palacio ist ein echter Geheimtipp für Sevilla-Besucher.
Palacio de los Marqueses de La Algaba: Museum des Mudéjar-Stils
Ein weiteres Beispiele von Mudéjar-Palästen ist der Palacio de los Marqueses de La Algaba von 1474 an der Plaza Calderón de la Barca, in dem sich heute auch ein Museum befindet, das sich speziell der Mudéjar-Kunst widmet. Nicht weniger interessant ist die Casa de los Pinelo in der Calle Abades, Sitz der Akademie der Schönen Künste, Real Academia de Bellas Artes de Santa Isabel de Hungría.
Nur wenige Schritte neben Sevillas Kathedrale in der Calle Mateos Gago gelegen ist die Casa de Salinas, etwas düster, aber die Verschmelzung zwischen westlichem Glaubensimperativ und östlicher Spiritualität besonders eindringlich vermittelnd. Auch der Palacio de Mañara, Renaissance aus dem Jahre 1540, hat sich im einst jüdischen Viertel San Bartolomé breit gemacht, hier wurde Miguel de Mañara geboren, der als Gründer eines Armenkrankenhauses und Stifter vieler Hilfsprojekte bekannt wurde. Heute sitzt hier die Generaldirektion für Denkmalschutz der andalusischen Landesregierung. Geführte Besuche sind dienstags und donnerstags um 11 Uhr gegen Voranmeldung möglich.
Casa del Rey Moro: Ältestes Wohnhaus Sevillas
Eine Besonderheit stellt die Casa del Rey Moro in der Calle Sol 103 dar. Um 1490 errichtet, soll es das älteste Wohnhaus der Stadt sein, das so gut wie unverändert bestehen blieb. Hier sitzt die Stiftung Infante Blas, die sich dem historischen andalusischen Nationalismus verschrieben hat. Ein Blick in den Hof ist lohnenswert, erzählt er nämlich einmal von den Lebensverhältnissen „normaler Bürger“ vor 500 Jahren. Der Mudéjar-Stil ist prägend für Sevilla geworden, in späterer Zeit oft nur als schmückendes Element, selbst im 19. und 20. Jahrhundert fügten die Architekten ihren Bauten maurisch anmutende Zierden an oder errichteten Gebäude, die zwar aussehen wie altes Mudéjar, es aber genauso viel sind wie Neuschwanstein ein mittelalterliches Schloss.
Lebrija: Palast einer Sherry-Dynastie
Doch zurück in den Palacio Lebrija, dieser im Innenstadttrubel verborgenen Perle aus dem 16. Jahrhundert. Er erzählt die Geschichte einer Frau, Regla Manjón Mergelina, Gräfin von Lebrija. Sie heiratete in eine alte Familie ein, die mit Sherry zu Reichtum kam. Im Dorf Lebrija, auf halbem Wege zwischen Sevilla und Jerez de la Frontera, haben die Nachfahren noch heute ihre Güter und Bodegas. 1901 kaufte die Gräfin den Stadtpalast und adaptierte ihn jahrelang, verlegte den Patio, entkernte und zog neue Ebenen ein, erhielt aber den Grundcharakter.
Ihr Mann, ein einflussreicher Abgeordneter an den Cortes de Andalucía, starb recht früh, die reiche Witwe widmete sich der Malerei, sammelte Bücher zu einer großen Bibliothek und begeisterte sich für Archäologie. Sie gab Salons und nutzte ihre Stellung für karitative Sammlungen. Sie wurde die erste Frau, die in die Akademie der Schönen Künste Madrids aufgenommen wurde.
Ein echter Van Dyck? Kunst, Architektur von den Römern bis nach China
Nach 13 Jahren war ihr Werk vollbracht und die Besucher sehen heute im mit Säulen aus dem 16. Jahrhundert gestalteten Haupthof auch wertvolle antike Mosaike, darunter eines, dem Gotte Pan gewidmet, das Weltmuseen Ehre machen würde. Sie konnte es damals einfach kaufen, 1914 direkt aus der römischen Ausgrabungsstätte Itálica. Aus einem alten Kloster rettete sie Stuckarbeiten, aus einer verfallenen Moschee Azulejos aus dem 15. Jahrhundert sowie eine 400 Jahre alte Holztäfelung einer Decke aus dem Palacio Marchena.
Alles finden wir in der Haupttreppe wieder, ähnlich wie auch die Giralda in Epochen geschichtet wurde. Zwischen den maurisch inspirierten Säulen gibt es antike Statuen und solche aus der Neuzeit, Vitrinen mit islamischer Keramik. Geld machte es möglich, dass all diese Güter nicht in alle Welt verkauft wurden, sondern hier bleiben konnten. Sevillanische Deckentäfelungen sind bei arabischen wie amerikanischen Millionären groß in Mode gewesen. Auf der anderen Seite scheint es dennoch absurd, so etwas in Privatbesitz zu sehen, wo es eigentlich ein Welterbe der Menschheit ist.

Kunstwerke aus vielen Jahrhunderten
Das Haus gliedert sich in einen Sommerbereich mit einem Sommerspeisesaal voller Kacheln, der direkt in kleine Gartenhöfe führt. Im oberen Bereich sind Wohnräume, das Winterquartier, zu sehen, die völlig überladene und deshalb besonders charmante Bibliothek, ein Wappensaal, ein maurisch inspiriertes Teezimmer und all das zwar restauriert, aber voller Patina belassen. Es riecht alt. Alles wirkt, als seien die Bewohner nur gerade verreist. Das sind sie ja auch, denn sie nutzen das Haus immer noch, daher sind einige Privatbereiche auch nicht zugänglich.
Prächtig gedeckte Tafeln, die ganze Wucht des historistischen 19. Jahrhunderts, auch Chinoiserien und andere exotische Kulturgüter, immer in feinster Qualität und alles in einem stilistischen Durcheinander, das zwar beeindruckt, in seiner wahllosen Fülle aber auch nah ans Lächerliche gerät. Die Eitelkeit und die Besitzgier des Geldadels kennt kein Maß und wenig Stil. Dort steht eine Truhe, die Cervantes als Steuereintreiber in Sevilla benutzt haben könnte. Hier hängt ein Van Dyck. „Ein echter?“ quiecken die Holländer voll Entzücken. „Ja, ein echter“. Im Parterre sind zwei Rubens zu Besuch, Leihgaben aus Italien, dazwischen sehen wir steife Portraits der hochwichtigen Vorfahren.
Die Palacios oder auch Casas Mudéjar in Sevilla eifern im Grunde alle ein bisschen dem Real Alcázar nach, dem ältesten stetig von Herrschern bewohnten Königsschloss Europas. So wie das Bürgertum und der Klein- dem Hochadel nachstrebte. Im Alcázar steht der Palast Pedro I. als zentrales Element, der wiederum eine Interpretation der Nasriden-Paläste in Granada darstellt. In beiden arbeiteten Künstler von hier wie da.
Mudéjar: Künstlerisches Erbe einer unmöglichen Allianz
Den Mudéjar-Stil, der Sevilla so prächtig wie verspielt kennzeichnet, kann mal also als das künstlerische Erbe der Allianz der „besten Feinde“ König Pedro I. von Kastilien und Kalif Mohamed V. von Granada bezeichnen. Diese fanden als Kriegsherren zusammen, stützten sich aus Kalkül und erkannten dabei im anderen den Menschen, der Schönes liebt. Und es die Kunst ist, die bleibt, während der Krieg nur zerstört. Beide waren nicht nur von Aragonesern hier und Berberfürsten dort verfolgt, sondern ihre eigenen Familien trachteten ihnen nach dem Leben. Das Weltliche verband sie so mehr als Glauben sie trennen konnte. Eine unverstanden gebliebene Lektion, lesbar noch in den Palacios Mudéjar von Sevilla.