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Sound des Gutgehens: Spanisches Nostalgie-Musical auf Amazon Prime

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Von: Stefan Wieczorek

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Menschen feiern auf Platz, Junge klettert auf Laterne, Band macht Musik.
Spanien rockt noch heute zum Sound der Hombres G. Großes Bild: Szene aus Musical 2022 (bei Prime mit englischen Untertiteln) © Rathaus Valladolid/Wikimedia Commons

Zu Weihnachten 2022 kommt Spanien nicht an den Hombres G vorbei. Dabei gibt‘s die Kult-Band schon 40 Jahre!

Für einen TV-Augenblick war es zurück, das Spanien der 80er Jahre mit der Einkehr der jungen Demokratie, der fetzigen Pop-Rock-Musik und der derben, unzensierten Fröhlichkeit. Kürzlich, im Herbst 2022, tobte das ganze Studio der Quizshow „Pasapalabra“, als „Devuélveme a mi chica“ von den Hombres G erklang. Publikum und Promis feierten und gröhlten zum Superhit der spanischen 80er-Beatles, bis Showgast Ana Morgate dazwischengrätschte und allesamt ins Jahr 2022 zurückbeförderte.

Spanische Musik: 80er Musical vor Weihnachten auf Amazon Prime 

Das Lied sei ja ganz cool, mahnte die spanische TV-Frau, aber eigentlich nicht richtig. Erstens werde in diesem spanischen Pop-Rock-Klassiker das Gegenüber unflätig beschimpft, (als „mamón“, W**ser). Ferner sei „marica“ (Schw**tel) „gar keine Beleidigung“. Und sowieso sei „devuélveme a mi chica“ (Gib mir mein Mädchen zurück) nicht korrekt, weil Frauen doch keine Gegenstände seien. Der Song aus den 80ern sei „schlecht gealtert“, nickte der gerade noch partyfrohe Moderator die Korrektur ab.

Schlecht gealtert? Für die Hombres G war es nicht gerade der Top-Moment des Jahres, in dem die spanischen Musik-Ikonen doch ihr 40. Jubiläum feiern. Eigentlich überwog 2022 auch das Lob für die Band, die in den 80er Jahren bis nach Südamerika als Spaniens Beatles galten. Auch an Weihnachten wird die neue Hombres-G-Welle, die durch die spanischsprachige Welt rauschte, anhalten. Nicht unbedingt wegen neuer Songs, sondern wegen der Rückkehr der alten – auf der großen Leinwand und auf Amazon Prime.

Spanien in 80er Jahren: Spanische Geschichten

Fetzig losgelöst: Eine gemeinsame Leidenschaft

„Voy a pasármelo bien“, Ich werde es mir gutgehen lassen: Unter dem Hit-Titel eroberte im Sommer 2022 ein Musical die Kinos und pünktlich zu Weihnachten auch die Amazon-Prime-Bildschirme. Ein spanischer Gutelaune-Film für die ganze Familie, sicher. Aber auch eine wunderbare Reise in die Ära des fetzig-losgelösten Sounds vom Madrider Quartett aus den spanischen 1980er Jahren.

Naturgemäß dürften Spaniens Ü40er am Spaß am Nostalgie-Spektakel haben. Doch der clever und liebevoll inszenierte Kontrast zwischen dem 80er-Damals und dem 22er-Heute übt auch starke Reize auf die Jugend oder ausländische Zuschauer aus. Die Story: Im Jahr 1989 finden die zwölfjährigen David und Layla Gefallen aneinander, wobei eine gemeinsame Leidenschaft die Hauptrolle spielt – die Hombres G. Intensive Momente erleben die zwei und ihre Freunde.

Doch allzu bald trennen sich die Wege. Erst 2022 erhält der Mitt-40er den Anruf: Layla, nun ein bekannter Filmstar, wird nach Valladolid zurückkehren und will die alte Meute wiedersehen, vor allem aber ihn. Valladolid als Bühne der Hombres-G-Hommage ist ein Volltreffer. Bemerkenswert hübsche und unverbrauchte Ecken der Nordstadt am Fluss Pisuerga entfalten gerade in ihrem 80er Kostüm große visuelle Attraktivität.

„Wenn es sie so beleidigt, warum spielen sie es dann?!“

David Summers, Sänger von Hombres G

Alte Schulfreunde aus Madrid: Quer durch Latinowelt

In Hinterhöfen, auf Schulwegen, auf den schönen Plätzen und Straßen der Altstadt erklingen die alten spanischen Hits wie „Voy a pasármelo bien“ oder „Venezia“ mit ganz neuem Schwung: Ein idealer Einstieg in die Welt der G-Männer, die sich im Jahr 1982 so nannten, um einem US-Krimi – „G-Men“ (1935) zu huldigen, der damals fast so alt war, wie es die Hombres-G-Ära für uns heute ist.

Ursprünglich hatten David Summers, Daniel Mezquita und Javier Molina, alte Schulfreunde aus Madrid, ja Punkrocker werden wollen wie die Sex Pistols. Aber als sie mit Gitarrist Rafael Gutiérrez zu Mikros und Instrumenten griffen, konnten sie der Positivität, die ihr Land in den 80ern packte, nicht widerstehen, und auch nicht dem ureigenen Schalk, der die Hombres G für immer auszeichnen würde.

Ein Guardia Civil mit Pistole steht am Rednerpult im Parlament in Madrid, der Putsch gegen die Demokratie beginnt.
Putsch in Spanien 1981: Keineswegs stand die Demokratie in den spanischen 80ern auf festen Beinen. © EFE/Archivo

Das Album, das so hieß wie die Band, brachte 1985 den absoluten Durchbruch, der die vier in einen regelrechten Sog der Extase riss. Bis 1992 brachten die Hombres G fast im Jahrestakt neue Alben heraus, dazu zwei Filme, und füllten Arenen quer durch die Latinowelt. So groß war die Popularität der in poppigen Schlabbershirts rockenden Jungs, dass man sie immer mal wieder, ohne groß zu übertreiben, als Spaniens Beatles betitelte.

Lustig, schlüpfrig, gehasst: Blockflöten vor Kruzifix

In jene Zeit fällt auch die Story des neuen Musicals. Längst ist die Band voll etabliert, die lustigen bis schlüpfrigen Texte allen bekannt, und natürlich dürfen auch die üblichen Hasser nicht fehlen, was der Film sympathischerweise nicht vorenthält. Hombres G?!, empören sich einige Jugendliche. Das sei Musik für „pijos“, Schnösel! Auch für Machistas? Sicher nicht, betonte David Summers in diesen Tagen, sich furchtbar über den Hombres-G-Rüffel, den die Quizshow auf Twitter fortführte, aufregend. „Wenn es sie so beleidigt, warum spielen sie es dann?!“, klagte der Sänger. Man habe die Songs vor 40 Jahren „aus Spaß“ geschrieben, in einer Zeit, in der „wir endlich sagen konnten, was wir wollten, ohne dass die Zensur dazwischenfuhr“.

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Die spanischen Tabubrüche jener Zeiten sind auch im Film ein wiederkehrendes Motiv. Besonders schön trifft es die Darbietung des frechen „Suéltate el pelo“ (Lös’ dein Haar) mit Blockflöten in der mit Kruzifix geschmückten Schulklasse. Nein, ein idealisiertes „pasármelo bien“-Bild der 80er in Spanien bietet der mit großartigen Schauspielern bestückte Familienfilm nicht: Schon im energiegeladenen Anfangspart wird der Tagtraum des Protagonisten durch eine fiese Mobber-Clique gestört, die ihm gewaltsam seine Wertsachen – Walkman, Sonnenbrille – abnimmt.

Ablenkung mit Kassettenklau: Gar nicht auf Mädchen

Davids geschiedene Eltern haben in der Musical-Story keine Zeit für seine Bedürfnisse, sodass er unkontrolliert durch die Gegend streift und – da ja noch kein Handy zur Ablenkung zur Verfügung steht – mit seiner neuen Flamme Kassetten im Musikladen (!) klaut. Davids Freundeskreis grenzt partout auf gemeine Weise einen dicklichen Nachbarsjungen aus, und dann ist da noch der eigene Schulkamerad, der erst 2022 als Erwachsener bekunden wird, eigentlich gar nicht – wie all die derben 80er Jungs um ihn – auf Mädchen geachtet zu haben..

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