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Neuinfektionen auf hohem Niveau
Coronavirus: Kommt die zweite Welle? Virologe sieht deutliche Anzeichen
Für Herbst 2020 befürchteten Virologen eine zweite Welle - ist sie etwa schon jetzt in NRW angekommen? Das Robert-Koch-Institut (RKI) nennt die Entwicklung „beunruhigend“.
- Hohe Zuwächse bei den Coronavirus-Fallzahlen schüren die Angst vor einer sogenannten zweiten Welle.
- Ein erster Virologe spricht von deutlichen Anzeichen dafür.
- Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt eine entsprechend kritische Bewertung der aktuellen Lage ab.
Düsseldorf - Etwa seit dem 20. Juli steigt die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland, vor allem in Nordrhein-Westfalen wieder deutlich. Gründe dafür sind die Rückkehr von vielen Urlaubern aus Risikogebieten in Verbindung mit deutlich ausgeweiteten Tests, aber auch der zunehmend leichtfertige Umgang mit den Hygiene- und Abstandsregeln.
Coronavirus | Sars-CoV-2 |
Einstufung durch die WHO | Pandemie (11. März 2020) |
potenzielle Erkrankung | Covid-19 (Atemwegserkrankung) |
Übertragungswege | Tröpfcheninfektion oder Aerosole |
möglicher Übertragungsweg | Schmierinfektion |
Erstentdeckung | Provinz Wuhan (China), 2019 |
NRW hat Bayern überholt und ist inzwischen das Bundesland mit den meisten labor-bestätigten Covid-19-Fällen. Deren Zahl stieg auf über 53.000. Binnen einer Woche kamen mehr als 2500 neue Fälle hinzu - also fast 360 pro Tag. Weil gleichzeitig weniger Covid-19-Patienten genesen, kletterte die Zahl der akut Infizierten zuletzt sogar auf über 4800 (14. August). Das reicht, um die Angst vor der zweiten Welle bei vielen Menschen in NRW zu schüren.
Pro 100.000 Einwohner gab es in NRW aber beispielsweise am 13. August „nur“ 296,2 Fälle - das war an diesem Donnerstag in Deutschland hinter Bayern (401), Bade-Württemberg (344,7), Hamburg (313,6) und dem Saarland (298,3) der fünfthöchste Wert im Vergleich der 16 Bundesländer.
Coronavirus in NRW: Angst vor zweiter Welle - RKI warnt vor Verschärfung
Das Robert-Koch-Institut (RKI) nimmt den deutlichen Anstieg der Fallzahlen zum Anlass, in seinem Lagebericht deutliche Worte zu finden: „Die Zahl der täglich neu übermittelten Fälle ist seit der Kalenderwoche 30 angestiegen. Diese Entwicklung ist sehr beunruhigend und wird vom RKI weiter sehr genau beobachtet. Eine weitere Verschärfung der Situation muss unbedingt vermieden werden.“ Auch hier klingt Sorge vor einer zweiten Welle und einen weiteren Anstieg der Zahlen durch.
Die Zuspitzung der Pandemie zu vermeiden gelinge jedoch nur dann, wenn sich die gesamte Bevölkerung weiterhin engagiere, beispielswiese durch das konsequente Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln auch im Freien. Innenräume müssten gelüftet und Mund-Nasen-Bedeckung korrekt getragen werden.
In diese Kerbe schlägt aus einer völlig anderen Richtung auch der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob. „Selbst in lauen Sommernächten kann man viel tun, um das Infektionsrisiko zu minimieren - wenn man das möchte.“ Der Schlüssel im Kampf gegen die Verbreitung des Virus sei nicht „mehr Personal“, sondern „mehr Vernunft“.
Reiserückkehrer schleppen zahlreiche Neuinfektionen mit dem Coronavirus auch nach Bayern und vor allem in den Landkreis Ebersberg ein. Die meisten Neuinfektionen mit dem Coronavirus kommen aus Kroatien. Noch gilt keine Reise-Warnung für den Balkan-Staat. Jetzt droht im Landkreis Ebersberg eine zweite Welle des Coronavirus*, wie merkur.de* berichtet.
Coronavirus: Angst vor zweiter Welle - 10 der 15 Höchstwerte in NRW
Dass Nordrhein-Westfalen besonders stark vom aktuellen Anstieg der Fallzahlen betroffen ist, beweist der Blick auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Von den bundesweit 15 Kreisen und Städten mit den höchsten Inzidenzen (Fälle pro 100.000 Einwohner der letzten sieben Tage) liegen sage und schreibe zehn im bevölkerungsreichsten Bundesland, wie WA.de* berichtet..
Trauriger Spitzenreiter auf Platz drei hinter dem bayerischen Landkreis Dingolfing-Landau (zwei Ausbrüche mit insgesamt knapp 500 Fällen in einem landwirtschaftlichen Betrieb und in einer Konservenfabrik) und Berlin-Mitte ist der Kreis Unna. Dahinter folgen Hagen, Duisburg, Bochum, Mönchengladbach, Solingen, Herne, Remscheid, Dortmund und Gelsenkirchen.
Coronavirus: Angst vor zweiter Welle - Zahlen für alle Kreise und Städte
Zuletzt wurden nur noch aus 39 Landkreisen und kreisfreien Städten in ganz Deutschland binnen sieben Tagen keine Fälle mehr an das RKI übermittelt - NRW ist dabei nicht vertreten. Zum Vergleich: Am 12. Juli waren es noch 125 Kreise. Das Landeszentrum Gesundheit (LZG NRW) für Nordrhein-Westfalen listet für die 22 kreisfreien Städte und 31 Landkreise die konkreten Zahlen auf (bestätigte Fälle, Todesfälle, Genesene und 7-Tage-Inzidenz).
Die gestiegenen Fallzahlen seien zu einem hohen Teil auf Einreisende, also Urlaubsrückkehrer zurückzuführen, so das Robert-Koch-Institut. Das betrifft beispielsweise Spanien, wo laut Medienberichten auch Mallorca zum Risikogebiet erklärt werden soll. Bundesweit gebe es aber auch viele kleinere Ausbruchgeschehen durch größere Feiern im Familien- und Freundeskreis, Freizeitaktivitäten, an Arbeitsplätzen, aber auch in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen.
In Summe können solche lokalen Ereignisse gefühlt wie eine zweite Welle wirken, die es beispielsweise beim Blick auf die Reporduktionszahl für Deutschland (noch) nicht gibt. Bei einer Zahl von 1 bleibt die Zahl der Neuinfektionen etwa gleich. Fällt der Wert unter 1, werden es täglich weniger Infektionen, über dem Wert 1 steigen die Neuinfektionen täglich an. Zuletzt lag der Wert bei 0,91.
Neuinfektionen pro Tag in NRW | Quelle: Robert-Koch-Institut (RKI) |
14. August | 538 |
13. August | 535 |
12. August | 413 |
11. August | 413 |
10. August | 201 |
2. August | 43 |
27. Juli | 41 |
27. Juni | 421 |
21. Juni | 549 |
31. Mai | 90 |
22. April | 852 |
11. April | 1152 |
2. April | 1270 |
27. März | 1056 |
20. März | 991 |
15. März | 464 |
2. März | 7 |
Für viele Menschen in NRW, die Angst vor einer zweiten Welle haben, sind Planungen wie die des Konzertveranstalters Marek Lieberberg für ein Pop-Konzert mit 13.000 Zuschauern am 4. September mit Bryan Adams, Sarah Connor, Rea Garvey, The BossHoss sowie Joris in Düsseldorf schwer nachvollziehbar.
Gemeinsame Erklärung des @MAGS_NRW, der Stadt @Duesseldorf und „Live Nation“ zur geplanten Veranstaltung am 4. September 2020
— MAGS NRW (@MAGS_NRW) August 13, 2020
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Coronavirus: Angst vor zweiter Welle - Virologe sieht keinen Spielraum
Ob das umstrittene Event stattfinden darf, entscheidet sich übrigens am 31. August - also erst vier Tage vor dem eigentlichen Termin. Auf diesen Kompromiss haben sich die Stadt Düsseldorf und die NRW-Landesregierung geeinigt.
Der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz rät angesichts steigender Infektionen in der Corona-Pandemie generell von einer Rückkehr zu Großveranstaltungen ab. „Die zweite Welle zeichnet sich deutlich ab, da wir nun über mehrere Wochen einen Anstieg der aktiven Infektionszahlen feststellen“, sagte Scholz der dpa. „Ich sehe daher aktuell keinerlei Spielraum für weitere Lockerungen - auch und gerade nicht für Großveranstaltungen.“
Coronavirus: Angst vor zweiter Welle - Kontakte nicht nachzuvollziehen
Es gebe mehrere Risiken, die beachtet werden müssten. „Die Menschen gehen umher, holen sich Getränke, gehen auf die Toilette - da finden dann sehr viele Kontakte statt, die bei einer großen Personenanzahl kaum nachzuvollziehen sind“, sagte Scholz. Auch die Hygienekonzepte, die etwa festgelegte Wege oder eine Maskenpflicht vorsähen, ließen sich bei großen Menschenansammlungen kaum durchsetzen.
Bereits sich abzeichnende Effekte durch Reiserückkehrer sind laut Scholz „stark beunruhigend.“ Es müsse daher jetzt darum gehen, den Schulbetrieb zu normalisieren. „Wir sollten uns nun zunächst darauf konzentrieren, wie die Hygienekonzepte mit Lüften und Maskentragen in den Schulen funktionieren“, sagte der Professor.
Weiter vorsichtig und achtsam sein - #NRWkanndas. Die #Coronaschutzverordnung wurde heute bis zum 31. August verlängert. Wichtig: Die Maskenpflicht bleibt bestehen. In Bussen und Bahnen droht ein Bußgeld von 150 Euro für Personen, die sich der Maskenpflicht widersetzen. #corona pic.twitter.com/Z7A20Rp7Rv
— Staatskanzlei NRW (@landnrw) August 11, 2020
Coronavirus: Angst vor zweiter Welle - Fokussierung auf „Superspreader“
Virologe Prof. Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Münster (UKM) betonte mit Blick auf geplante Veranstaltungen: „Wir kennen ja so einige Events, die stattgefunden haben, an denen wir große Hotspotgeschehen hatten. Das war zum Beispiel die Aprés Ski Bar in Ischgl, die Karnevalsveranstaltung in Heinsberg oder das Starkbierfest in Bayern. In Japan hatte man eine Liste von solchen Events aufgeführt und gesagt: ‚Das sind Veranstaltungen, die man vermeiden oder erst gar nicht erlauben sollte.‘ Und genau das würde ich mir auch für uns wünschen, dass wir genauer definieren. Denn ich glaube, in der breiteren Bevölkerung ist das noch nicht angekommen.“
Und Ludwig weiter: „Wir müssen auf solche positiv Getesteten achten, die in irgendeinem Kontext zu einem sogenannten ‚Clusterevent‘ standen, das heißt, die viele andere angesteckt haben könnten, wodurch sich die exponentielle Ausbreitung wieder befördert. Das ist jetzt keine Abkehr von der alten Strategie, sondern eine Fokussierung auf ‚Superspreader‘. Das sind die Personen, die solche Clusterbildungen befördern und die uns die meisten Probleme bereiten. Wenn man sich dann auf die Zurückverfolgung konzentriert und nicht mehr auf die einzelnen Übertragungsevents schaut, dann hat man viel mehr Ressourcen, diese Clusterbildungen zu vermeiden.“
Coronavirus: Angst vor zweiter Welle - Plädoyer für flexibles Modell
Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hält eine Rückkehr zu Großveranstaltungen grundsätzlich für möglich - etwa mit umfangreichen Testungen im Vorfeld. Wichtig sei es, die Zahl der Neuinfektionen in einer Region im Blick zu behalten. „Davon sollte dann abhängig sein, wie viele Menschen eine Veranstaltung besuchen können und auch wie lange. Ich würde daher für ein flexibles Modell plädieren, das sich an das Infektionsgeschehen in einer Region anpasst“, sagte der Virologe.
Wissenschaftler der Uniklinik Halle wollen übrigens am 22. August mit einem Konzert-Experiment in Leipzig näher bestimmen, unter welchen Rahmenbedingungen Großveranstaltungen etwa in geschlossenen Räumen trotz der Corona-Pandemie möglich sein könnten. Bis zu 4000 Probanden sollen dazu an einem Pop-Konzert von Tim Bendzko teilnehmen. Sie und die Helfer müssen vor Studienbeginn einen Corona-Test durchführen und ein negatives Ergebnis mitbringen. - *WA.de und merkur.de sind Teil des Ippen-Digital-Netzwerkes
Rubriklistenbild: © Bernd Thissen / dpa