Seit mindestens 800 Jahren wird der Meeraal auf Gestellen getrocknet und bietet durch seine Netzstruktur pittoreske Landschaften. Hauptstadt der congrio-Herstellung wurde der kleine Hafenort Muxía an der Costa da Morte, Todesküste, die allein schon einen Urlaub wert ist. Aber auch an der kantabrischen Küste wurde er lange produziert, als Zuverdienst für Fischer, als eiserne Reserve und lange auch als Wertanlage.
Laut Dokumenten taucht der congrio seco erstmals im 12. Jahrhundert auf, wo er als eine Art Währung zur Zahlung von Tributen an die Herrschaft benutzt und bis tief ins Inland von Kastilien transportiert wurde. Schon damals war sein Genuss ein Privileg der Bessergestellten, sein Preis lag deutlich über dem anderer Fische. Im aragonesischen Calatayud wurde er sogar an einer eigenen Börse gehandelt, ein Gremium wachte über Qualität und Preise, Trockenhäuser entstanden.
Doch die Industrialisierung und die größere Verfügbarkeit frischer Ware verdrängten den intensiv schmeckenden Meeraal fast gänzlich von den Speisekarten. Heute gibt es nur noch zwei Betriebe in Muxía an der „Todesküste“ Galiciens, die sich dem traditionellen Verfahren widmen. Einer ist der Familienbetrieb Lemar, der seit dem Jahr 1446 durchgängig im Geschäft geblieben ist und der von einem Fischerpaar geleitet wird. Sie sehen sich als Kunsthandwerker, keinerlei Zusatzstoffe werden für die Herstellung eingesetzt, außer einer Salzlake und Luft. Das Geheimnis besteht lediglich in der kunstfertigen Schlitzung des Aals zu einem Rauten-Netz und der richtigen Hängung in den cabrias genannten Holzgestellen, wo die Fische die hier charakteristischen Nordostwinde wie Segel auffangen.
Sollte das richtige Lüftchen ausbleiben, helfen speziell ventilierte Trockenkammern weiter. Das Paradegericht mit congrio ist ein safranisierter Reis mit Muscheln (almejas) oder ein tomatig gerührter Risotto mit kleinen Garnelen, wobei kleine congrio-Stückchen langsam untergerührt werden und der Sauce einen unverwechselbaren Geschmack geben. Doch auch ganz einfache Tapas mit rehydriertem congrio seco, kombiniert mit etwas Öl, roten Zwiebeln und Kapern (alcaparras) bieten sich für den kräftigen Geschmack an sowie ein Klassiker mit Kartoffeln, wie eine Art Eintopf. Dazu trinkt sich sehr gut ein orujo gallego, jener mythische Kräuterschnaps, dessen Herstellung wohl noch älter ist als jene des congrio. Mehr zur hoch interessanten Küche in Galicien.
Die Druckerschwärze unseres Artikels über die uralte Spezialität des getrockneten Meerals, congrio seco in Galicien, war noch nicht trocken, da erreicht uns die Nachricht, dass das Gesundheitsamt die letzten beiden Manufakturen, die den congrio noch auf die alte Weise auf den Holzgestellen an der frischen Luft trockneten, am 17. Februar 2022 geschlossen hat. Der Grund: Es fehle ein Gesetz, das diese Produktionsart reguliert und sicherstellt, dass sie die hygienischen Normen erfüllt, die eine Gefährdung des Konsumenten ausschließt. Man könnte meinen, nach gut 600 Jahren Betrieb, sollte sich herausgestellt haben, ob der Verzehr des congrio sicher ist oder nicht.
Doch Ämter haben eine eigene Logik. Die Agencia Española de Seguridad Alimentaria, die spanische Lebensmittelaufsicht, ließ erklären, dass es eines wissenschaftlich gestützten Unbedenklichkeits-Protokolls bedarf, um eine Zulassung über die Liste der traditionellen Zubereitungsarten möglich zu machen. Erstaunlich ist nur, dass die Ämter Jahrzehnte nicht tätig wurden. Die betroffenen Familien haben die Meeraale abgehängt und sie erstmal eingefroren, "was teuer ist, zumal in einem Geschäft, das keine Reichtümer abwirft", erklärt einer der Fischtrockner. Einige Proben schickt er ins Labor, um nachzuweisen, dass die Ware einwandfrei ist - wie sie es immer war.
Außer sich ist der Bürgermeister von Muxía an der Costa da Morte in der Provinz A Coruña. Die Behörden sollten "sich dranmachen, eine Möglichkeit zu finden, dass dieses Monument unserer Kultur erhalten bleibt". Denn die Trocknung sei genauso eine übliche Konservierungsart wie das Salzen oder Räuchern und immer schon dagewesen. "Die Ämter sollen das Besondere als solches Erkennen und auch so behandeln." Wie eingangs erwähnt, die galicischen Fischer sind bekannt für ihre Cleverness. Sie werden einen Weg finden.
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