Die Andalusier bewirten den Gast in derselben Weise, in der die alten Venezianer Fresken an die Wände hauchten. Mit kühnem, sorglosem Pinselstrich, pastellenen Farben und schrillen Einsprengseln, die sich erst mit etwas Abstand zu einem wohltemperierten Gemälde formen, in dem jeder sehen kann, was er will. Ihre Kultur, ihr Genius trägt sie zu Perfektion, ohne dass sie danach streben. Was hat er dauernd mit den Italienern, werden Sie fragen? Ganz einfach, Andalusien ist die Region Spaniens, die in ihrer Küchentradition, Viel- und Sorgfalt an jene Italiens – unbestreitbar die beste der Welt, sorry Spanien – heranreicht. Andere spanische Regionen schaffen das nicht.
Andalusiens lukullische Farbpalette, also die Rezeptbücher und Zutaten, sind dabei uralt und in vielen Fällen sogar Wiege der spanischen Küchen. Vergessen wir nicht, dass Andalusien praktisch 3.000 Jahre das Zentrum Spaniens war – aller Spaniens, ob sie nun Iberia, Ishapan, Hispania, Al-Ándalus oder España hießen. Und jede Kultur ließ zumindest ein paar Tapas und einige Zutaten in der andalusischen Speisekammer da, so wie in einer gut gepflegten Wanderhütte. Erst Ende des 17. Jahrhunderts übernahm Madrid als endgültige Hauptstadt Spaniens. Oder besser gesagt, der verbohrte Felipe II stülpte diese Rolle Madrids dem Rest des Landes über.
Doch in Andalusien formte sich jene Ursuppe (sie war natürlich eine gazpacho andaluz), die wir heute als Spanien kennen. Dieses Spanien erlebte seine Renaissance 500 Jahre vor der italienischen, während des Kalifats von Córdoba (850-1030), als die größten Geister ihrer Zeit die Werke der Antike in regem Austausch zwischen Juden- und Christentum sowie einem damals noch weltoffenen Islam für Europa neu erschlossen. Sodann residierten Kastiliens Könige am Höhepunkt der Reconquista in Córdoba und Sevilla, stießen Spanien in ein Mittelalter zurück, während nebenan, im Granada der Nasriden-Dynastie der Traum von einem anderen Europa in vollendeter Pracht verendete. Kaiser Karl V. (Carlos I.), der „Reichseiniger“, heiratete im Dome zu Sevilla. Das war ein Statement, das bis heute nachwirkt. Man vertrieb die Mauren und die Juden, züchtigte die Gitanos, doch die echten Halunken wurde Andalusien bis heute nicht los.
Das Vulgärlatein, das sich unter Römern und in Al-Ándalus herausbildete, tausende Wörter Arabisch und auch phönizisch-semitische Adoptivkinder bilden den zweiten Stamm, aus dem das Castellano erwuchs. Die jesuitische Gelehrtheit des Nordens traf auf des Volkes Maul im Süden, das mehr Einfluss auf das Spanische ausübt, als es die steifen Professoren der Königlichen Akademie in Madrid in ihrem altkastilischen Dünkel oft wahrhaben wollen. Dass Cervantes die ersten Kapitel seines Quijote in einem Knast in Sevilla und nicht etwa in Alcalá de Henares schrieb, spricht - im Wortsinne - Bände.
Alles war schon da in Andalusien seit den Iberern, über Phönizier, den geheimnisvollen Tartesanos, Griechen, Römer, Goten bis zu den Mauren und Gitanos, – chaotisch, fragmentiert und doch verschmolzen. Daran hat sich bis heute kaum was geändert. Kastilien wurde der Vater, Andalusien die Mutter Spaniens. Und das schmeckt man, auch die Seitensprünge der beiden.
Ganz Andalusien ist eine Tapas-Bar, die Kultur der kleinen Häppchen wird hier auf die Spitze getrieben. Kein weiser Mensch bestellt in Granada noch etwas zu Essen, die Tapas sind hier so groß wie anderswo ganze Portionen. Essen und leben lassen, reden und den anderen nicht zu Wort kommen lassen, den Moment genießen, lachen, wo man heulen müsste und dazu ein kühles Bier.
Die wilden Schnecken in scharfer Sauce sind einfach am besten im Albaicín in Granada mit Durchblick auf die Alhambra. Dass sie hier – wortwörtlich bis zum Abwinken – aus einer lärmenden Gitano-Küche mit weit ausholendem Schwung in eine Glasschüssel expediert werden, ist kein Klischée, sondern Alltag. Sardinen am Spieß würden woanders nur ein schnöder Fisch sein, als espeto de sardinas in einer Bar an einem Strand in Málaga, wo sie in einem ausgedienten Ruderboot über der Glut brutzeln, sind sie hingegen der Himmel auf Erden. Wer käme auf die Idee, Kichererbsen mit Spinat zu verrühren und als Gourmet-Tapa zu servieren? Natürlich die jahrhundertealten Bars in Sevilla, die aus der Zubereitung dieses Happens eine Liturgie gemacht haben, in der die Gewürze von Jahrhunderten verschmelzen. Der Manzanilla-Sherry schmeckt am besten auf der Feria de Abril oder am Hafen von Cádiz oder in einer modrigen Bodega in Jerez, wo Spaniens goldene Tropfen, der Sherry reift.
Der Gaumen muss in Andalusien sehen, fühlen und hören, ja sogar tanzen lernen, um richtig schmecken zu können. Die tortillitas de camarón, der pescaíto frito, salmorejo oder gazpacho, Spaniens unvergleichlicher Zaubertrank, bekommen ihren Geschmack erst zusammen mit dem rau-romantischen Ton der Flamenco-Sänger, der sich mit dem Duft der Azahar-Orange, dem Sherry, dem Fluchen der Köche und dem mitunter hysterischen und doch sehnenden Lachen der Andalusier zu einem Universum vereinen, einer Orgie für die Sinne, von denen der Gaumen nur einer sein kann.
Kurz gesagt, Ambiente und Lebensstil sind in Andalusien ein unverzichtbarer Teil der Speisekarte. Andalusiens Küche ist Flamenco auf dem Teller. Es gibt nur zwei Regionen, ohne deren Produkte und Inspiration keine einzige Bar oder Küche in Spanien auskommen kann: Die Mancha mit ihrem Knoblauch, Manchego, Safran und Andalusien, allein schon wegen des Olivenöls, Spaniens Lebenssaft. Das „mar de olivos“, das Meer der Olivenplantagen, das einen Großteil vor allem von Jaén, Córdoba, Granada und Sevilla bedeckt, steht kurz davor, offiziell zum Weltkulturerbe der Unesco zu werden. Dass Spaniens Olivenöl eine bittersüße Note hat, liegt nicht nur in der Natur der Oliven selbst.
Stellen wir ein kleines andalusisches Buffett zusammen und versuchen dabei, zumindest die wichtigsten regionalen Besonderheiten zu streifen. Der Autor reklamiert dabei die gleiche sorglose Leichtigkeit, die man den Andalusiern als Charakterzug anhängt und die ihre Küche charakterisiert, die im Grunde eine Art gastronomischer Swinger-Club ist: Nichts muss, alles kann, aber einiges sollte man zumindest einmal im Leben probiert haben.
Beginnen wir unsere Andalusien-Rundreise in Almería. Wild-romantische Buchten, wüste Landschaften, die am Meer zu Traumstränden werden, Western-Drehorte, beeindruckende Burgen, viele Ruinen. Das halbe Land von Plastikplanen überdeckt, weil man in der trockensten Gegend Spaniens das meiste Gemüse anbauen muss. Almería, Stadt wie Land, gelten als Geheimtipp, werden vom gemeinen Touristen meist übersehen. Andalusien sollte sich erbarmen und das Eckchen an Murcia verkaufen, dann hätten die bemitleidenswerten Nachbarn wenigstens zwei Provinzen, die gleich trocken sind und Andalusien etwas mehr Geld.
Im nicht vorhandenen Schatten der beeindruckenden Alcazaba von Almería serviert man uns eine Tapa namens Tabernero, ein Baguette mit Pisto, dem spanischen Ratatouille mit manchmal schlimmer Schlagseite zur Dosentomate. Hier und dort mit boquerones al vinagre oder anchoa belegt. Ein mittleres Verbrechen ist der Chérigan, ein Stück getoastetes Brot mit ajoli oder Tomate beschmiert und Dosenthunfisch belegt oder was auch immer gerade weg muss. Reisnudeln mit Kaninchen, gurullos con conejo, caldo quemao (wörtlich: gebrannte Brühe), ajo colorao (gefärbter Knoblauch), potajes und andere Eintöpfe. Almería scheint nur ein Stiefkind Andalusiens zu sein. Immerhin, die Taranta des Flamenco kommt von hier, aber die kann man nicht essen, sondern die verschlingt einen.
Wir reisen weiter nach Jaén, höchste Burgendichte der Welt, mitten in den Oliven. Versuchen Sie die hellgrünen manzanillas, die nicht aufgeschnitten und so zum fermentieren gezwungen wurden (denn die können Sie überall kaufen), sondern nur in einem leichten Knoblauch-Wasser gelagert werden. Jaén, das ist das beste Olivenöl der Welt, sagt man nicht nur hier. Wie viele Jaénesen waren schon in Kantabrien? Auf Kreta? Viel Armut in Jaén. Viel zu viel für so ein reiches Land.
Ein gewisser Konsul Thürriegel, ein bayerischer Halunke mit königlicher Lizenz, hatte Mitte des 18. Jahrhunderts gegen Provision tausende deutsche Familien nach Jaén als Kolonisten verramscht. Die Gegend behielt dennoch ihre gute Küche und ihren natürlichen Humor. Rund um La Carlota laufen auffallend viele Blondinen herum. Das ist schon deshalb witzig, weil die Gegend hier zur Sierra Morena, also zu den brünetten Bergen gehört.
Die Winterküche in Jaén ist deftig und zigeunerbunt. Darf man nicht sagen, ist aber so. Wie die andrajos, eine minestra mit Fladenbrot-Stückchen und manchmal mit Kaninchen, ein anderes Mal mit bacalao. Tapas werden generös gereicht, die recluta ist der Hit in Jaén Stadt, ein frittiertes Brötchen mit Tomatenscheiben und anchoas, fermentierten Sardellenfilets, mit besten Grüßen aus Kantabrien, Spaniens Anchovis-Land.
Wir treffen die pipirrana, die gazpacho andaluz aus der Zeit als es noch keine Pürierstäbe gab. Ajoatao, kaltes Knoblauch-Kartoffelpürée mit einem Spritzer Zitrone und einem See Olivenöl darüber (heiß gibt es das in Navarra), morcilla de caldera, halbfeste Blutwurst aus der Renaissance-Stadt Úbeda, serviert mit witzigen kleinen Brötchen, den ochiós. Gazpacho manchego heißt hier galianos und ist von festerer Konsistenz als der Brei der Manchegos. Eine wilde Version der Armen Ritter, der torrijas, heißt panetes, süße Kugeln aus Krümeln und Ei, die wie albóndigas frittiert werden. Im Inneren Anis, Zimt, Orangenschale und Azahar, Essenz der Bitterorange als Parfum, das schon Kalifen schätzten.
Ganz Spanien sollte sich vor Córdoba verneigen, nicht nur vor dem Erbe der Kalifen, der Schönheit der Stadt, sondern auch vor der Küche. Da ist natürlich zunächst das Rezept für den rabo de toro, den Stierschwanz, der heute meistens einer Kuh gehörte, der in Rot-, originaler aber in kräftigem, halbtrockenem Weißwein gekocht wird, zuvor scharf angebraten und mit Tomate, Knoblauch, Zwiebel gefüttert.
Tatsächlich waren Stierkampfarenen früher Lieferanten dieser Spezialität, doch nicht wegen des Adrenalin-Kicks im Fleisch, sondern weil dort die Armen stundenlang anstanden, um überhaupt einmal Fleisch als milde Gabe des Gemetzels abzubekommen. Die Zubereitung, die vor allem auf die prächtige, kräftige Sauce hinausläuft, entstammt dem Willen, den größtmöglichen Geschmack aus den gallerten Knorpeln herauszuholen. Geschichte und Rezept des Rabo de Toro.
Und dann stammen die flamenquínes aus Córdoba, kleine frittierte Röllchen, die an Cordon Bleu erinnern, mal mit Schinken, mal mit Schweinebraten (lomo) und Käse gefüllt, mal mit allem, was noch zu groß für spanische Kroketten war.
Ob Córdoba auch die Geburtsstadt der albóndigas, der berühmten spanischen Hackfleischbällchen ist, ist umstritten, aber auch nicht so wichtig. Es ist jedenfalls überliefert, dass sie – damals aus Lamm oder Wildgeflügel geformt – in Ál-Andalus, also zur Zeit der Mauren, ein sehr beliebtes Festtagsessen und auch street food waren.
In Córdobas endloser Altstadt, einen Tomatenwurf weit von der Moschee-Kathedrale, gibt es die Gasse des Salmorejo. An einer Wand ist in Form einer Ehrentafel, die sonst nur Generälen, Bischöfen oder Königen huldigt, das einzig zulässige Rezept dieses puristischen Bruders der gazpacho andaluz eingemeißelt, als hätte Moses eine der göttlich diktierten Tafeln nach einer durchzechten Nacht hier stehen lassen, weil er es vorzog, mit einer hübschen Cordobesa durchzubrennen, anstatt den Menschen Gottes Gebote aufzudrängen, von denen der Alte eigentlich wissen musste, dass sich niemand daran halten würde.
Das Rezept für den Salmorejo cordobés: Reife Tomaten und altes Brot (ungefähr im Verhältnis 5:1), Olivenöl (mindestens 150 ml auf das Kilo Tomaten), Salz, Knoblauch. Keine Gurken, keine Paprika, kein Essig, das überlässt man dem verspielten Süden Andalusiens. Obenauf zerbröseltes, gekochtes Ei und ein paar Fetzen guten Ibérico oder Serrano Schinkens. Der Trick: Das Öl wird im bereits pürierten Produkt nach und nach, wie bei einer Mayonnaise, eingeträufelt und aufmontiert. Das ganze gut im Kühlschrank ziehen lassen. Alles zum Gazpacho, Spaniens Zaubertrank.
Einen besonderen Gruß hinterließen uns die sefardíes, die jüdischen Spanier, die man vor 500 Jahren nicht nur aus den Küchen vertrieb: Auberginen mit Honig. Aber nicht nur einfach so als Würfel frittiert und mit Honig übergossen wie anderswo in Spanien, sondern zu kleinen Nestern geraspelt, außen dunkelgold knusprig, innen fast pastaartig, wo der Honig wie der Speichel der Schwalben eingearbeitet wird, die bekanntlich dahin zurückkehren, wo es ihnen schmeckt. Einen Hauch Chili oder comino (Kreuzkümmel) dazu und wir sind im Orient des Okzident. Wie die Aubergine über Spanien nach Europa kam. Mit Rezepten.
Wir reisen weiter nach Granada, Málaga, Sevilla, Cádiz und Huelva. In der nächsten und letzten Folge unserer Serie.
Serie: Kulinarische Rundreise durch Spaniens Regionen.