Murcia lacht zuletzt: Kulinarische Rundreise durch Spaniens Regionen

Die Region Murcia wird vom Rest des Landes gerne belächelt, ihre Menschen als tapsige Hinterwäldler mit einem komischen Akzent dargestellt. Doch gastronomisch sind es die Murcianer, die zuletzt lachen. Nicht nur, weil Murcia - der Gemüsegarten Europas - sich beehren darf, 2020 als Gastronomiehauptstadt Spaniens aufzutafeln.
- Die deftige Küche Murcias ist von vielen Regionen und Zeitaltern beeinflusst.
- Die Tapas-Kultur in Murcia hat raffinierte Schöpfungen hervorgebracht.
- Die wichtigsten Gerichte im Schnelldurchlauf zum Nachkochen.
Murcia - Das kleine Fleckchen, vom Mar Menor bis an die Hänge der Olivenhaine Almerías und an die Mancha aneckend, nimmt sich einfach das Beste aus den umliegenden Regionen. Von der Levante hat man die Reisgerichte adoptiert und adaptiert und geht spielerischer mit ihnen um, als die strenge Paella-Schule Valencias es erlaubt. Die Küste liefert reichlich Rohmaterial, das sich in wenigen Handgriffen in feine Gerichte wandeln lässt, und auf der eigenen Huerta wachsen so ziemlich alle Gemüse und Früchte, die man sich wünschen kann.
Hinzu kommen die Schweine und der Käse, Schinken, Würste aus der Mancha, schließlich gehörte Albacete bis 1979 zu Murcia. Man hat also alles und das auch noch zu einem meist sehr günstigen Preis – ein Vorteil, wenn man nicht so berühmt ist.
Einflüsse von Al-Ándalus und Samen von Columbus
Es ist nicht leicht, das ursprünglich Murcianische in der Küche zu identifizieren, zumal auch dieses natürlich von Römern, Mauren und der innerspanischen Migration geprägt wurde. Mit Ibn Razin al-Tuyibi gibt es schon im 12. Jahrhundert einen Koch und Zeremonienmeister am Hofe des damaligen Herrschers – Murcia war ein eigenes Taifa, also Fürstentum –, der uns Rezepte von Artischocken, Zucchini gefüllt mit Gambas, die Verwendung der Knoblauchtriebe und die Zubereitung des Mojama erklärt. Dieser luftgetrocknete Fisch ist bis heute ein murcianischer, aber auch andalusischer Klassiker geblieben.
Später soll es Columbus selbst gewesen sein, der die Samen für die Paprikas einem Kloster – dem Monasterio de Guadalupe – übergab, das neben dem Viertel La Ñora gelegen war. Von dort kam die Rundpaprika nach Murcia, behielt ihren Namen und ist heute als getrocknete Spezialität eine der prägenden Zutaten vieler Gerichte. Neben der Ñora führen acht weitere Gemüse einen Herkunftsschutz.

Der Beiname „Gemüsegarten Europas“ für Murcia wäre also berechtigt, wenn dieser nicht durch die wasserverschwendende Agrarindustrie in einer der trockensten Regionen Spaniens, die „nebenbei“ durch ihre Düngerrückstände noch das Mar Menor auf dem Gewissen hat, in den Dreck gezogen worden wäre. Diese Sünde, die übrigens wir Nordeuropäer mit unseren Handelsketten und durch unseren ganzjährigen Appetit auf saisonale Gemüse hauptsächlich verursachen, sorgt auch dafür, dass die gastronomische Kultur der Region gefährdet wird. Stirbt das Mar Menor, stirbt natürlich auch der gleichnamige Fisch-Reis-Eintopf Caldero del Mar Menor. Die Umweltkatastrophe zog endlich Kreise. Das ZDF in Deutschland hat eine Reportage darüber gemacht.
Eintöpfe, Fischpfannen und Fleisch-Auflauf
In der Festtags- und Sonntagsküche spielt der Cocido con Pelotas, eine deftige und doch feine Brühe mit Fleischbällchen, eine wichtige Rolle. Er ist eine Adaption des Putxero Valenciano in Varianten mit Truthahn oder Hühnchen, aber auch Schweinefleisch. Der Pastel de carne murciano, ein Blätterteig mit Fleischfüllung sowie der Pastel de Cierva (benannt nach einem Lokalpolitiker aus dem 19. Jahrhundert und erfunden von einem gestrandeten russischen Schiffskoch), der süß und salzig vereint, sind Besonderheiten, die es wirklich nur in Murcia gibt.
In Jumilla, Yecla und Bullas, sogar auf dem Campo de Cartagena und in Abanilla werden seit der Römerzeit Weine hergestellt. Im 19. Jahrhundert, als in Frankreich die Reblaus wütete, erzielte man sogar einige Exporterfolge, doch heute führen die Weine aus Murcia ein Schattendasein bei besonders geschmackstoleranten Patrioten.

Was in den Tapas-Bars und ländlichen Schänken auffällt, ist die Vielzahl an Wurstvarianten, Embutidos. Man hat eine eigene Morcilla-Variante (Blutwurst) kreiert, die kalt und warm gegessen wird, doch die meisten anderen Würste findet man in der einen oder anderen Version auch in der Mancha wieder. Genauso wie die Zicklein im Ofen, das warme Gazpacho, die Brotkrumen-Pfanne Migas, die man sogar mit Sardinen bearbeitet, bis zum Zigeunereintopf, der Olla gitana oder der spanischen Kartoffel-Tortilla, der man einfach ein bisschen Tomate und Paprika beifügt und sie so murcianisiert hat.
Der Ensalada murciana hat es in die Bars ganz Spaniens geschafft. Im Grunde ist es ein Tomaten-Zwiebel-Salat mit Dosenthunfisch, gekochtem Ei und schwarzen Oliven, mit reichlich Olivenöl, Salz und Pfeffer gewürzt. Dazu frisches Brot, ist er gerade im Sommer eine erfrischende und gesunde Mahlzeit. Ein Ensaladilla rusa auf eine lange Rosquilla-Brezel gepappt und mit einem Anchovis-Filet belegt und schon haben wir die Marinera, die gerade in der Hauptstadt die Parade-Tapa ist – dort sollten Sie als Tapas-Freund die Plaza de las Flores unbedingt besuchen. Verwendet man anstelle der Anchoa ein Boquerón, heißt das Teil Marinero, ist nur Ensaladilla darauf, ist es ein Fahrrad, Bicicleta.
Zarangollo - Rührei mit Händchen
Als Tapa, aber auch Frühstück, hat sich der Zarangollo etabliert, ein großklingender Name für ein paar Streifen Zucchini (calabacín) mit Zwiebel (cebolla) angeschwitzt und dann bei sehr niedriger Temperatur mit Eiern (huevos) verrührt – für die richtige Konsistenz braucht es schon ein Händchen – um darin dann Brot einzutunken. Dazu dient auch das Pisto murciano, eine Gemüsesauce auf Tomatenbasis, die es in ganz Spanien auf die eine oder andere Weise gibt. In Murcia dominieren Paprika und Aubergine, es gehört Knoblauch dazu und viel Zeit für langsames Kochen. Man kann es als Saucen- oder Bratenbasis benutzen. Doch die Murcianer essen es im Sommer auch gerne kalt aus dem Einmachglas mit etwas Thunfisch oder einem gekochten Ei als Zwischenmahlzeit.
Murcia präsentiert sich als Gastronomiehauptstadt Spaniens 2020:
In diese Kategorie gehört auch die Sommer- oder Kriegsblutwurst, Morcilla de verano/guerra, ein Ragout aus Aubergine (berenjena), Zwiebel, Knoblauch, Öl und Salz, das als Brotaufstrich dient, aber in Zeiten, da sich immer mehr Menschen vegan ernähren, auch als Pasta-Sauce und Bolognese-Ersatz ein Comeback feiert. Seinen Ursprung hat es in der Sefardí-Küche der spanischen Juden.
Auch die Michirones entstammen der uralten Hausmannskost. Das sind getrocknete Saubohnen (habas de Murcia), die mit Chorizo-Wurst, Schinken (jamón), Schinkenknochen, Paprika (pimiento), Zwiebel und Lorbeerblatt (hoja de laurel) zart gekocht werden.
Menü mit murcianischer Küchen-Essenz
Drei Gerichte, die sich auch gemeinsam hervorragend als Menü eignen, sind besonders typisch für die Region. Sie bilden sozusagen ihre Küchen-Essenz, nach der wir in dieser Serie immer suchen.
Da wären zunächst die Alcachofas guisadas con habas, guisantes y patatas. Artischocken werden von Stielen und den äußeren Blättern befreit und mit Zitrone beträufelt. In einer Pfanne werden Zwiebeln und Knoblauch in reichlich Öl angebraten und mit Weißwein abgelöscht. Alles wird in die Artischocken gegossen, die mit Erbsen, Saubohnen und Kartoffelstückchen im Topf fertig gegart werden, so dass die Artischocken knapp mit Flüssigkeit bedeckt sind. Die Sauce wird am Ende mit etwas Semmelbrösel gebunden.
Der murcianische Fleischkuchen Pastel de carne murciano ist ein Blätterteiggebäck, das im Inneren ein sehr deftiges Ragout zur Hälfte aus Rindfleisch (morcillo, Wadenfleisch) und zur anderen aus Schweinebauch, Chorizo und Schinken enthält. Alles wird mit reifen Tomaten und grüner Paprika gemütlich über Stunden eingekocht und zerkleinert. Im Ofen braucht man dann noch 15 Minuten, um den dünnen Teiglaib drumherum goldgelb zu bekommen, zwei gekochte Eier kommen in die Mitte.

Zum Dritten ist der Caldero del Mar Menor zu nennen, ein sämiger, also halbflüssiger „arroz meloso“ auf Basis sogenannter Felsenfische wie Zackenbarsch (mero), Drachenkopf (gallina del mar), Teufelsfisch (rape) und anderen, die als Basis dienen, sowie Dorade oder andere weiße Fischarten als Einlage à la minute.
Die Brühe – die wie immer alles entscheidet – wird mit ñoras, Knoblauch und reifen Tomaten gezogen. Der Reis kommt ebenfalls aus Murcia (Calasparra), mit Eigelb wird am Ende leicht gebunden (nicht mehr kochen). Wie beschrieben, handelt es sich praktisch um ein historisches Rezept, denn die genannten Fische können im Mar Menor nicht mehr gefangen werden.
Als originelles Dessert oder Häppchen zum Wein kennt man in Murcia seit den Zeiten von Al-Ándalus die Paparjotes, Zitronenbaumblätter – bitte ungespritzte –, die in einer Masse aus Ei, Mehl, Zucker und Zimt ausgebacken werden.