Bittersüßer Lebenssaft: Durch Spaniens Adern fließt Olivenöl

In Spanien in den Urlaub gelandet, geht‘s in die erste Bar: ein frisches Brot, darüber einen kräftigen Schluck zähflüssig, grün-gold schillerndes Olivenöl aus Andalusien und etwas Salz – ein kleines mediterranes Glück. Doch es gibt Ärger im Paradies: Der Weltmarkt, Sanktionen, Überproduktion und Billigkonkurrenz setzen den Erzeugern zu.
- Spaniens Olivenöl-Bauern leiden unter Überproduktion, US-Sanktionen, Billigkonkurrenz.
- „Masse statt Klasse“: Vermarktungsstrategien nicht mehr zeitgemäß. Olivenbauern aus Andalusien protestieren.
- 1.001 Sorten Oliven: Anwendungen von Olivenöl in und außerhalb der Küche.
Jaén - Olivenöl diente über Jahrtausende - nachgewiesen seit der Bronzezeit 12.000 Jahre v. Chr. - nicht nur der Nahrung. Der größte Teil wurde zunächst als Brennstoff für Lampen verwendet. Bis heute blieb es Grundnahrungsmittel der Mittelmeerküche, für Spanien ist es der Lebenssaft. Das Land ist Weltmarktführer, rund 9.000 Olivenbauern und rund 1.000 Kooperativen und Großbetriebe erzeugen jährlich 1,2-1,7 Millionen Tonnen, mehr als doppelt so viel wie die zweitplatzierten Italiener, die aber fast genauso viel Geld damit erwirtschaften. Je nach Ernte sind das 2,7-4,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Olivenöl in Spanien: Goldener Fluch und Segen
Der grüne Segen ist auch Fluch, denn das „flüssige Gold“ schwappt und schwindet volatil in den verbunden Gefäßen des Weltmarktes munter hin und her. Freuten sich Händler und Erzeuger von Olivenöl in Spanien jahrelang über rasant steigende Nachfrage im gesundheitsbewusster werdenden und mediterraner essenden Nordeuropa, machen ihnen Spekulation, Panschereien, Billigkonkurrenten und die Politik das Geschäft schal. Im ersten Halbjahr 2019 legte der spanische Öl-Export in die USA um 40 Prozent zu, - Hamsterkäufe aus Angst, dass Trump nach den Tafeloliven auch das gute Öl mit in seine Handelskriege ziehen könnte, was wiederum hohe Einbußen zeitigen wird. Gleichzeitig stiegen die Erlöse aus den Extraverkäufen aber nur um 15 Prozent.

Auch die Handelsketten im eigenen Lande bereiten Ärger. Erst kürzlich regte sich ein Fachportal darüber auf, dass bei Carrefour andalusisches Virgen extra für 2,59 Euro der Liter feilgeboten werde, halb so teuer wie vor einem Jahr und „unter dem Erzeugerpreis“. Ende 2019 demonstrierten Olivenbauern aus Córdoba, Jaén und Granada wochenlang gegen den ruinösen Preiskampf. Das „Oliven-Kartell“ marschierte in Madrid auf, wie zuvor Orangenbauern aus Valencia oder Winzer aus ganz Spanien.
Melancholischer Ölbauer: „Olivenöl ist zum Genießen, nicht zum Bekriegen“
„Wenn ich an Großhändler verkaufe, verliere ich Geld“, fasst Bertomeu Verdú zusammen, einen Karton Olivenöl unter dem Arm, den er in die Tapas Bar in Alicante schleppt. Er arbeitet für eine kleine Ölmühle in Murcia mit Oliven aus Jaén, „den elegantesten der Welt“, wie er meint. „Die EU half den Bauern eine Weile mit Subventionen“, die auf den Ertrag zugezahlt wurden, „doch dann verlangen sie von uns die Abfüllung in Einwegflaschen für die Gastronomie und alles ist wieder futsch“, erregt er sich. Bertomeu lebt für seinen Job.
Reportage der Neue Zürcher Zeitung über das Geschacher mit dem „grünen Gold“ aus Spanien:
„Hier, probier das Öl mal“, es sei von der Empeltre, einer Sorte aus Zaragoza, leicht süßlich und „sehr edel, nicht wie diese Hammer-Öle aus Griechenland“, tönt der iberische Regional-Patriot und Öl-Sommelier. Wer einmal auf Kreta war, weiß, dass sich die Öle dort nicht zum Kritisieren eignen. Olivenöl ist „para compartir, no para combatir“, – Olivenöl ist zum Genießen, nicht zum Bekriegen – reicht uns der Öl-Müller weise und schlitzohrig einen Olivenzweig. Doch dann setzt er nochmal an: „Für ein Öl dieser Qualität zahlst du in Italien 15 Euro für den Liter, bei uns fünf. Weil wir tontos (Trottel) sind“.
Probleme zum Teil hausgemacht
Das Elend der Bauern ist auch hausgemacht und klingt nach dem Lebenslied der Spanier, die ganz ähnliche Strophen für Mandeln, Wein und andere Früchte kennen. Masse vor Klasse dominierte lange, weil die Marktmacht gut vernetzter Konzerne mit industriellen Methoden, aber auch die feudalistisch anmutenden Privilegien der Kirche und alter Familien, sich behütete Oligopole schafften, während der kleine Bauer die ungefilterte Wucht des Marktes auszuhalten hat.
Aktuelle Kampagne der spanischen Olivenöl-Lobby: „Deine Welt mit Olivenöl“:
Die industriellen Produzenten seien zudem Schuld am Tod von Millionen Singvögeln jährlich, die sie mit ihren Erntesaugern töten, protestieren Tierschützer. Herkunftsschutz, Oliven-Routen als touristisches Zubrot, innovative Vermarktung ab Hof und in Bio-Läden und in der Gastronomie mahlen so langsam wie die alten Ölmühlen. Der Käufer entscheidet schließlich, wem er Öl ins Getriebe gibt, dem Bauern aus Córdoba oder den Aktionären von Carrefour und Co.
Olivenöl aus Spanien: 1.001 Sorten und fast so viele Anwendungsmöglichkeiten
Wegen seiner auf hohem Säuregehalt beruhenden Stabilität wird rund die Hälfte des spanischen Olivenöls und damit ein Fünftel des Öls weltweit mit der Sorte Picual (auch Marteña, Lopereña oder Nevadillo Blanco genannt) erzeugt, die überwiegend in der andalusischen Provinz Jaén angebaut wird. Weitere wichtige Sorten sind Lechín und die Hojiblanca, die für Öl wie für Tischoliven geeignet ist, sie ist ebenfalls voll im Geschmack, aber milder als Picual-Öle.

Die Arbequina wächst neben Andalusien auch in Katalonien und ist ein Privileg der Handpflücker, in Toledo kultiviert man die Cornicabra (Ziegenhorn). Rund 200 Sorten (von weltweit fast 1.000 nachgewiesenen) kultiviert man in Spanien, glücklicherweise besinnen sich die Regionen auf alte, autochthone Sorten, wie zum Beispiel die Sierra de Cazorla auf ihre Royal.
Anwendung in der Küche
Es gibt praktisch kein Gericht der herzhaften spanischen Küche, das ohne Olivenöl bleibt. Die Olive ist meist die erste Tapa, die es in der Bar gibt, ohne ihr Öl keine der beliebten Tapas Spaniens denkbar. Dass man es nicht zum Braten oder Frittieren nutzen darf, stimmt nicht. Allerdings gilt, dass es bei rund 170 Grad beginnt zu rauchen und zu verbrennen, was sich nicht nur im Geschmack, sondern auch in unsichtbaren, krebserregenden Giftstoffen manifestiert.
Will man den vollen Geschmack und die unendlich gesunden Inhaltsstoffe erhalten, die sogar Sonnenbrände und Mückenstiche lindern, sollte man Olivenöl kühl und dunkel lagern, keinen großen Temperaturschwankungen aussetzen und schonend, also bei niedrigen Temperaturen verarbeiten.
Ungefilterte Öle sind am besten nur kalt zu verarbeiten. Sei es beim Anrühren von Dressings oder Marinaden, zum Einlegen von Tomaten oder Käse, als Würzöl verfeinert mit Chili oder Knoblauch, Rosmarin oder Orangenschale, als Emulgator für Saucen, Salmorejos oder Mayonnaisen, oder schlicht und genial aufs Brot mit etwas Salz für die kleine, mediterrane Glückseligkeit.