1. Costa Nachrichten
  2. Service
  3. Gastronomie

Spaniens amtliche Armenküche: Das Billig-Kochbuch aus dem Ministerium

Erstellt:

Von: Marco Schicker

Kommentare

Spanischer Minister präsentiert Rezepte für Arme.
Spaniens Konsumminister Garzón und sein Autorinnenteam des Billig-Kochbuchs. © EFE

Grünkohl-Chips statt Churros: Spaniens Regierung kämpft mit 1-Euro-Rezeptbuch „Gesund, schnell und billig“ gegen Übergewicht, Inflation und Umweltkrisen gleichzeitig.

Madrid – Im Oktober 2022 lag die Jahresinflation in Spanien „nur“ noch bei 7,3 Prozent und damit unter den meist zweistelligen Werten anderer EU-Staaten. Doch kaum einem Bürger ist entgangen, dass die Teuerung bei Lebensmitteln ihre eigenen Wege geht. So sind Grundnahrungsmittel in Spanien heute im Schnitt 14 Prozent teurer als vor einem Jahr, so Essentielles wie Olivenöl oder Mehl legten gar um bis zu 40 Prozent zu. Schmalhans wird Küchenmeister, nicht mehr nur in jenen Küchen und Familien, die es ohnehin schon immer schwer hatten, „ans Ende des Monats zu kommen“, wie man in Spanien sagt.

Preise für Lebensmittel in Spanien steigen doppelt so stark wie Inflationsrate

Zwar hat die Regierung Sánchez mit etlichen kleinen und großen Maßnahmen gegen explodierende Preise versucht, gerade die verletzlichsten Bevölkerungsschichten zu schützen, doch für einen direkten Eingriff in die Preispolitik des Marktes und seiner Player gibt es kaum eine rechtliche Grundlage, noch die nötige politische Unterstützung. Lediglich bei Strom und Gas kam ein Deckel auf die Preise. Bei Lebensmitteln aber kassieren Großhändler, Lebensmittelindustrie und auch Handelsketten in Spanien aber schamlos ab, auch weit über die Kostensteigerungen hinaus. Durch Preiserhöhungen ebenso, wie durch Tricks beim „Marketing“, Füllmengen und Packungsgrößen.

Guter Rat muss aber nicht teuer sein, dachte sich Spaniens Konsum-Minister Alberto Garzón von der Vereinigten Linken und Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens und legte, bis die Zeit für eine echte Revolution gekommen ist, den Spaniern ein Kochbuch für Krisenzeiten vor, das nicht nur den Geldbeutel schonen soll, sondern, wie es Kommunisten nun mal eigen ist, auch volkserzieherische Zwecke verfolgt. „Die Menschen brauchen Informationen, um richtige Entscheidungen treffen zu können“, schreibt Garzón im Vorwort und lockt mit „Schnelles, billiges und gesundes Essen“. Die Ernährungswissenschaftlerin Marián García, die Michelin-besternte Köchin aus Alicante María José San Román und die Journalistin Arantxa Castaño bildeten das Autorinnenteam. Auch unter kommunistischer Fuchtel, konstatierte ein „Konsument“ auf Twitter lakonisch, „stehen offensichtlich die Frauen in der Küche“.

Rezept gegen die Armut in Spanien: Rezepte für Arme

Minister Garzón, der durch seine Verbalattacken gegen Exzesse der Massentierhaltung in Spanien kein unbeschriebenes Blatt ist und sich selbst aus den eigenen Reihen mehrfach als Feind spanischer Traditionen bezeichnen lassen musste, geht auch mit diesem Rezeptbuch mal wieder gegen die Lebensmittelindustrie vor: „Die ungesunde Ernährung vieler basiert auf ultraprozessierten Industrieprodukten, die besonders billig sind“, aber die Menschen krank machten und die Kinder auf falsche Wege führten. „Es gibt eine klare Verbindung zwischen Armut und schlechter Ernährung, die Rate der Fettleibigkeit bei Kindern ist in den ärmsten Familien doppelt so hoch wie im Schnitt“, erklärt er und warnt: „Unsere Kinder nähern sich den Werten der USA oder Mexikos“ an.

Kochbuch des spanischen Ministeriums für Konsum.
Die Rezeptvorschläge aus dem Ministerium ernteten in Spanien Kopfschütteln und Spott. © Ministerio de Consumo

All diesen Plagen begegnet er mit Obst und Gemüse, lokal und saisonal und im klimatisch privilegierten Spanien ganzjährig frisch und leistbar. Theoretisch. Zwei Drittel der Rezepte auf 94 PDF-Seiten sind vegetarisch oder vegan, mit „nachhaltigen“ Zutaten, eingeteilt in „Snacks und Vorspeisen“, „Hauptgerichte“ und „Desserts“. Besonders auffallend ist die grafische, geradezu infantile Gestaltung des Werks. So als halte man arme Menschen für etwas zurückhaltend beim Verständnis längerer Sätze. Idiotensicher erklärt und optisch wie eine Ikea-Bauanleitung aufbereitet, können wir Guacamole mit Karottensticks zubereiten, Chips aus Grünkohl-Sträuchern zaubern oder „Falsche Sushi-Rolls“ aus Gurken-Laminat mit Feta-Käse und Joghurt befüllen.

Kritik an dem Werk kam von rechts, links und aus der Küche. Das ist auch kein Wunder, denn Spanier reden über ihr Essen mindestens genauso viel und ausladend, wie sie es kochen und genießen. Meistens reden sie auch beim Essen - über Essen. Zentral war der Vorwurf einer „Bankrotterklärung“ der Regierung gegenüber struktureller Armut und Bildungssegregation, die mit ihrem amtlichen Kochbuch für Prekärkonsumenten die Armut sozusagen normalisiere. Auf der anderen Seite tat die Regierung Sánchez nachweislich Zählbares für das ärmere Spanien, während die Rechte, dort, wo sie an der Macht ist, die Steuern für die Reichen senkt.

Rezepte gegen Fettleibgkeit in Spanien: Mit Brokkoli gegen McDonalds?

Andere Kritiker vermissen explizit spanische Paradegerichte und klagen über neumodische Trends und zu viele englisch angehauchte Namen von Gerichten. Schließlich sei es doch die Küche der spanischen Großmütter, die sich durch ihren Einfallsreichtum in mageren Zeiten bewährt hatte, mit ihren habas, torrijas oder migas. Und auch die Vielfalt und der Charakter der Küche der spanischen Regionen geht in dem ministeriellen Einheitsbrei verloren. Einige Ernährungsexperten und Köche führten dem Minister vor, dass man mit dem gleichen Budget sinnlicher, spanischer und genauso gesund kochen könne, wenn man sich einfach an alte spanische Rezeptbücher halte, anstatt sich mit „Poke“, „Rainbow Wrap“ und „Snacks“ dem Zeitgeist anzudienen.

Ernährungsexperten bemängelten zudem, dass der Nährwert vieler Gerichte vielleicht für das woke Autorenteam und die urbane Mittelschicht in Madrid oder Barcelona genüge, aber sowohl für wirklich arbeitende Menschen als auch im Wachstum befindliche Schulkinder nicht adäquat sei. Es würden zu wenige hochwertige Eiweiße wie Hülsenfrüchte, Fisch und Fleisch verarbeitet, die Portionsgrößen seien im Grunde im Tapas-Bereich angesiedelt und gerade junge Menschen seien nicht mit „Pizzas“, belegt mit dicken Brokkoli-Ästen oder ondolierten Karotten aus dem McDonalds zu locken.

Migas Pfanne Bauernküche Spanien
Migas Manchegas, eine Pfanne auf Basis von altbackenem Brot ist die leckere Essenz der spanischen „Armenküche“. © Turismo Castilla - La Manche

Nicht zuletzt flog Minister Garzón auch seine Discount-Kalkulation beim Wareneinsatz um die Ohren. Er sei ein typischer Nadelstreifen-Kommunist, ein Zyniker, der den Spaniern den Ibérico-Schinken und das chuletón nicht gönne, mit seinem Grundgehalt von 75.000 Euro im Jahr aber auf nichts verzichten müsse – tönt es vor allem aus der rechten Küchenecke. Doch auch sozial engagierte Freiwillige direkt von der Armutsfront qualifizierten das Ministeriums-Kochbuch als einen Schuss in den Ofen.

Milchmädchenrechnung: Amtliches Kochbuch kocht an Realität in Spanien vorbei

Abgesehen davon, dass sich die Kalkulation von „unter ein oder zwei Euro pro Portion“ seit dem Erscheinungsdatum November 2021 bei den meisten Zutaten längst nicht mehr halten lässt, gehe die ministerielle Milchmädchenrechnung hinten und vorne nicht auf. Solidarische Tafeln, also die Suppenküchen, die täglich Zigtausende mit warmen Gerichten versorgen, kalkulieren mit zwölf bis höchstens 40 Cent pro Mahlzeit und Person. In der Schulspeisung ist die Quote nicht viel höher.

Nimmt man das Beispiel einer vierköpfigen Familie, die täglich eine kleine und zwei volle Mahlzeiten zubereitet, käme diese laut Minister-Rezeptbuch bestenfalls auf einen Einkaufspreis von 4x2, 4x2 und 4x1 Euro. Das sind 20 Euro am Tag, also 600 Euro pro Monat. Das Durchschnittsbudget einer spanischen Familie für Lebensmittel liegt indes bei 380 Euro, und das einschließlich alkoholfreier Getränke. In dieser Statistik sind aber auch die Garzóns und andere Großverdiener schon mitgerechnet. Vor allem jene, die der Minister mit seiner Rezeptsammlung erziehen will, müssen mit 200 Euro monatlich oder sogar weniger über die Runden kommen – für die ganze Familie.

Viel fehle nicht mehr, dass die Regierung das Volk auf das sprichwörtliche „Wasser und Brot“ setze und ihm das dann noch als gesund und nachhaltig verkaufe, ätzte die Zeitung „La Vanguardia“, die wirklich nicht zum rechten Medienspektrum zählt. Doch selbst dafür hat der Minister einen Rat. Im Mai empfahl Garzón den Spaniern „Leitungswasser dem Mineralwasser in Flaschen vorzuziehen“. Denn das sei nachhaltiger und billiger. Immerhin, dank des Chlors darin, schmeckt es wenigstens nach was.

Die ministeriellen Rezepte aus Spaniens Konsum-Ministerium gibt es hier kostenlos als PDF. Durch ihre grafische Gestaltung sind sie auch für Menschen ohne Spanischkenntnisse leicht verständlich.

Zum Thema: Statistik macht nicht satt - Daten zu den Einkommen in Spanien.

Auch interessant

Kommentare