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Sevilla, Cádiz, Málaga: Exzessiver Airbnb-Tourismus entvölkert Andalusiens Stadtzentren

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Von: Marco Schicker

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Pilze von Sevilla
Autobahnen für Touristen? Die berühmten „setas“, Pilze von Sevilla, eine hölzerne Panorama-Brückenkonstruktion eines deutschen Architekten. © Marco Schicker

„Wie ein Sioux im Reservat“ fühlt sich ein Anwohner im Barrio Santa Cruz von Sevilla. In Málaga gibt es im Zentrum mehr Ferienwohnungen als Einwohner und selbst der „Geheimtipp“ Cádiz leidet unter Gentrifizierung. Die Politik scheint untauglich - und unwillig.

Update, 17. Mai: Gerichtsurteil ermöglicht Andalusiens Städten Begrenzung von Touristen-Apartment.

Erstmeldung, 28. April: Sevilla – Málaga, Sevilla oder Cádiz werden zu Tode geliebt, wie zuvor Barcelona, Lissabon oder Venedig. Ferienwohnungen statt Wohnraum für Einwohner. Dabei ist bekannt, dass ein Großteil des Charmes Andalusiens von seinen Menschen, den Bewohnern ausgeht, ihrem Humor, dem sonnigen Gemüt, ihrer Selbstironie, dem unkomplizierten Lebensstil, ihrer „arte“. Leben und leben lassen lautet eine der Überschriften über dem Land Spanien, doch Gier und Neugier gingen mit Ryanair und AirBnb einen toxischen Bund ein, der wie eine Seuche nach und nach die Altstädte befällt und tatsächlich entvölkert. Kleine Läden verschwinden, die Gastronomie wird auf Guiri-Niveau zerkocht, die Preise dafür in den Himmel gehoben. Es entstehen Ghettos, Potemkinsche Dörfer, Euro-Disneys ohne Seele, Rennstrecken für Rollkoffer.

Ferienwohnungen dominieren Spaniens Altstädte - Zum Beispiel Málaga

Málaga Stadt zählt offiziell 9.000 Wohnungen, die als „apartamentos turísticos“ exklusiv der Kurzzeitvermietung zugedacht sind. 4.800 davon befinden sich im Altstadtzentrum, dort gibt es jetzt mehr Touri-Apartments als gemeldete Einwohner (4.260). Dieser Tage wurden juristische und demographischen Auswirkungen dieser Entwicklung auf einer Konferenz erörtert. Stichworte waren: „höchster Mietanstieg in ganz Spanien“, Abwanderung junger Leute, prekäre Monokultur auf dem Arbeitsmarkt.

Historisches Zentrum von Málaga
Werden Spaniens Altstädte unweigerlich zu reinen Kulissen für Touristen? Hier im Nordteil des historischen Zentrums von Málaga. © Marco Schicker

Die Antwort der Politik: Málagas Stadtrat für territoriale Ordnung, Raúl López (PP), fordert die „Suche nach einer Balance“ und will dafür eine „nationale Gesetzgebung“. Das ist clever, denn so fordert er das richtige, weiß aber ganz genau, dass es nie eintreten wird. Denn der Staat darf sich in die Wohnpolitik der Gemeinden gar nicht einmischen und das Rathaus von Málaga ist der stabilste Lobbyist der Bau-, Hotel- und Tourismusinvestoren, die ein Gebäude nach dem anderen, sei es ein Wohnhaus, ein Palacio, eine Brache oder sogar ein ganzes Fischerviertel „umwandeln“ dürfen. Eine Obergrenze für den Anteil von touristisch vermieteten Wohnungen gibt es in Málaga nicht. In kaum einer anderen Stadt Spaniens ist der neue Tourismus-Boom so brutal zu Gange wie in Málaga. In Vorfreude auf die mögliche Ausrichtung der Weltausstellung Expo 2027 ergießt sich ein über Málaga ein vorzeitiger Goldrausch, bezahlbaren Wohnraum gibt es kaum noch in Málaga, was aber die Politik wenig zu interessieren scheint und in manchen Vierteln gehen die Einwohner gegen ihre Vertreibung auf die Barrikaden. Die Investitionen in bezahlbaren Wohnraum laufen gegen Null, dafür werden Milliarden für Prestige-Projekte wie die neue Küstenlinie von Málaga ausgegeben.

Obergrenzen ohne Wirkung: Tausende neue Ferienwohnungen - Zum Beispiel Cádiz

In Cádiz gibt es eine solche Obergrenze, sie ist seit vorigem Oktober in Kraft, wurde aber von der Landesregierung angefochten. Seitdem wurden dennoch weitere 2.321 Einheiten genehmigt, vor allem wiederum in der Altstadt, in Mentidero, Pópulo, La Viña oder La Caleta. Denn die Norm legt lediglich fest, dass der Anteil der rein touristisch genutzten Apartments in Cádiz nicht vier Prozent aller Wohnungen überschreiten darf, legt aber keine Limits pro Stadtbezirk oder Barrio fest. Daher kann der Anteil in Pópulo oder Mentidero trotz des gesetzlichen Limits über 50 Prozent steigen, weil Touristen nicht in Vorstädten absteigen wollen.

Blick vom Turm der Kathedrale Cádiz
Blick vom Turm der Kathedrale Cádiz in Richtung Norden. © Marco Schicker

Cádiz war bis dato noch halbwegs ein Geheimtipp, der Post-Corona-Boom hat sich aber auch diese Perle im Atlantik gegriffen. 15.780 offiziell gemeldete touristische Betten gibt es in der Provinz, nur 4.700 davon stehen in Hotels, der Rest in „apartamentos turísticos“. Laut „Diaro de Cádiz“ führt die Stadt im Bereich der illegalen Vermietungen und gerade schwappt eine wahre Invasion von Hotel- und Apartmentprojekten auch über periphere Städtchen wie San Fernando, Chiclana, Sanlúcar de Barrameda und vor allem den Sherry-Hafen Spaniens, El Puerto de Santa María. Wie lange sich solche etwas versteckte Paradiese wie Chipiona vor der Welle schützen können, bleibt offen.

Im Gänsemarsch durch das Touristenghetto - Zum Beispiel Sevilla

Venedig in Spanien, das scheint im Viertel Santa Cruz von Sevilla, schon Realität zu sein. 61,2 Prozent aller 1.015 Wohnungen in der historischen Judería, dem alten jüdischen Viertel Sevillas, das sich an die Palastmauern anschmiegt und direkt neben Kathedrale sowie den großen Parks im Zentrum Sevillas liegt, sind touristisch genutzt. Das ermittelte der Tourismusverband Exceltur über eine Recherche nur auf den zwei wichtigsten Plattformen Airbnb und Vrbo (Expedia).

Die Überfüllung der Altstadt von Sevilla betrifft nicht nur die Wohnungen, den Charme der mittelalterlichen Gassen erkunden Besucher größtenteils im Gänsemarsch. Durch die Straße Maetos Gago, obwohl Fußgängerzone, kommt man an vielen Tagen kaum noch durch, so viele Tische von Lokalen stehen hier – aber mit Blick auf die Giralda. Der Unmut und die Not der Einwohner, die unter der Schönheit ihrer Städte leiden, wird allmählich Thema in den lokalen und nationalen Medien und in den Barrios formt sich Widerstand. Auch in Sevilla, rot regiert, ist das Eingreifen der Stadt nutzlos.

Kleiner Platz mit Terrassen und Läden in der Altstadt von Sevilla.
Blick ins Barrio Santa Cruz von Sevilla. Früher das jüdische, heute das touristische Viertel der Stadt. © Turismo de Sevilla

Kürzlich war Sevillas Bürgermeister Antonio Muñoz vor Ort und sprach von der Möglichkeit, die Zone als „gesättigt“ einzustufen, keine weiteren AirBnbs zuzulassen. Davon hält Andalusiens Ministerpräsident Juanma Moreno nichts, er ist für „den freien Wettbewerb“, denn sonst würde nur die Schwarzwirtschaft blühen. Er fordert die Bürgermeister auf, erstmal die „Illegalen“ in den Griff zu bekommen. Die Logik lautet also: Wir schaffen keine Gesetze, weil sich sowieso niemand dran hält und wir das nicht kontrollieren können – oder wollen.

In Santa Cruz gibt es die Norm, dass nur noch Wohnungen im Parterre und im ersten Stock zu Touri-Wohnungen umgewandelt werden dürfen. Doch „das verbietet nicht, dass Investoren ganze Gebäude kaufen und umwandeln“, bemängelt eine Anwohnerplattform im historischen Zentrum Sevillas. Um 28 Prozent sank das Angebot von „normalen Wohnungen“ in Sevilla seit 2019. Dann greift natürlich auch der löbliche Mietpreisdeckel der Regierung nicht. Ein Betroffener schildert, dass er sich in Santa Cruz „wie ein Sioux-Indianer in einem Reservat“ fühle, eingesperrt auf eigenem Land.

Zum Beispiel Granada: Ganz ähnlich geht es den Gitanos und Alteingesessenen vom Sacromonte in Granada. Zuerst wurden sie aus den Städten vertrieben, um in den berühmten Höhlenwohnungen zu leben. Von dort vertrieb man sie, um sie zu „integrieren“. Dann kehrten sie zurück und arrangierten sich, eröffneten Flamenco-Lokale. Doch nun werden die alten Höhlenwohnungen in skurrile Luxus-Apartments umgerüstet und die Gitanos diesmal nicht vertrieben, aber „ausgezahlt“.

Zum Thema: Valencias letzter Schrei - Ruzafas Wandel vom verschmähten Drogenviertel zum hippsten Bezirk der Stadt.

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