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Testflüge in Spanien: Der Lilium Jet aus Deutschland - Lufttaxi oder Luftschloss? 

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Von: Marco Schicker

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Demonstrations-Jet im Hangar
Der Lilium Demonstrations-Jet im Hangar im spanischen Jaén. © Lilium GmbH

Der Lilium Jet aus Deutschland soll schon „in Kürze“ als elektrisches Lufttaxi Algeciras und Málaga leise und sauber mit Ceuta in Afrika verbinden, zum Taxitarif. Seit Monaten laufen Tests dafür auch in Andalusien. An der Realisierbarkeit gibt es aber erhebliche Zweifel.

München/Jaén - Die Bilder sind zunächst ziemlich beeindruckend, in denen ein futuristisches Flugobjekt, dessen Kabine aussieht wie das große Auge eines Rieseninsekts, surrend über die Olivenhaine Andalusiens schwebt und noch mehr, wenn sich die Flügelklappen absenken und an ihnen 24 kleine Propeller-Triebwerke so geschwenkt werden, dass das Vehikel vertikal landen kann, so wie es auch gestartet ist. Wie ein Hubschrauber, nur viel leiser und ohne die riesigen Rotoren. Ist es eine Drohne, ein Flugzeug, ein elektrischer Helikopter?

Es ist ein Lilium. So tauften es seine Erschaffer jedenfalls, die das gleichnamige Unternehmen 2015 gründeten. Es handelt sich technisch gesehen um ein sogenanntes eVTOL (electrical vertical take-off and landing). Dass sie es Lilium Jet nennen, suggeriert sowohl etwas nostalgisch-weltmännische Erfinderkomptenz (Lilienthal) wie auch moderne Dynamik, eine Dynamik, die sich in der Realität noch etwas mühsam anzugehen scheint.

Lilium Jet aus Deutschland: Als Lufttaxi zwischen Spanien und Afrika ab 2025?

Lilium soll das erste und beste und schönste elektrische Lufttaxi werden, das ist das Ziel des in den Niederlanden registrierten Unternehmens mit Sitz bei München. Leiser, effizienter, billiger und irgendwie cooler als die hunderten anderen in Testreihen und Prototypen festhängenden Projekte auf der ganzen Welt soll es werden und schon ab 2025 soll es in "mindestens zwei Städten" mit dem Lufttaxi-Betrieb losgehen. So die mit vielen Relativitätssternchen versehenen Ankündigungen des Unternehmens mit ingesamt über 800 Mitarbeitern, das mal vier Produktionsstandorte in Europa betreiben möchte.

E-Flugzeug in Spanien
Elektrisches Flugzeug über den Olivenhainen Andalusiens. Lilium führt in Spanien Testflüge durch. © Lilium GmbH

Im April und nochmals im Juli 2022 wurde es nun für die laut Firmenangaben mehr als 450 Flugingenieure, die für das Startup arbeiten, konkret. Im Flugtestzentrum Atlas in Villacarrillo in der andalusischen Provinz Jaén im Süden von Spanien, dort wo meilenweit nur Olivenbäume stehen, fanden mehrere Testflüge statt, bei denen einige Meilensteine erreicht werden sollten und nach Firmenangaben auch erreicht wurden. Vor allem der gleitende Übergang vom Steigflug in den Vortrieb durch das Schwenken der Flügelklappen (flaps), an denen die kleinen E-Propeller angebracht sind, - und wieder zurück zur Landung - wird von den Münchnern als Erfolg beschrieben.

Obenauf fand sich mit der Helity Copter Airlines mit Sitz in Ceuta ein Unternehmen, dass in einer Absichtserklärung mal eben fünf Lilium Flugtaxis bestellte, die, so meldet es sogar das andalusische Regionalfernsehen Canal Sur schon "in Kürze" zwischen Algeciras, Málaga und der Exklave Ceuta auf dem afrikanischen Kontinent pendeln sollen, sowohl für Premium- wie Buisiness-Kunden als auch für Fracht. Helity bietet genau diesen Dienst derzeit mit einem Hubschrauber an, der die gesamte Flotte des Unternehmens darstellt. "Ich bin sicher, dass das Lilium-Konzept mittelfristig den Kurzstreckenluftverkehr revolutionieren wird", erklärte der Helity-Chef. Dafür sprächen komfortable Ausstattung, keine Abgase, geringerer Lärm.

Lilium Jet muss echten Flugtest erst noch bestehen: Reichweite zweifelhaft

Der Vorstandschef von Lilium, Daniel Wiegand, spricht von der "hohen Nachfrage nach Premium Tourismus, die Südspanien generiere" und träumt von einem "nachhaltigen Mobilitätsnetzwerk". Verkaufen will Lilium eigentlich gar nicht seine Jets, sondern die Taxi-Dienstleistung. Die "Bestellung" von Helity sieht daher schon sehr nach einem PR-Gag aus, zumal die spanische Luftfahrtbehörde nicht gerade als Express-Amt gilt.

In der aktuell geplanten Konfiguration wäre das Lilium Jet Taxi für sechs Passagiere oder die entsprechende Nutzlast und einen Piloten gedacht, auch an autonomes Fliegen ist zumindest gedacht, "zum Taxitarif". Mit 250 bis zu 300 Kilometern pro Stunde soll so rund eine Stunde Flug möglich sein, also eine maximale Reichweite von 300 Kilometern geschafft werden. Das Problem: Noch ist kein Lilium so schnell und schon gar nicht so lange und so weit geflogen. Noch nicht einmal ansatzweise. Selbst die Flügelexperimente und Testflüge in Andalusien sind in einem unbemannten, also viel leichteren und maßstabsgerecht verkleinerten Modell absolviert worden.

Studie eines Lilium Jet
Sieht schon sehr nach „Premium“-Kundschaft aus: Studie eines Lilium Jet. © Lilium GmbH

Die Diskrepanz zwischen Wunsch, Schein und Sein begleitet das Unternehmen von Anfang an. Die Verschiebung von gesetzten Terminen ist da noch das geringste Problem und bei neuartiger Technologie durchaus nachvollziehbar, zumal, wenn Behörden im Spiel sind. Doch über die Jahre sieht sich Lilium immer häufiger dem Vorwurf ausgesetzt, ein Luftschloss zu bauen, eine Blase zu produzieren, die nur Geld verbrennt, mehere hundert Millionen Euro flossen über die Jahre in das Projekt.

Der Grundzweifel der unabhängigen Luftfahrtexperten gegenüber dem Lilium-Projekt lautet, dass mit der jetzigen Batterietechnik, also deren verfügbarer Energiedichte und Leistung, die Ziele für die Reichweite nicht einmal ansatzweise erreichbar seien. Fachmagazine wie Wired und aerokurier sowie akademische Experten für Luftfahrttechnik aus Ingolstadt und München tendieren dazu, eine Flugdauer von "nur wenigen Minuten" für Lilium vorherzusagen oder "viel schwerere Batterien", die von den 36 Mini-Propellern (zu den je 12 beweglichen pro Flügel noch 12 fest im Rumpf verbaute) nicht nach oben geschafft würden. Mit jedem Kilo mehr würde der Antrieb aber auch wieder lauter.

Lufttaxi-Projekt Lilium: Ex-Airbus-Manager soll es richten

Der Spiegel griff 2020 das Thema auf und stellte, wie zuvor die Fachpresse, die Frage, ob es sich bei Lilium womöglich um "Hochstapler statt Hoffnungsträger" handelte. Schon unkten einige Medien, ob kommende Finanzierungsrunden des Startups wackeln könnten, gar der Absturz vom Höhenflug sei in Sicht. Andere Experten, wie der Fachgebietsleiter für Luftfahrzeugbau und Leichtbau an der TU Berlin, Andreas Bardenhagen, sehen Liliums Strategie zwar als "sehr ambitioniert", aber "nicht unmöglich" an.

Allerdings ist die Glaubwürdigkeit des Unternehmens Lilium so lange in Frage gestellt, so lange die angepeilte Reichweite nicht in einem Testflug unter realen Bedingungen, also mit Volllast, mit einem 1:1 Prototyp demonstriert und danach in Testreihen routinemäßig wiederholt werden kann. Und danach sieht es kurzfristig nicht aus. Doch ohne diese realen Tests ist auch eine Genehmigung unmöglich. Dabei steht Lilium in Konkurrenz zu anderen Unternehmen, wie Volocopter, die sowohl im Lufttaxi-Geschäft wie bei Lastendrohnen mitmischen wollen und um einige Nasenspitzen vorne zu liegen scheinen, sowohl technologisch als auch was Projekte und Bestellungen betrifft, die bereits aus Asien wie aus dem arabischen Raum vorliegen.

Zeppeline und E-Lufttaxis: Viel heiße Luft oder mutige Pionierleistung?

Um Vertrauen und Perfomance zu stärken, konnte Lilium im Juni mit Klaus Roewe ein Urgestein der deutschen Luftfahrtindustrie als neuen CEO verpflichten, der 30 Jahre unter anderem bei Airbus wesentliche Fortschritte beim A320-Programm erreichte, sowohl technologisch als auch kommerziell. Genau das soll er nun bei Lilium auch bewirken, allerdings mit einer Technologie, die im Unterschied zur konventionellen Linienjets ihre Machbarkeit erst noch beweisen muss und deren allgemeiner Durchbruch selbst dann nicht sicher ist. Zumal Lilium vor allem auf Premium-Klientel setzt. Die ist zwar zahlungskräftig, aber limitiert und die Erfüllung derer Mobilitätswünsche auch nicht unbedingt Priorität für die spanische Politik. Ganz im Gegenteil.

Elektrisches Lufttaxi von Lilium.
Der Prototyp eines 7-Sitzers von Lilium, das mal die Lufttaxi-Industrie revolutionieren will. © Lilium GmbH

Das Kalkül ist zunächst mehr psychologischer Natur: Wenn ein Kapazunder wie Roewe sich für das Projekt als CEO hergibt, muss es doch seriös sein. Gründer Wiegand tritt etwas in den Hintergrund, kann sich mehr um das "Baby" Lilium kümmern. Auch ein Ex-Nordamerika-Chef von General Motors, der frühere EADS/Airbus-Mann Thomas Enders und weitere Branchengrößen sind bei Lilium in unterschiedlichen Funktionen an Bord. Nur noch keine Passagiere.

Bis dahin und so lange das Geld reicht, tüfteln Liliums zahlreiche Ingenieure weiter in München und in andalusischen Olivenhainen und stehen dabei in einer sehr alten Tradition. Schon im 9. Jahrhundert segelte nur wenige Kilometer von hier, in Córdoba, damals die Hauptstadt von Al-Ándalus, der Erfinder, Gelehrte und Flugpionier Abbas Ibn Firnas mit seinem selbstgebauten Flügelkonstrukt hunderte Meter von einem Turm hinunter, hunderte Jahre vor den Brüdern Wright oder Da Vincis Entwürfen. Er brach sich dabei sätmliche Knochen, gab aber nie auf, im Morgenland ist er bis heute eine Legende. Und auch Lilienthals alter Erfinderkollege Zeppelin soll sich bald am spanischen Himmel wiederfinden, denn schon ein Jahr nach Lilium will 2026 der Airlander, ein britisches Luftschiff, in Spanien an den Start gehen und das Festland mit Mallorca und anderen Inseln verbinden. Wenn es sich nicht auch als Luftschloss herausstellt.

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