Letztere sind nicht ganz so luxuriös ausgestattet und waren Erfindungen der staatlichen Gesellschaft Feve, die in den 60er Jahren den Ruhm des Orient-Express auf die Iberische Halbinsel holen sollte, um zahlungskräftige Kunden abzuschöpfen. Den Mief dieser Zeit, das aufparfümierte Vintage, spürt man schon beim Ansehen der „Gewolltheit“ in den Werbefoldern des Veranstalters.
Anders sieht es mit dem Zug Al Ándalus aus, dessen Name mystisch die Welt des maurischen Spaniens erweckt und dessen Fahrtroute sich auch an dessen prachtvollsten Monumenten orientiert. Hier wird der Fahrgast wie ein Sultan gebettet, zumindest für eine Woche, ab 3.800 Euro pro Person ohne Trinkgelder.
Die Salon- und Schlafwagen im Stil der Belle Époque, mal hart an der Grenze zum Kitsch, manchmal schamlos darüber, schaukelten zu Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Dreißiger Jahre sanft das britische Königshaus und den Hochadel der Insel vom Atlantikhafen Calais in die wärmenden Gefilde der französischen Rivera. Von der Cote d’azur gerieten sie in den Kriegswirren jedoch bald aufs Abstellgleis und fanden auf etwas trüben Wegen durch Geschäftemacher vom Vichy-Regime in Südfrankreich in die Depots der von Franco verstaatlichten spanischen Eisenbahngesellschaft, die noch heute als Renfe firmiert.
Dort wurden sie fachmännisch und mit viel Freude am üppigen Detail für bis 74 Fahrgäste rekonstruiert und lockten seit 1983 zahlungskräftige Touristen an. 2005 ging Feve Pleite, bis 2012 wurden die edlen Waggons von Renfe eingemottet, bis man sich der Hotels auf Schienen wieder entsann. Covid war die bis dato letzte Unterbrechnung für die rollende Dekadenz, die im Mai 2022 wieder starten kann.
Im Tren Al Ándalus wird den Reisenden nicht einfach eine luxuriöse Reise geboten, sondern ein Komplettprogramm, das vom geführten Besuch der Alhambra, über das Aufschütteln der Daunendeckchen bis hin zum handgeschnittenen Edel-Iberíco und den feinsten Weinen des Ribera del Duero im Waggon Restaurant reicht. Der Spaß kostet so viel Geld, dass die Kunden sich um die Tickets reißen: Zwischen 3.800 bis zu 5.000 Euro kostet ein Platz in einer der Kabinen für die Rundreise von sieben Tagen und sechs Nächten in der „Gran Clase“ oder „Suite Deluxe“, mit eigenem Bad und Waggon-Butler. Einen Transfer-Bus führt der Zug mit.
Der Transcantábrico, der sogar einen eigenen Panorama-Fenster-Waggon führt, um in die Landschaft gucken zu können, startet von Mai bis September mehrmals sowohl vom mondänen Kurort San Sebastián wie auch auch von der Pilgerhauptstadt Santiago de Compostela, und hält in allen wichtigen Orten des spanischen Nordens von Bilbao, über Santander, an den Rías-Fjorden Galiciens wie an den Höhlen von Altamira. Die Eichenroute, Ruta de Roble, die nur schlappe 1.200 Euro für drei Tage kostet, absolviert einen kleineren Kurs im Nordwesten Spaniens, der „Costa Verde“ macht einen größeren Rundkurs von einer Woche.
Die Kundschaft, die sich von dieser Frivolität in der Luxus-Bubble angezogen fühlt: US-Amerikaner und Japaner, Schweizer und Skandinavier, aber auch reiche Spanier mit Event-Hunger und rund zehn Prozent Deutsche füllten die Passagierlisten, die 2019 gerade 800 Menschen umfassten. Das echte Andalusien erleben sie freilich nicht, treffen wohl auch keinen Andalusier, aber das ist wohl auch nicht ihr Ziel. Kein Ziel zu haben, nichts begründen zu müssen, einfach schwelgen und genießen, wäre schon irgendwie andalusisch, wenn es dazu nicht literweise Schampus und devotes Personal bräuchte.
Am nächsten Tag geht es zur „echten„ Andalusier-Pferdeshow in Córdoba und zur Sherry-Verkostung in Jerez, das genügt. Vielleicht aber, wenn ein Ami Ketchup zum Ibérico oder Eiswürfel zum Ribera verlangt, keimt in einem der Waggon-Kellner doch die authentische Atmo vom Mord im Orient- oder hier Okzident-Express auf und es erscheint der Geist von Peter Ustinov zwinkernd aus dem Goldbrokat der Vorhänge.
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