Neben uns sitzen zwei Frauen, die sich darüber unterhalten, wie unmöglich es ist, hier Handwerker zu bekommen. Während wir Salate und Sandwiches essen, sprechen wir über das Thema Wohnraum und mein Freund sagt: „Früher gab es teure Viertel hier in Madrid und andere, in denen zum Beispiel die Handwerker wohnten. Doch heute sind alle Viertel so teuer, das man sich mit einem normalen Gehalt keine Wohnung dort leisten kann.“ Die Spekulanten hätten inzwischen auch die ärmeren Viertel entdeckt und auch dort gebe es heute unzählige Touristenwohnungen, die die Preise hochtreiben. „Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auf.“
Am Freitag kommt eine Studienfreundin, die inzwischen in Salamanca wohnt, nach Madrid. Ich hole sie am Bahnhof Principe Pio ab. Eigentlich wollen wir zum Parque Madrid Rio, einem Spazierweg am Fluss Manzanares. Doch dann stürzen wir uns lieber gleich ins Getümmel und machen uns in Richtung Plaza de España auf. Als ich vor 20 Jahren in Madrid wohnte, konnte man mit diesem ziemlich kahlen Platz keinen Staat machen. Doch jetzt ist er ein schöner Park mit Kinderspielplatz und Bänken für Senioren. Dieser in Spanien neue Städtebaustil gefällt mir. Er ist an den Menschen orientiert, die hier in Madrid leben und drängt die Autos aus der Stadt.
Meine Tochter hat mir empfohlen, die elegante Zara-Filiale an der Metro-Station Plaza de España anzusehen. „Sie sieht aus wie ein historisches Hotel“, sagt sie. Doch wir entscheiden uns dagegen und ziehen weiter in die Gran Vía. Hier sitzen Bettler auf dem Boden, die aber keine Spanier zu sein scheinen, und alles ist voller Touristen. Meine Freundin hängt ihre Handtasche so um, dass sie sie immer gut im Blick behalten kann. Ich mache es ihr nach. Wir spazieren von Schaufenster zu Schaufenster, doch es gibt nur die gleichen Ladenketten wie überall – unter anderem einen Primark, der in ganz Spanien wegen seiner Größe bekannt ist. Schließlich trinken wir auf der Dachterrasse des Corte Inglés einen Kaffee. Es lohnt sich trotz des Preises. Man blickt über das Opernhaus bis zum Königspalast. Und hinter den Straßen des Zentrums sieht man den riesigen Park Casa de Campo. Alles ist grün, dahinter erheben sich am Horizont die Berge der Sierra de Madrid.
Wir gehen weiter und biegen in die Calle Fuencarral ein, die früher originelle Lädchen zu bieten hatte, die aber alle verschwunden sind. Und im einstigen Gebäude des Marktes Mercado de Fuencarral, in dem man zu DJ-Musik stundenlang in kuriosen Geschäften stöbern konnte, hat sich jetzt ein Sprinter eingemietet. Wie schade. „Wenigstens gibt es auch keine Prostituierten mehr“, sagt meine Freundin. Und ich erinnere mich traurig an eine ältere Hure, die hier immer leicht bekleidet an einer Ecke stand. Bis sie zu alt wurde, um Kunden zu finden und nur noch bettelte.
Wir laufen zum Paseo de la Castellana auf Höhe der Calle de Fortuny. Hier stehen in den Gärten Stadtpaläste, die meistens bekannten Unternehmen oder Organisationen gehören. Mitten in dieser beeindruckenden Zone haben sich aber auch die deutsche Botschaft und das Goethe-Institut angesiedelt. Und das Nobelrestaurant Luzi Bonbom, wo meine Freundin Ilana Ospina freitags als DJ Chill-out-Musik auflegt. Dort werden wir auf einen schnellen Kaffee eingeladen, dann aber höflich hinauskomplimentiert. Sorry, die Fußballer hätten das Lokal für diesen Nachmittag reserviert, heißt es. Wir sollen bitte an einem anderem Tag wieder vorbeikommen.
Wir überqueren die Castellana und spazieren in die Calle Serrano im Barrio de Salamanca, wo die hell erleuchteten Nobel-Boutiquen teurer Marken sind. Dort treffen wir unsere Freundin Carmen Sanchez, die drei Läden in Madrid betreibt – einen davon im Einkaufszentrum ABC Serrano, dem früheren Sitz der konservativen Tageszeitung ABC. „Der Laden hier in Serrano läuft gut“, sagt sie. „Probleme habe ich mit einem anderen in einem Mittelklasse-Viertel.“ Sie habe den Eindruck, dass die Reichen immer reicher werden. „Es bilden sich oft Schlangen an Geschäften wie Gucci oder Chanel.“ In der Calle Serrano leuchtet die Weihnachtsbeleuchtung zwischen den Bäumen und die Krippe steht neben dem Kaufhaus El Corte Inglés. Die Weihnachtsdekoration in Madrid ist so berühmt, dass sie jedes Jahr wieder zahlreiche Touristen in die Stadt bringt.
„Madrid ist unmöglich“, sagt dagegen Carmen Sanchez, als wir in ihr Auto steigen. Die Geschäftsfrau musste extra ein Elektrofahrzeug kaufen, um zu ihren Läden ins Stadtzentrum fahren zu können. Kurioserweise gibt es inzwischen aber freie Parkplätze, da viel weniger Autos dort fahren. Und auch die langen Staus in der Gran Vía sind verschwunden. Am Abend gehen wir in der Nähe des Azca-Finanzzentrums essen. Es scheint uns doch zu gelingen, ein traditionelles Madrider Lokal dort zu finden. Aber schließlich erweist es sich auch als Kette. „Die erobern das Stadtzentrum immer mehr“, sagt Carmen Sanchez. „Leider gibt es kaum noch traditionelle Läden und Gaststätten.“ Als wir unsere Freundin zum Zug nach Salamanca bringen, sitzen wir noch lange im Auto und sprechen über das Madrid unserer Jugend. Damals war die Innenstadt noch für Autos konzipiert. Doch sie war auch voller ganz individueller Lokale und Läden. Hinter jeder Ecke fand man neue.
Am nächsten Nachmittag fahre ich mit der Metro nach Moncloa, wo die Busse zu den Universitätsfakultäten abfahren. Ich nehme den nach Aravaca, wo meine Tochter arbeitet, und die Strecke ist wunderschön. Die herbstlichen Bäume leuchten im Abendlicht. Aravaca ist edel, sogar das Industriegebiet, wo die Ausbildungsfirma meiner Tochter sitzt, besteht aus eleganten Bürogebäuden aus Glas und Stahl mit gepflegten Vorgärten. Die letzte Haltestelle der Buslinie ist La Florida. Heute gilt die Moraleja im Nordosten Madrids als nobelste Urbanisation der Hauptstadt. Doch ihr Vorgänger war während der Franco-Diktatur La Florida im Nordwesten. Diese Siedlung unweit des königlichen Jagdpalasts El Prado, wo Franco wohnte, beherbergte Häuser von Adeligen und altem Industrieadel. Der Eingang der Urbanisation wird bewacht, ein Schild mit der Aufschrift „Privat“ soll Neugierige fern halten. Vom hohen Bus aus kann man aber über die Gartenmauern blicken, die riesige alte Villen und parkähnliche Gärten umschirmen. La Florida wurde in den 40er Jahren gegründet, La Moraleja in den 60ern. Beide Nobel-Urbanisationen sind heute bei Reichen und Prominenten beliebt.
Als ich wieder im Zug sitze, sehe ich die Fotos von meiner Reise an. Sie führte mich diesmal nur in den Norden der Hauptstadt. Und noch etwas war anders, ein Problem ist gelöst, das früher die Reichen und die Armen in Madrid betraf. Vor einigen Jahrzehnten hing im Winter feiner schwarzer Staub und Rauch von den unzähligen Kohleheizungen in der Luft. Heute dagegen ist der Himmel in Madrid – trotz Luftverschmutzung – strahlend blau. Der perfekte Hintergrund für die weiße Torre de Picasso.
Zum Thema: Alles real: Madrid in 48 Stunden - Ein Städtetrip in Spaniens Hauptstadt.