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Madrid mal anders: Reise in den reichen Norden - wo der Rubel rollt

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Von: Susanne Eckert

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Metroschild vor schönen historischen Häusern
Gran Vía: Madrids historische Prachtstraße ist von Ladenketten überrollt worden. © Pixabay

Wolkenkratzer und Stadtpaläste - ein Streifzug durch den reichen Norden Madrids. Vom Bernabeu-Stadion über die Gran Vía zu den Designer-Boutiquen.

Madrid - „Hat sich Spaniens Hauptstadt seit meinem Studienaufenthalt vor 20 Jahren wohl viel verändert“, frage ich mich, während die Landschaft Kastiliens am Zugfenster des neuen Iryo-Schnellzugs an mir vorbeirast. Nach der Ankunft in Madrid sieht es erstmal nicht danach aus. Die U-Bahn ist genauso abgeschabt wie früher, viele Rolltreppen funktionieren nicht, oder sind sogar halb auseinandergebaut. Doch die Madrider stellen sich jetzt ordentlich in Schlangen an, halten mehr Abstand als früher – und als ich aus der Metro komme, sehe ich, dass die Fußgänger an roten Ampeln stehen bleiben, eine Korrektheit, wegen der sich die Hauptstädter früher immer über die Touristen lustig machten.

Madrids Finanzzentrum Azca und das Stadion Bernabeu

Ich bin am Stadion des Clubs Real Madrid, dem Santiago Bernabéu, ausgestiegen und stehe im Businessviertel Azca genau vor dem Hochhaus Torre de Europa. Der runde Bau, ein Sitz der CaixaBank, ragt hoch in den Himmel, aber er ist bei weitem nicht das höchste Gebäude hier im Finanzzentrum Madrids. Dahinter leuchtet die weiße Fassade der Torre Picasso. Dieser 157 Meter hohe Wolkenkratzer wurde in den 80er Jahren von dem US-Amerikaner Minoru Yamasaki entworfen, der auch die Zwillingstürme des World Trade Centers baute. Der Wolkenkratzer Torre Picasso war lange der höchste in Madrid, eine Zeit lang sogar in Europa. Heute gehört er Amancio Ortega, dem Eigentümer des Modeimperiums Zara und seine 47 Stockwerke sind von bekannten Firmen wie Google, Paypal, Deloitte, Jaguar und internationalen Banken besetzt.

Ich habe noch etwas Zeit, bis meine Tochter, die seit Kurzem in Azca lebt, von der Arbeit nach Hause kommt und mir ihre Wohnung aufsperrt. Deshalb mache ich eine Entdeckungstour durch den kleinen Park zwischen den Wolkenkratzern. Der weiße, schmale Turm der Torre Picasso hebt sich faszinierend vom tiefblauen Himmel ab. Ringsum stehen hohe Bäume, die sich herbstlich färben. An einem quadratischen Wasserbecken sitzen Mitarbeiter der umliegenden Unternehmen und genießen ihre Mittagspause. Die Frauen sind im Business-Stil, doch sehr abwechslungsreich gekleidet. Die Männer haben kurioserweise alle blaue Anzüge an, sind jung und geben das typische Bild eines CEOs ab – oder eines Angestellten, der es werden will.

Eine Großstadt von oben.
Die Castellana und Azca: Das Finanzzentrum Madrids im reichen Norden © Pixabay

Daneben steht ein hochbetagter Mann, der einen sehr eleganten, aber altmodischen Westen-Anzug trägt und eine klassische Ledermappe im Arm hält. Ich komme mit ihm ins Gespräch und er nennt mir die Straßen rund um die Plaza Picasso – unter ihnen ist die 5,4 Kilometer lange Allee Paseo de la Castellana – eine prestigeträchtige Hauptverkehrsader der Stadt. Eine Seniorin, die einen weißen Chihuahua spazieren führt, ist die einzige weitere „normale“ Person, die auf der Plaza de Picasso zu sehen ist, der einer anderen – nicht sehr heimeligen – Welt zu entstammen scheint. Ein paar Tage später sehe ich einen Teenager in Schuluniform in einem Hauseingang Fußball spielen und erwische mich dabei, erstaunt zu sein: Ein normaler Mensch, der einer normalen Beschäftigung nachgeht. Wie seltsam. Die Läden in der Zone kann man sich vorstellen. Selbst im Benefiz-Secondhandladen bekommt man kaum ein Kleidungsstück unter 140 Euro. Ich kenne keine der bestimmt sehr noblen Marken.

Auch im Norden: Madrids traditionelle Lokale verschwinden

Als meine Tochter schließlich kommt, zeigt sie mir ihre Studentenbude in einem alten, relativ niedrigen Hochhaus. Die Portiersloge am Eingang ist rund um die Uhr besetzt. Die meisten Wohnungen werden heute wohl an Reisende vermietet, es gehen Menschen aus aller Welt mit ihren Koffern ein und aus. Und es leben auch sehr alte Menschen in dem Gebäude, die sich an die Veränderungen in ihrem Viertel anpassen mussten. So sehe ich einmal einige alte Damen, die in einer US-Schnellrestaurantkette ihr Kaffeekränzchen halten. Traditionelle Madrider Restaurants gibt es hier ja keine mehr. Die Wohnung meiner Tochter im 14. Stock kostet viel Miete, doch sie ist in schlechtem Zustand. Ein Eimer steht unter einer Stelle, wo Wasser von der Decke tropft, die Hälfte der Lichtschalter sind ausgebaut, weil der Portier sie noch reparieren muss, der Parkettboden wellt sich. Doch der Ausblick aus den großen Fensterfronten ist toll. Auf der einen Seite sieht man die Plaza Picasso mit ihren Wolkenkratzern, auf der anderen Seite den Kongresspalast mit dem Wandgemälde von Miró und das Bernabéu-Stadion. Am Abend spielt Real Madrid gegen Glasgow. Wir hören die Gesänge und als wir später kurz einkaufen gehen, stürmen Fans an uns vorbei, die zu spät zum Spiel kommen. Ich weiß nicht, wer gewonnen hat, aber die Schotten ziehen bis zum Morgen durch die zahlreichen Nachtlokale am Platz und schreien rum, als gäbe es niemanden, der hier schläft. Was ja auch nicht weit von der Wahrheit entfernt ist.

Chamberí - Madrids historische Herrenhäuser

Am nächsten Tag bin ich mit meinem Freund, dem Gewerkschaftsanwalt Eduardo García, in Chamberí zum Mittagessen verabredet. Auch das ist ein reiches Viertel, aber in einem ganz anderen Stil. Da gruppieren sich am Metro-Ausgang Alonso Martínez historische Herrenhäuser um einen Platz mit einem Springbrunnen, hinter dem mitten im Herbst Bäume blühen. Ich betrachte die weiße Pracht, als mein Freund eintrifft und mich in die gediegene Bäckerei Viena Capellanes führt, eine Kette, deren erster Laden schon 1837 eröffnet wurde. Hier gefällt mir das Ambiente. Die alten Steinfliesen am Boden, die hölzernen, Ladentische, es duftet nach frischem Gebäck.

Neben uns sitzen zwei Frauen, die sich darüber unterhalten, wie unmöglich es ist, hier Handwerker zu bekommen. Während wir Salate und Sandwiches essen, sprechen wir über das Thema Wohnraum und mein Freund sagt: „Früher gab es teure Viertel hier in Madrid und andere, in denen zum Beispiel die Handwerker wohnten. Doch heute sind alle Viertel so teuer, das man sich mit einem normalen Gehalt keine Wohnung dort leisten kann.“ Die Spekulanten hätten inzwischen auch die ärmeren Viertel entdeckt und auch dort gebe es heute unzählige Touristenwohnungen, die die Preise hochtreiben. „Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auf.“

Gran Via - quer durch Madrids nördliches Zentrum

Am Freitag kommt eine Studienfreundin, die inzwischen in Salamanca wohnt, nach Madrid. Ich hole sie am Bahnhof Principe Pio ab. Eigentlich wollen wir zum Parque Madrid Rio, einem Spazierweg am Fluss Manzanares. Doch dann stürzen wir uns lieber gleich ins Getümmel und machen uns in Richtung Plaza de España auf. Als ich vor 20 Jahren in Madrid wohnte, konnte man mit diesem ziemlich kahlen Platz keinen Staat machen. Doch jetzt ist er ein schöner Park mit Kinderspielplatz und Bänken für Senioren. Dieser in Spanien neue Städtebaustil gefällt mir. Er ist an den Menschen orientiert, die hier in Madrid leben und drängt die Autos aus der Stadt.

Meine Tochter hat mir empfohlen, die elegante Zara-Filiale an der Metro-Station Plaza de España anzusehen. „Sie sieht aus wie ein historisches Hotel“, sagt sie. Doch wir entscheiden uns dagegen und ziehen weiter in die Gran Vía. Hier sitzen Bettler auf dem Boden, die aber keine Spanier zu sein scheinen, und alles ist voller Touristen. Meine Freundin hängt ihre Handtasche so um, dass sie sie immer gut im Blick behalten kann. Ich mache es ihr nach. Wir spazieren von Schaufenster zu Schaufenster, doch es gibt nur die gleichen Ladenketten wie überall – unter anderem einen Primark, der in ganz Spanien wegen seiner Größe bekannt ist. Schließlich trinken wir auf der Dachterrasse des Corte Inglés einen Kaffee. Es lohnt sich trotz des Preises. Man blickt über das Opernhaus bis zum Königspalast. Und hinter den Straßen des Zentrums sieht man den riesigen Park Casa de Campo. Alles ist grün, dahinter erheben sich am Horizont die Berge der Sierra de Madrid.

Von Fuencarral zu Madrids Paseo de la Castellana

Wir gehen weiter und biegen in die Calle Fuencarral ein, die früher originelle Lädchen zu bieten hatte, die aber alle verschwunden sind. Und im einstigen Gebäude des Marktes Mercado de Fuencarral, in dem man zu DJ-Musik stundenlang in kuriosen Geschäften stöbern konnte, hat sich jetzt ein Sprinter eingemietet. Wie schade. „Wenigstens gibt es auch keine Prostituierten mehr“, sagt meine Freundin. Und ich erinnere mich traurig an eine ältere Hure, die hier immer leicht bekleidet an einer Ecke stand. Bis sie zu alt wurde, um Kunden zu finden und nur noch bettelte.

Häuserschlucht auf der Gran Via in Madrid in den 20er Jahren.
Ein Hauch New York: Die Gran Vía in Madrid 1921, ungefähr so, wie sie Alfred Kerr bei seiner Spanien-Reise 1923 gesehen haben wird. © Archivo municipal de Madrid

Wir laufen zum Paseo de la Castellana auf Höhe der Calle de Fortuny. Hier stehen in den Gärten Stadtpaläste, die meistens bekannten Unternehmen oder Organisationen gehören. Mitten in dieser beeindruckenden Zone haben sich aber auch die deutsche Botschaft und das Goethe-Institut angesiedelt. Und das Nobelrestaurant Luzi Bonbom, wo meine Freundin Ilana Ospina freitags als DJ Chill-out-Musik auflegt. Dort werden wir auf einen schnellen Kaffee eingeladen, dann aber höflich hinauskomplimentiert. Sorry, die Fußballer hätten das Lokal für diesen Nachmittag reserviert, heißt es. Wir sollen bitte an einem anderem Tag wieder vorbeikommen.

Weihnachtsdeko und Herbstzauber in der Calle Serrano

Wir überqueren die Castellana und spazieren in die Calle Serrano im Barrio de Salamanca, wo die hell erleuchteten Nobel-Boutiquen teurer Marken sind. Dort treffen wir unsere Freundin Carmen Sanchez, die drei Läden in Madrid betreibt – einen davon im Einkaufszentrum ABC Serrano, dem früheren Sitz der konservativen Tageszeitung ABC. „Der Laden hier in Serrano läuft gut“, sagt sie. „Probleme habe ich mit einem anderen in einem Mittelklasse-Viertel.“ Sie habe den Eindruck, dass die Reichen immer reicher werden. „Es bilden sich oft Schlangen an Geschäften wie Gucci oder Chanel.“ In der Calle Serrano leuchtet die Weihnachtsbeleuchtung zwischen den Bäumen und die Krippe steht neben dem Kaufhaus El Corte Inglés. Die Weihnachtsdekoration in Madrid ist so berühmt, dass sie jedes Jahr wieder zahlreiche Touristen in die Stadt bringt.

„Madrid ist unmöglich“, sagt dagegen Carmen Sanchez, als wir in ihr Auto steigen. Die Geschäftsfrau musste extra ein Elektrofahrzeug kaufen, um zu ihren Läden ins Stadtzentrum fahren zu können. Kurioserweise gibt es inzwischen aber freie Parkplätze, da viel weniger Autos dort fahren. Und auch die langen Staus in der Gran Vía sind verschwunden. Am Abend gehen wir in der Nähe des Azca-Finanzzentrums essen. Es scheint uns doch zu gelingen, ein traditionelles Madrider Lokal dort zu finden. Aber schließlich erweist es sich auch als Kette. „Die erobern das Stadtzentrum immer mehr“, sagt Carmen Sanchez. „Leider gibt es kaum noch traditionelle Läden und Gaststätten.“ Als wir unsere Freundin zum Zug nach Salamanca bringen, sitzen wir noch lange im Auto und sprechen über das Madrid unserer Jugend. Damals war die Innenstadt noch für Autos konzipiert. Doch sie war auch voller ganz individueller Lokale und Läden. Hinter jeder Ecke fand man neue.

Madrids reicher Norden: La Florida, die Konkurrenz der Moraleja

Am nächsten Nachmittag fahre ich mit der Metro nach Moncloa, wo die Busse zu den Universitätsfakultäten abfahren. Ich nehme den nach Aravaca, wo meine Tochter arbeitet, und die Strecke ist wunderschön. Die herbstlichen Bäume leuchten im Abendlicht. Aravaca ist edel, sogar das Industriegebiet, wo die Ausbildungsfirma meiner Tochter sitzt, besteht aus eleganten Bürogebäuden aus Glas und Stahl mit gepflegten Vorgärten. Die letzte Haltestelle der Buslinie ist La Florida. Heute gilt die Moraleja im Nordosten Madrids als nobelste Urbanisation der Hauptstadt. Doch ihr Vorgänger war während der Franco-Diktatur La Florida im Nordwesten. Diese Siedlung unweit des königlichen Jagdpalasts El Prado, wo Franco wohnte, beherbergte Häuser von Adeligen und altem Industrieadel. Der Eingang der Urbanisation wird bewacht, ein Schild mit der Aufschrift „Privat“ soll Neugierige fern halten. Vom hohen Bus aus kann man aber über die Gartenmauern blicken, die riesige alte Villen und parkähnliche Gärten umschirmen. La Florida wurde in den 40er Jahren gegründet, La Moraleja in den 60ern. Beide Nobel-Urbanisationen sind heute bei Reichen und Prominenten beliebt.

Wolkenkratzer vor blauem Himmel: Madrids reicher Norden

Als ich wieder im Zug sitze, sehe ich die Fotos von meiner Reise an. Sie führte mich diesmal nur in den Norden der Hauptstadt. Und noch etwas war anders, ein Problem ist gelöst, das früher die Reichen und die Armen in Madrid betraf. Vor einigen Jahrzehnten hing im Winter feiner schwarzer Staub und Rauch von den unzähligen Kohleheizungen in der Luft. Heute dagegen ist der Himmel in Madrid – trotz Luftverschmutzung – strahlend blau. Der perfekte Hintergrund für die weiße Torre de Picasso.

Zum Thema: Alles real: Madrid in 48 Stunden - Ein Städtetrip in Spaniens Hauptstadt.

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