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Gefangen im ERTE-Netz: Arbeitslosenzahlen in Spanien geben Vorgeschmack auf kommende Krise

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Von: Marco Schicker

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Auch wer in Spanien Arbeit hat, schaut mit Sorge in die Zukunft. © Ángel García

3,9 Millionen Menschen in Spanien waren im April offiziell arbeitslos. 300.000 mehr als vor einem Monat, dabei sind Kündigungen im Alarmzustand des Coronavirus eigentlich verboten. Weitere 4,5 Millionen warten im ERTE-Auffangnetz des Staates auf bessere Zeiten - oder auf die endgültige Entlassung.

März und April sind die besten Monate, um in Spanien Arbeit zu bekommen, weiß die Statsitik. Zumindest für die Sommersaison, denn regelmäßig zur Semana Santa wirft das Land seinen befristeten Jobmotor an. Doch das gilt nur in Friedenszeiten. Denn durch den Alarmzustand der Coronavirus-Krise sind Lokale und Hotels geschlossen, Touristen in weiter Ferne, Haus- oder Autokäufer ebenso. Die Wirtschaftskrise ist in Spanien im vollen Gange, die aktuellen Zahlen vom Arbeitsmarkt geben allerdings nur einen kleinen Vorgeschmack auf Kommendes.

3,9 Millionen Arbeitslose, 4,5 Millionen weitere im Wartestand

Entsprechend sehen die Zahlen aus. Im März wurden 300.000, im April 282.300 neue Arbeitslose registriert, in Spanien sind es insgesamt jetzt 3,9 Millionen. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden 400.000 Stellen neu geschaffen. Gleichzeitig verlor die Sozialversicherung seit der Ausrufung des Alarmzustandes am 14. März fast eine Million Beitragszahler, nur noch 18,4 Millionen Menschen zahlen in die Kasse ein.

Das Arbeitsministerium in Madrid erklärt den Anstieg der Zahlen und Leistungen:

Dabei ist die tatsächliche Arbeitslosigkeit noch viel höher. Denn 3,4 Millionen Angestellte und 1,1 Millionen Selbständige, in Summe also 4,5 Millionen Menschen oder fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, die im Moment über die befristeten Ausstellungsverfahren ERTE eine staatliche Unterstützung erhalten, sind nicht als Arbeitslose erfasst. Theoretisch müssten sie mit Ende des Alarmzustandes wieder übernommen werden oder als Selbständige ihre Arbeit wieder aufnehmen. Wie viele das können, ist noch völlig unklar.

Rettende ERTE sollen verlängert werden

Derzeit sind Kündigungen aus gewöhnlichen Gründen, also durch "höhere Gewalt" oder wirtschaftliche Schwierigkeiten untersagt, das ist auch der Grund, warum der Anstieg der Arbeitslosigkeit im April geringer ausfiel als im März. Die meisten der neu registrierten Arbeitslosen im April gehen auf Schließungen oder Entlassungen bis 14. März zurück, die sich administrativ in die Länge zogen.

Die ERTE halten Unternehmen wie Arbeiter zunächst über Wasser und werden sogar im Ausland als sozial verantwortliche Maßnahme gewürdigt, zumal sie kürzlich für prekär (oder ganz schwarz) Beschäftigte wie Putz- oder private Pflegekräfte geöffnet wurden, die normalerweise überhaupt keinen Zugang zu Arbeitslosengeld bekämen.

Millionen fallen aus dem Netz

Das Arbeitsministerium in Madrid gab zudem zu Protokoll, dass es im April 5,2 Millionen Auszahlungen in einer Gesamthöhe von 4,6 Milliarden Euro vornahm. Das sind im Schnitt 885 Euro pro Person. Arbeitslose und ERTE ergeben zusammen aber 8,4 Millionen Menschen, Hunderttausende erhalten eine Art Sozialhilfe über die Regionen, sind in bezahlten Schulungen oder in Mindestfrüh- oder Invalidenrente. Nicht wenige aber fallen auch ganz aus dem Raster oder waren nie im System. Die Anstiege der Nachfrage bei Tafeln und Rotem Kreuz, die Hilferufe an Rathäuser und Hilfsorganisationen, die teilweise dreimal so viel Menschen wie vor dem Alarmzustand versorgen, belegen den löchrigen Zustand des spanischen Sozialsystems.

Doch auch die ERTE, die derzeit die Arbeitgeber massiv von Lohnkosten entlasten, werden weitere Massenentlassungen nur vertagen, nicht verhindern können, auch wenn in einigen besonders hart betroffenen Schlüsselbranchen wie dem Bau- und dem Gastgewerbe darüber nachgedacht wird, deren mögliche Laufzeit mehrere Monate zu verlängern, bis sich die Sektoren wieder halbwegs gefangen haben. Arbeitsministerin Yolanda Díaz hat am Dienstag eine Verlängerung der ERTE befürwortet, wenn es dafür einen Konsens zwischen Politik und Sozialpartnern gibt.

Gerade in dem für Spanien entscheidenden Gastgewerbe, das 1,7 Millionen Menschen direkt beschäftigte und eine Gesamtwertschöpfung anregt, die fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung ausmacht, bedeuten die Phasen der Deeskalation eher noch eine Verschärfung der Situation, weil die beschränkten Einnahmemöglichkeiten die Fixkosten oft nicht decken können.

Unternehmer fordern vom Staat Geld und „Flexibilität“

Einige Unternehmerverbände, wie der mächtige CEOE wollen aber noch mehr: Die Regierung möge die ERTE verlängern, endgültige Kündigungen aber dennoch möglich machen. Außerdem fordern die Arbeitgeber "maximale Flexibilisierung" des Arbeitsmarktes und finanzielle Belohnung von Unternehmen, "die ihren Personalstand nicht verändert haben", sprich, der Staat soll Steuer- und Abgabenerleichterungen gewähren oder noch mehr Arbeitslosengeld zahlen.

Fast alle Branchen leiden, eine Zahl macht das besonders deutlich: 900 Neuwagen wurden im April für Private in ganz Spanien zugelassen , weitere 3.500 an Gewerbe. An Privatkunden wurde im ganzen April so viel verkauft, wie an einem einzigen, sehr schlechten Tag in einem normalen Monat. Die Region Kantabrien meldete ganze vier Neuzulassungen. Sich ein neues Auto zu kaufen, wird für die Mehrheit der von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit Betroffenen, indes nicht die dringendste Notwendigkeit darstellen.

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