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500 Jahre erste Weltumsegelung: Elcanos bunte Truppe - Vom Leben und Sterben auf der „Nao Victoria“

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Von: Marco Schicker

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Gemälde zur Ankunft der Nao Vicotria in Sevilla.
Ankunft Elcanos mit der „Nao Victoria“ in Sevilla. „Menschen, so dünn, wie man sie noch nie gesehen“. Gemälde von Elías Salaverría zum 400. Jahrestag 1919. © Museo Naval Madrid

Was Magellan begann, vollendet der Spanier Elcano. Die erste Umrundung der Erde. Doch wer sind die namenlosen Helden? Ein Blick in Kajüten, Schicksale und das Alltagsleben auf Elcanos Rückfahrt mit der „Nao Victoria“.

Sanlúcar/Sevilla – Es stimmt zwar, dass von den 239 bis 260 Männern, die am 10. August 1519 in Sevilla unter Magellans Kommando aufbrachen, mit Kapitän Elcano nur 17 weitere am 6. September 1522 von der ersten Erdumrundung zurückkehrten. Doch nicht alle anderen starben. 13 Männer, auf den Kapverdischen Inseln von den Portugiesen gefangen gehalten, ließ König Carlos I. nur wenige Wochen nach Elcanos Ankunft freikaufen. Insgesamt 89 Seeleute der Magellan-Expedition kehrten früher oder später nach Spanien zurück, 55 davon allein auf der „Trinidad“, die sie monatelang auf einer Insel im Pazifik reparieren mussten. Elf weitere überlebten, blieben aber aus verschiedenen Gründen zurück, einer davon wurde sogar „Indianer“.

Spanien in fünf Nussschalen: Die Besatzung der ersten Weltumsegelung

148 Mann der Besatzung waren Spanier, 28 Portugiesen, 27 Italiener, 15 Franzosen, acht Griechen, fünf Holländer, drei Deutsche, zwei Iren, ein Brite und ein Malaysier. Von neun Besatzungsmitgliedern ist die Herkunft nicht überliefert, bei anderen zweifelhaft. So werden einige als „Albaner“ bezeichnet, doch auch Süditaliener, sogar Griechen aus Mazedonien und andere Balkan-Völker wurden damals so betitelt. Andere waren möglicherweise Nordafrikaner und keine Christen und fielen in den Aufzeichnungen daher unter den Tisch. Mehrere Sklaven waren mit von der Partie und den Geschichtsschreibern ohnehin keine Zeile wert. Von den Spaniern kamen die meisten, 57, aus Andalusien, gefolgt sogleich von den Basken, den „Biskayern“, 23, die in punkto Navegation, Steuerung und Schiffsführung damals die Marktführer waren. Elcano selsbt war auch Baske und mit seinem Vater schon als Kind in der Fischerei unterwegs.

Natürlich waren alles anständige Katholiken. Wirklich? Elcano, der so tieffromm war, dass er einem Kloster in Alicante noch auf dem Sterbebett im Pazifik ein Vermögen für das Jesus-Grabtuch, das Santa Faz überließ, weil er es in diesem Jahr wohl nicht mehr zur Wallfahrt schaffen würde, saß als junger Mann wegen Waffenhandel mit den Franzosen im Gefängnis und wäre fast wegen Hochverrats angeklagt worden. Von Alicante stach er mehrfach zu Rachekreuzzügen nach Algerien in See, die Kardinal Cisneros anordnete, der Bücherverbrenner, Einpeitscher der ersten Rassengesetze Europas und Deporteur hunderttausender jüdischer und muslimischer Spanier. So gesehen, war Elcano ein ganz normaler spanischer Katholik seiner Zeit: kämpferisch, frömmelnd, käuflich, bigott und selbstgerecht.

Potrait Elcano
Potrait Elcanos aus dem 18. Jahrhundert. © Biblioteca Rector Machado y Nuñez Sevilla

Magellan wiederum hielt sich für die Weltumrundung keinen persönlichen Diener, es musste schon ein Sklave sein. Als Jaime Morisco wird er in den Büchern aufgeführt, dessen Name nahelegt, dass er ein Moriske, also (zwangs)konvertierter muslimischer Spanier war, wahrscheinlich aus Aragón. Konvertierung oder Deportation hieß damals die Devise. Die fünf Schiffe, sie waren ein Abbild der Iberischen Halbinsel: Spanien in fünf Nussschalen.

Elcanos bunte Truppe: Der galicische Indianer und der "Entdecker" New Yorks

Und eine sehr bunte Truppe: Da hätten wir Gonzalo de Vigo, der, wie der Name verrät, aus Galicien stammte und auf der „Concepción“ anheuerte. Er verblieb Monate auf den Molukken, wo sie versuchten, die „Trinidad“ wieder seetauglich zu machen. Im Angesicht täglichen Todes und völliger Hoffnungslosigkeit entschloss er sich mit zwei Kameraden auf einer Insel der nördlichen Mariannen zur Flucht. 1526 jagte er seinen früheren Kollegen einen tüchtigen Schrecken ein, als sie bei einer Expedition nach Guam einem „Indio“ in wilder Kriegsbemalung im Kanu begegneten, der sie in finsterstem Andalusisch ansprach. Er hatte sich in einen Stamm integriert und lebte in der Wildnis. Die Spanier, mit königlichen Vollmachten ausgestattet, erteilten ihm Absolution für die frühere Fahnenflucht. Er diente dann als Übersetzer.

Von ganz anderem Kaliber war Esteban Gómez, ein portugiesischer Steuermann mit viel Erfahrung an afrikanischen Küsten, der nach der Durchquerung der Magellanstraße eine Meuterei gegen den Chef anzettelte. Er übernahm die „San Antonio“ mit Gewalt, legte den Kapitän in Ketten und kehrte nach Spanien zurück, wo er in Sevilla dreist behauptete, die Falklandinseln (Islas Malvinas) entdeckt zu haben. Dumm nur, dass die bereits in den Karten des Amerigo Vespuccio vor 15 Jahren auftauchten.

Gómez wurde nun genauer verhört und als Meuterer in den Kerker geworfen. Als Elcano zurückkam, erwirkte der die Begnadigung, die der König nur gewährte, wenn Gómez ihm einen „zweiten Weg nach Westindien“ entdeckte, über die Nordroute. Gómez arbeitete sich so als erster Europäer von Florida bis Labrador die heutige US-Ostküste entlang, „entdeckte“ sozusagen auch New York und Boston, damals noch sumpfige Einöden, musste aber bei Labrador umkehren, mal wieder wegen der Portugiesen. Weite Teile Nordamerikas firmierten in den Karten noch ein Jahrhundert lang als „Tierra de Esteban Gómez“. Er starb 1538 bei Kämpfen mit Einheimischen im heutigen Paraguay.

Der Columbus-Veteran, der betrogene Ehemann und der Barbier von Sevilla

Mit Juan Rodríguez Mafra war ein hoch angesehener Veteran mit an Bord der „Victoria“. Er war sozusagen der Michael Collins von Columbus. Auf zwei Reisen des „Amerika“-Entdeckers war Mafra, der aus Huelva stammte, mitgefahren, was nun schon fast 30 Jahre zurücklag, musste aber meist an Bord bleiben, um das Schiff in Position zu halten. Weitere Atlantiküberquerungen führten ihn nach dem Elcano-Abenteuer noch an die Küsten Brasiliens, Kubas und Hispaniolas. Er starb weitgereist auf der Isla de Mazava auf den Philippinen mit 51 Jahren.

Weltkarte mit der Nao Victoria
Eine Weltkarte aus dem 16. Jahrhundert würdigt die „Nao Victoria“ (Ausschnitt). © Archivo General de las Indias Sevilla

Von dessen Namensvetter Ginés de Mafra aus Jerez ist ebenfalls Dramatisches überliefert. Der Seemann blieb mit seinem Kapitän Gonzalo Gómez de Espinosa mit der „Trinidad“ auf Tidore und musste dort unter portugiesischer Geiselhaft fünf Jahre auf seine Rückkehr nach Spanien warten. Als er in sein Haus kam, fand er seine Frau, die ihn für tot hielt, mit einem neuen Ehemann vor , all seine Habe verkauft, der Sherry weggetrunken. Mafra kehrte mit dem nächsten Schiff aufs Meer und nie wieder nach Spanien zurück.

Technisch gesehen war Hernando de Bustamante und damit ein Sevillaner der erste Mann, der die Welt umsegelte. Denn er stand laut Augenzeugen ganz vorn am Bug, als die „Nao Victoria“ in Sanlúcar am 6. September 1522 die Stelle kreuzte, von der sie drei Jahre zuvor gestartet war. Bustamante war ein Barbier aus Sevilla, sprich der Schiffsarzt und ein enger Freund von Elcano, mit dem er auch auf dessen letzte, tödliche Reise ging. Während der Molukkenkriege gegen die Portugiesen tauschte Hernando das Barbiermesser immer öfter mit dem Schwert und kämpfte sich in den Rang eines Kapitäns. Irgendwer hat ihn vergiftet.

Besatzung der „Nao Victoria“: Kind an Bord und Hans aus Aachen

Unter den 18 Rückkehrern war auch ein Kind, ein Junge, den sie Vasquito nannten, den kleinen Basken. Sein Vater gehörte zu den Navigations-Experten, die sich für gutes Geld anheuern ließen und er hatte die Idee, seinen Sohn als Lehrling mitzunehmen. Nach einer solchen Reise wäre er ein gemachter Matrose. Doch der Vater, als Steuermann eingesetzt, erkrankte und starb, kurz bevor die Crew die „Insel der Diebe“, heute Guam, erreichte. Der Rest der Mannschaft adoptierte den Jungen, von dem nicht bekannt ist, wie alt er damals war. Aber er muss sehr jung gewesen sein, denn zur Auszahlung der Heuer in Sevilla musste extra seine Mutter anreisen.

Und auch von einem der drei Deutschen an Bord der Flotte bleibt etwas überliefert. Es war Hans aus Aachen, Maestro Hannes genannt. Er startete das größte Abenteuer der Menschheit mit 19 Jahren als Kanonier und kehrte mit Elcano als einer der glorreichen 18 auf der „Victoria“ nach Sanlúcar zurück. Hans begleitete Elcano auf dessen letzter Reise und schaffte die zweite Rückkehr, allerdings erst ganze acht Jahre später, 1534 mit der Saavedra-Expedition. Damit wurde er der erste Mensch, der die Erde zweimal umrundete. 1542 verstarb er bei einer Mexiko-Fahrt.

Elcanos Rückfahrt: Immer Ärger mit den Portugiesen

147 Mitglieder der Magellan-Elcano-Expedition starben, 60 Prozent der gesamten Truppe also. Unter- und Mangelernährung sowie Erschöpfung boten Krankheiten freies Spiel und töteten die meisten Männer. Die anderen starben vor allem in Kämpfen mit Indigenen. Selbst der Expeditionsleiter Magellan verlor die Nerven und zettelte einen Krieg gegen hunderte Einheimische in Mactán an. Ein Speerstich tötete ihn am 27. Aril 1521 im Alter von 36 Jahren.

Auszug aus Schiffstagebuch der Nao Victoria
Logbuch des Todes: Liste der letzten Todesopfer von der Besatzung der „Nao Victoria“ © Archivo General de las Indias Sevilla

Als die „Victoria“ mit „47 Mann und 17 Indios“ die Rückfahrt antrat, bewegte sie sich in von den Portugiesen beanspruchten Gewässern. Selbst die Aufnahme von Trinkwasser und Nahrung und erst Recht das Laden von Gewürzen galten als kriegerischer Akt gegen die Krone Portugals. „Wir bleiben daher lieber auf dem Meer, um frei zu bleiben“, schreibt Francisco Albo, Steuermann der „Victoria“, in sein Tagebuch. Strömungen und Stürme bringen die Rückkehrer immer wieder von der Route ab, den Hauptmast müssen sie umlegen, damit er nicht bricht, die Mannschaft ist 24 Stunden mit dem Auspumpen der Laderäume beschäftigt und erschöpft sich so noch mehr.

„Reis in Meerwasser gekocht“, schreibt Albo, ist für Wochen praktisch die einzige Mahlzeit. Nur ab und an gibt es Fisch dazu. Am 19. Mai 1522, nachdem sie wochenlang durch den südlichen Indischen Ozean fuhren, passieren sie das Kap der Guten Hoffnung, das schon seit 1488 so hieß, als der Portugiese Bartolomé Díaz die Landspitze als Durchbruch auf dem Weg nach Indien fand. Hoffnung: Geschätzte 44 Kilometer von der Küste fuhren Elcano und seine Restetruppe daran vorbei, sie sahen das Kap nicht einmal, doch nun steuerten sie nach Nordwesten, waren im Atlantik, praktisch schon in heimischen Gewässern.

Reis mit Meerwasser: Kurz vor der Rückkehr sterben sie auf der Victoria wie die Fliegen

Auf einmal geht es rasend unter vollen Segeln vorwärts, an manchen Tagen schaffen sie mehrere hundert Kilometer, Dank auch des Benguelastroms. Doch die Mangelernährung, die Erschöpfung kostete, jetzt so vermeintlich kurz vor dem Ziel, sehr viele Menschenleben, Krankheiten trafen auf widerstandslose Körper. Das Schiffstagebuch Albos registriert Todesfälle an 12 Tagen zwischen dem 12. Mai und 10. Juni. Die Männer sterben wie die Fliegen. Elcano befiehlt nun doch die Küste anzulaufen und Proviant zu fassen, doch sie finden nur undurchdringliche Mangrovenwälder vor. Die Kapverdischen Inseln, eigentlich verbotene Zone, wurden nun zur einzigen Option.

Elcano meldete sich bei der portugiesischen Hafenkommandantur als havariertes Schiff an, schickte aber heimlich 13 Mann in Beibooten los. Sie sollten Proviant und Sklaven kaufen, die das Auspumpen des Schiffsrumpfes übernehmen würden. Doch sie machten den Fehler, die Sklavenhändler in Gewürzen, speziell in Nelken zu bezahlen. Der Kommandant bezichtigte sie daher des Diebstahls an der portugiesischen Krone. Elcano schmiss den Hafeninspekteur von Bord, als der das Schiff beschlagnahmen wollte, ließ Segel setzen und floh. Dabei ließ er 13 Kameraden in Gefangenschaft, hoffend, dass die spanische Krone sich bald ihrer annehmen würde.

Reis in Meerwasser blieb das „Menú del día“ für den Rest der Fahrt. „Von Bord gingen Männer so abgemagert, wie man noch keine gesehen“, schreibt Elcano über den Landgang in Sevilla. Als sie 1519 aus der Bucht von Cádiz losfuhren, hatten die fünf Schiffe 500 Tonnen Proviant geladen, darunter 200 Fässer eingelegte Sardinen und 430 Knoblauchknollen, zehn Tonnen Schiffszwieback. Hühner und Schweine wurden lebend geladen, auch sieben Kühe schleppten sie an, die Milch geben sollten. Doch Kühe müssen auch fressen, Stroh und Heu verschimmelte nach wenigen Wochen und so wurden die Tiere bald geschlachtet, solange sie noch Fleisch auf den Knochen hatten.

Schlimmer war der Durst: Da die meisten Speisen eingesalzen waren, brauchte man wertvolles Trinkwasser, um sie wieder essbar zu machen. Beim Wasser aber verstanden Kapitän und Proviantmeister keinen Spaß, die Zuteilung war strikt und nicht verhandelbar und nicht selten blieb dann „nur“ noch Wein und Brandy als Durstlöscher.

"Unsere Schiffe roch man, bevor man sie sah": Alltagsleben auf der Victoria

Das Regime an Bord hing dabei sehr von den Launen des jeweiligen Kapitäns ab, der Firmenchef, König, Richter in einer Person war. Mit Deckschrubben und anderen Schindereien, morgens und abends Gottesdienst, sollten den Männern Flausen ausgetrieben werden. Unter Deck hatten sie rund 1,5 Quadratmeter pro Nase zur Verfügung, bis zu 100 schliefen in einem Raum, Schweine und Hühner mit ihnen, aber auch Ratten und allerlei unerwünschtes Getier. „Unsere Schiffe roch man, bevor man sie sah“ lautete eine Redensart damals.

Es gab aber auch Zeit totzuschlagen, viel Zeit mitunter. 80 Prozent der Besatzungen der spanischen Schiffe waren damals Analphabeten. Wer lesen konnte, las anderen vor. Ritterromane waren, wie eine tadelnde Liste der Spanischen Inquisition aufklärt, die Favoriten, aber auch Schäfergeschichten. Zwar waren Kartenspiel oder Glücksspiel jeder Art theoretisch verboten, doch wurde es meist geduldet und so eine Hauptbeschäftigung an Bord. Manche verloren dabei wörtlich ihr letztes Hemd, Streitereien waren die Folge und dann Strafen und Rationierung des Alkohols.

Glücksspiel, Alkohol und Sex: Nur nicht erwischen lassen

Doch was war mit Sex? Davon steht natürlich nichts in den Archiven in Sevilla. Die meisten Männer waren um die 20 Jahre alt, das Testosteron stand ihnen bis zur Mastspitze. Aber Frauen waren auf Spaniens königlicher Flotte strengstens verboten. Eigentlich. Denn als zahlende Passagiere durften sie, züchtig getrennt vom Rest, mitreisen. Offiziere und mittlere Mannschaftsgrade „arrangierten“ sich.

Über Entführung und Missbrauch indigener Frauen auf königlichen Schiffen lesen wir im Archiv in Sevilla kein Wort. Auch nicht über homosexuelle „Episoden“, die es zweifellos gegeben hat. Sich nicht erwischen lassen, den Schein wahren, das war in vielen Lebensbereichen des „Goldenen Zeitalters“ oberste Maxime für die Normalsterblichen. Alte spanische Seemannslieder, die später in den Flamenco als „cantes de ida y vuelta“ integriert wurden, denn sehr viele Matrosen und Galeerenhäftlinge auf Amerikafahrten waren spanische Gitanos oder Morisken, berichten verklausuliert von der „verbotenen Liebe“ oder dem „Trunk aus dem gleichen Glas“. Und so klingt in den Tablaos und Bars von Jerez oder Cádiz noch immer der Sound der großen Weltumsegelung von vor 500 Jahren mit, die bis heute in Spanien und der ganzen Welt nachwirkt.

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