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Allerheiligen in Spanien: Duftende und süße Bräuche zum Toten-Gedenken

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Von: Stefan Wieczorek

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In Spanien stehen auf einem Tisch Fotos von Verstorben, Gefäße mit Kerzen und Blumen für Allerheiligen.
Allerheiligen in Spanien: Häusliches Toten-Gedenken mit Fotos, Kerzen und Blumen. © Museo Pusol

In Spanien lädt das sonnige Wetter vielerorts zum Verstorbenen-Feiern im Freien ein. Dennoch leben die Festtage auch von häuslichen Bräuchen und Rezepten.

Sonnige Toten-Feiern könnten Spanien an Halloween, Allerheiligen und Allerseelen 2022 erwarten. Das Wetter mit Temperaturen von 30 Grad brachte Ende Oktober sogar den Sommer zurück. Schön für Familien, die Reisen an die Costa Blanca oder Costa del Sol am langen Wochenende mit dem Allerheiligen-Feiertag geplant haben. Oder auch für Menschen, denen es gut tut, ihre Toten auf dem Friedhof zu besuchen. In den vergangenen Jahren verhinderte die Coronavirus-Krise eine gebührende Feier für die Verstorbenen. Aber hat die Pandemie das Land nicht auch in besonderer Weise auf die Festtage der Toten eingestimmt?

AlicanteHauptstadt der Costa Blanca
Fläche:201,3 km²
Bevölkerung:1,863 Millionen (2019)
Tote in Zusammenhang mit Coronavirus:Über 600 seit Covid-19-Ausbruch

Allerheiligen in Spanien: Schlechtes Wetter, aber Aufleben alter Bräuche?

Denn so intensiv wie unter Corona hat sich Spanien lange nicht mit dem Tod beschäftigt. Für 115.000 Menschen (Stand 30. Oktober 2022) endete hier die Covid-19-Krankheit tödlich. Viele starben unter dramatischen Umständen, eingesperrt, alleingelassen im Altersheim. Das wühlt auf, mehr als die „normalen“ Toten-Zahlen - ob Grippe, Verkehrsunfall, Krebs oder Alter -, an die man schon längst gewohnt war. „Tja – den Tod, den möchte man am besten abschaffen,“ sagte Wolfgang-Peter Bethe, Prädikant der Evangelischen Gemeinde an der Costa Blanca, in einem costanachrichten.com-Gespräch in Zeiten, noch bevor die Pandemie ausbrach. Doch durch Corona ist aus dem Tabu Tod in Spanien ein trending topic geworden, könnte man sagen.

Ganz anders als sonst ging Spanien in den Corona-Zeiten den Tagen der Toten entgegen. Sonst richteten sich viele Spanier auf den Besuch des Friedhofs rund um den Feiertag Allerheiligen ein - zur Freude der Blumenverkäufer. Viele Jugendliche dagegen fieberten schrillen Halloween-Parties entgegen. Doch da musste man auf einmal Corona-Abstand halten, und nur das eigene Haus blieb für das Begehen der Feiertage. Vielleicht die Chance für die Erneuerung alter Bräuche? Eine Menge häuslicher Traditionen für das Toten-Gedenken hat Spanien - auch für Regen-Wetter - parat, erfahren wir im Heimatmuseum Museo Pusol im Süden der Costa Blanca.

„Die Speisen zeigen: Der Tod, eigentlich angsteinflößend, hat auch eine süße Seite.“

Anthropologe Miguel Rivera, Universität Complutense von Madrid

Allerheiligen in Spanien: viele häusliche Traditionen zu Toten-Gedenken

Im Dorf Pusol im Süden der Costa Blanca steht das Museum, das eine Grundschule beherbergt, und alte Bräuche aus Spanien - etwa zu Palmsonntag und zu Allerheiligen - mit den Kindern pflegt. Zu einem beleuchteten Tisch führt uns Museumsmanager José Aniorte. Auf dem Tisch, der wie ein Altar ausschaut, sehen wir Fotos, alte Schwarzweiß-Aufnahmen, offenbar von Verstorbenen, daneben kleine Gefäße mit Blumen und eines mit schwimmenden Kerzel auf Öl. „DIese Widmung nennt man hornacina (Nische)“, sagt Aniorte. „Auf den Bildern sehen wir Verwandte der Familien aus der Umgebung. Dieser Toten wird damit gedacht. So etwas stand um Allerheiligen einst in vielen Häusern an der Costa Blanca, gibt es aber durchaus noch heute.“

Nicht nur Duft und Optik der häuslichen Allerheiligen-Traditionen stimmen Spanien auf die Tage der Verstorbenen ein - auch eine gehörige Dosis Geschmack. Süß und deftig werden zum 1. November die Speisen, mit Windbeuteln (buñuelos de viento), Röllchen aus Marzipan (huesos de santo, „Knochen des Heiligen“) und dem sirupgetränkten Mehlbrei gachas con arrope. Was hat es mit all diesen Leckerbissen, die es in spanischen Bäckereien zu kaufen gibt, an diesem doch traurig-schaurigen Toten-Gedenken auf sich? „Die Speisen zeigen: Der Tod, eigentlich angsteinflößend, hat auch eine süße Seite“, erklärt uns Anthropologe Miguel Rivera von der Universität Complutense von Madrid. „Diese Einsicht liegt auch dem sehr süßen und bunten Totenfest im Mexiko zugrunde.“

In einem Friedhof in Spanien schmückt eine betende Steinfigur ein Grab.
Allerheiligen in Spanien: „Aber ich habe viele Sterbende angetroffen, die in Ruhe und Frieden mit sich und der Welt entschlafen sind.“ (Prädikant Wolfgang-Peter Bethe) © Ángel García

Von Toten und Heiligen - in Spanien boomt aber Halloween

Eine süße Seite des Todes? Ramón Egío, Dekan der Konkathedrale von Alicante, schaut an Allerheiligen sogar mit Freude zum Himmel. „Am 1. November - am Fest Todos los Santos - danken wir für die Menschen, die dort angelangt sind.“ Die „Santos“, das seien nicht nur die „offiziellen“ Kalender-Heiligen, sondern auch „anonyme Heilige“: Menschen des Alltags, die in Barmherzigkeit, Frieden und Gerechtigkeit gelebt hätten, erklärt der Katholik. Und Allerseelen am 2. November - Día de los difuntos? „Den Tag widmen wir Mitmenschen, die uns brauchen“, so Egío. Die Kirche glaube, das Gebet verhelfe Verstorbenen zur Erlösung, und feiere am 2. November daher eine Vielzahl von Messen: „Damit alle Gelegenheit haben, für ihre bedürftigen Toten zu beten.“

Evangelische Gläubige kennen diese Fürsprache für Verstorbene nicht. An der Costa Blanca widmet die deutsche Gemeinde in der Regel erst am Totensonntag Ende November einen Tag den Verstorbenen des Jahres. Gedacht wird an diesem „evangelischen Allerheiligen“ der Toten aus der Gemeinde oder auch Angehörigen, für die um eine Trauerfeier gebeten wurde. Am 31. Oktober würden die Protestanten dagegen in aller Ruhe den Reformationstag feiern - wenn da nicht ein anderes Fest der Toten wäre, das auch in Spanien gewaltig boomt: Halloween - das verrückte Spukfest mit Kürbisköpfen und Hexenkostümen. Die wilde Party entstamme eigentlich religiösen Traditionen, erklärt Prädikant Bethe, sei mittlerweile aber nur noch „ein lauter Klamauk“.

Abend vor Allerheiligen: Toten-Gedenken „eine Erinnerung, die lebt“

Was hat Halloween mit den religiösen Toten-Gedenken zu tun? Papst Gregor IV. legte im 9. Jahrhundert Allerheiligen auf den 1. November, den Tag nach dem keltischen Totenfest Samhain. Ob ihm dies bewusst war oder nicht, ist nicht ganz geklärt. Jedenfalls ist der heutige Name „Halloween“ die Kurzform von „All Hallows‘ Eve“ – Abend vor Allerheiligen. Für den Anthropologen Rivera macht generell die Terminierung der Verstorbenen-Gedenktage mitten im Herbst Sinn: „Der Mensch identifiziert den Einbruch des Winters, das Sterben in der Natur, mit dem eigenen Sterben“, erklärt der Kulturexperte. Die geschilderte Wahrnehmung sei selbst der heute stark säkularisierten Gesellschaft von heute nicht fremd.

„Unsere Toten zu ignorieren bedeutet uns selbst zu ignorieren“, mahnt der katholische Pfarrer Egío aus Alicante. Ihr Gedenken an Allerheiligen und Allerseelen sei allerdings kein trauriges oder angstvolles Sich-Erinnern an Vergangenes. „Sondern es ist eine Erinnerung, die lebt, uns Dankbarkeit lehrt, vor Fehlern schützt, und Versöhnung stiften kann.“ Auch der protestantische Prädikant Bethe zeichnet ein freundliches Bild vom Sterben: „Viele verbinden mit dem Tod Schmerzen und Leid. Aber ich habe viele Sterbende angetroffen, die in Ruhe und Frieden mit sich und der Welt entschlafen sind.“

In Spanien liegen Fotos von Verstorbenen gemischt an einem Friedhof in Alicante.
Allerheiligen und Allerseelen in Spanien: Fest der „anonymen Heiligen“ und „Menschen, die uns brauchen“ (Ramón Egío, Dekan der Konkathedrale von Alicante). © Ángel García

Das Toten-Gedenken in Spanien hat eine lange Tradition. An den tiefen Respekt für Verstorbene im Laufe der Geschichte, ob unter Mauren, Goten, Römern und Iberern, erinnern gerade an der Costa Blanca viele Ausgrabungen von alten Grabanlagen. Auch alte Kulturen, die selbst längst verstorben sind, könnten unserer Gesellschaft - gerade an Allerheiligen - durchaus als Vorbild dienen, meint Anthropologe Rivera aus Madrid. „Wenn Sie mich fragen, ob die Art und Weise, mit den Toten umzugehen, ein Kennzeichen von Zivilisation ist, dann sage ich: Ja, sie ist es.“

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