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Kreuz und quer durch Antequera: Entdeckungen in Andalusiens Vorzeigestadt

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Von: Marco Schicker

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Stierkampfarena von Antequera mit Reiter.
Die Stierkampfarena von Antequera wird 2023 175 Jahre alt. Rund um die Feria de Agosto prägen Pferde, Kutschen und Reiter das Stadtbild. © Marco Schicker

Antequera, die liebliche Stadt der Kirchen und Dolmen in Málagas Bergland wahrt seit Jahrhunderten ihre Fassaden – Wir schauen dahinter. Tipps für einen Besuch.

Antequera – „Unmöglich ist es, in Antequera eine Straße zu durchqueren, ohne dass mich der Schatten eines Kirchturms bedeckt“. Das schreibt ein Reisender im Jahre 1856 zur Einleitung eines Heftchens über die 40 Kirchen der Stadt. Eigentlich sind es 40 Kirchen und zwei Dutzend Klöster und ich fürchte, bei einem Erdbeben würden nicht nur die Schatten, sondern die Kirchtürme selbst Fußgänger bedecken, so abenteuerlich sind sie teils auf die Gotteshäuser montiert.

Blick von der Burg von Antequera.
Blick vom Torre de Homenaje über Antequera zum „Fels der Verliebten“, in der Bildmitte: Reste einer Villa aus der Römerzeit. © Marco Schicker

Als Antequeras größter Held 1410 hier einmarschierte, gab es noch keine Kirchen. Aber Gotteshäuser, Moscheen nämlich, davon eine direkt in der Burg Alcazaba, die andere, die größte, zu Füßen der Burganlage. Eine weitere, die älteste Moschee der Gegend steht weit draußen, umbaut von einem Gutshof. Maurische Burgen gibt es in Andalusien so viele – sie gehören praktisch zur Grundausstattung eines jeden Dorfes –, dass sich jeder Ort etwas Erstes, Größtes, Schönstes oder Blutigstes ersinnen muss, um irgendwie hervorzustechen. Antequera trumpft hier ganz groß auf: Fernando, damals noch ein Prinz des kastilischen Königshauses Trastámara, belagerte Medina Antaqira 1410 ein dreiviertel Jahr lang. Als er den Mauren das Wasser abgraben konnte, gaben die nach einigen Gefechten auf.

Vom Schlachtfeld zum Schaufenster: Antequeras spannende Geschichte

Damit eroberte Fernando einen Schlüsselpunkt, versperrte den Weg zur Hafenstadt Málaga und nach Gibraltar und setzte das letzte Emirat, jenes von Granada, gerade 90 Kilometer entfernt, in Schach. Fernando leitete damit die letzte Phase der verklärten „Reconquista“ ein, die ein Eroberungsfeldzug wie alle Landnahmen vorher war. Die Schlacht brachte ihm den Titel „der von Antequera“ und eine Frau aus königlichem Geblüt ein, die ihn zum König von Aragón machte, das über Jahrhunderte mit Kastilien verfeindet war. Sein Enkel, Fernando II., würde Kastilien und Aragón dann mit seiner Gattin endgültig unter einer Krone als die „Katholischen Könige“ vereinen und 1492 die christliche Eroberung Spaniens vollenden.

Alcazaba von Antequera.
Blick von Norden auf die Alcazaba von Antequera, rechts die Peña de los enamorados. © Makalu/Wikimedia Commons

Die Moscheen wurden überbaut, Antequera wurde Front- und Vorzeigestadt eines fundamentalistisch christlichen Reiches. Die vielen Kirchen, die bis ins 18. Jahrhundert errichtet wurden, sind Zeugen eines Wettlaufs um Prestige und Frömmigkeitspokale, darunter milde Stiftungen barfüßiger Nonnen, aber auch eitle Egomanien reicher Großgrundbesitzer und Händler, die sich den Mächtigen andienten oder eine Kirche einzig zur Hochzeit ihres Ältesten oder ihrer vorgetäuschten Schuldgefühle wegen errichten ließen. Dazu formten sich Dutzende Laienbruderschaften, die klerikales und ziviles Leben zu einem Gottesstaat verschmolzen und dafür sorgten, das Morisken und Marranos, also zwangskonvertierte Mauren und Juden, keinen Maravedí mehr verdienten. Auch noch der heutige Bürgermeister ist einer dieser Brüder, stand mehreren cofradías vor und kniet auffallend oft in Kirchen.

Verrutschtes Herz Andalusiens: In Antequera kreuzen sich alle Wege

Antequera sei das Herz Andalusiens, behauptet die Stadt. Das würde stimmen, wenn Andalusien das Herz in die Hose gerutscht wäre, denn das Städtchen liegt recht eigentlich im Süden der Region. Aber südliche Körperteile vermarkten sich nicht so geschmeidig. Es stimmt auch nicht emotional, denn Andalusiens Herz schlägt bekanntlich auf den Zungen seiner Bewohner. Es stimmt verkehrslogistisch, denn hier kreuzen sich die Wege zwischen Córdoba und Málaga, Sevilla und Granada und von Jaén bis ins wild-schöne Cádiz in der Diagonale.

Denkmal für Mauren in Antequera.
Eine Seltenheit in Spanien: Statt einer Huldigung der Reconquista, ein Denkmal für die aus ihrer Heimat vertriebenen maurischen Spanier. Hier in Antequera, das 1410 von Kastilien erobert wurde. © Marco Schicker

Nach 1410 pflanzten Kirche und Staat ihre Trutzburgen: Am auffälligsten die Real Colegiata, auf Weisung des Königs eine Bildungsstätte für fromme Gefolgsleute, die auf die Fundamente der zentralen Moschee gestellt wurde und eine der ersten Renaissance-Bauten Andalusiens darstellt. Von außen wie innen wie eine Kirche gebaut, wird klar, von welchen Balken begrenzt hier gelehrt wurde. Einige Geister wirkten auf das ganze Land ein, Rhetoriker, Theologen, Philosophen und Poeten, die eine eigene Schule begründeten. Das Haus ist für den Renaissance-Stil schlampig zusammengeschustert, ohne Feinheit, ohne Raffinesse. Ein Fassadenteil wurde einfach verputzt, weil das Geld ausging, der Mudéjar sitzt in allen Bögen und im 18. Jahrhundert pflasterte man einen Glockenturm dran, bei dem weder Material noch Stil zum Rest passten. In Italien wäre das höchstens ein Stall, hier ist es ein Schrein.

Real Colegiata von Antequera
Das wuchtige Real Colegiata neben der Burg von Antequera ist einer der ersten Renaissance-Bauten Andalusiens, der Glockenturm wurde aber erst später „rangeklatscht“. © Marco Schicker

Es gibt prächtigere und schöne Kirchen in Antequera, die Nuestra Señora del Carmen mit einem zwölf Meter hohen rotholzgeschnitzten Tafelaltar darf als Meisterwerk gelten. Die wichtigste ist indes San Sebastián am gleichnamigen Platz, deren Wetterengel auf dem Turm des 18. Jahrhunderts an die Giralda von Sevilla erinnert, hier ein Giraldo. Die Kirche ist 15. und 16. Jahrhundert, sie beherbergt mit dem „Jesús del mayor dolor“ den wichtigsten Semana-Santa-Schatz der Stadt, ein auf allen Vieren vor Schmerz kriechender, blutender Gottessohn, der jedes Jahr aufersteht, um jedes Jahr neu zu leiden.

Efebus und Acilia: Römische Ausgrabungen in und um Antequera

Blitzsauber restaurierte Fassaden der Palais der Stadtelite, Großbauern, Kleinadelige und Textilmagnaten wirken wie Kulissen. Oft sind sie es auch, denn sie stehen leer. Die Palästchen belegen Antequeras Stellung als Vorzeigeschaufenster, das von vier Himmelsrichtungen bestückt wurde. Wir finden die Patios Córdobas hier ebenso wie die farbenfrohen Bögen Sevillas oder die schlichte Erhabenheit des Mudéjar Granadas und manchmal die chiringuiteske Sorglosigkeit Málagas.

Efebo von Antequera
Antequeras schönster Sohn: Der Efebus aus dem 1. Jahrhundert ist nahezu perfekt erhalten, obwohl hauchdünn. Er wurde in einem Feld gefunden und steht heute im Stadtmuseum. © Marco Schicker

Eines der schönsten Palais steht auf der zentralen Plaza de Coso Viejo und ist Stadtmuseum: Römische Artefakte aus den Ausgrabungen der Umgebung im Überfluss, darunter der wohl schönste Efebus Hispaniens, ein feingliedriger Bronzejüngling im griechischen Stil und Emblem homoerotischer Lebensart der lustigen Altrömer und alten Luströmer. Die örtliche Oligarchenfamilie Rojas kaufte die Statue in den 1950ern dem Bauern ab, der das zerbrechliche Wesen in seinem Feld fand, eine Witwe mit Bildung übergab ihn später der Stadt.

Auch das Grab der Acilia Plecusa steht im Museum, die von einer Römer-Sklavin zur einflussreichsten Frau der Gegend wurde. 700 Jahre maurische Geschichte handelt die Stadt in zwei Vitrinen zerbrochener Krüge und mit ein paar Öllampen ab. Am Fuße der Burg, just dort, wo Fernandos Truppen die erste Bresche in die Mauer sprengten, erinnert eine vom letzten sozialistischen Bürgermeister errichtete Bronzestatue einer Maurenfamilie an die Vertreibung derjenigen, die dieses Land bis heute am längsten ihre Heimat nannten. Beide, Mauren wie Sozialisten, sollen sich so schnell nicht wieder heimisch fühlen, so tickt es in Antequera.

Atheistische Kirchen in Antequera: Die Bibliothek war mal ein Kloster

Puerta de Estepa Antequera
Die barocke Puerta de Estepa neben der Stierkampfarena von Antequera. © Makalu/Wikimedia Commons

Kaum ein Haus fällt aus dem Rahmen andalusischer Baukunst, kaum ein Neubau stört eine fast verstörend geschlossene Idylle. Was verbergen solche Fassaden? Klöster und Kirchen konvertieren mitunter ins Weltliche, werden so gerettet, die Zeit steht auch hier nicht still: Die örtliche Bibliothek war früher San Zoilo, das erste Kloster der Stadt. Der nobel-schlichte Hof ist immer offen, von oben grüßt ein Storchenpaar, drinnen erklärt der Bibliothekar, wie oft und warum Cervantes durch Antequera kam.

Altar in Kirche in Antequera
Ein grandioser, geschnitzter Hochaltar in der Iglesia de Nuestra Señora del Carmen, eine von über 40 Kirchen und Klöstern in Antequera. © Marco Schicker

Die Klarissen in der Calle Santa Clara gaben ihr Kloster auf, es ist heute, tipptopp renoviert, das Kulturzentrum. Auch das Rathaus mit einem prachtvollen Hof samt Arkaden verschmilzt geradezu mit einer Kirche. Oder die mit dem Rathaus. Das passt zum Bürgermeister. Klöster sind, wenn nicht verwaist und geschlossen, heute von Nonnen aus Afrika und Lateinamerika bespielt, die Kekse backen müssen, um ihre Stromrechnung zu bezahlen. Andere Ordenshäuser wurden Hotels, wie der Konvent der Heiligen Magdalena, das etwas außerhalb am malerischen Wanderweg Sendero de Las Arquillas gelegen ist, bei dem man vier entspannte Kilometer Aussichten, Olivenhaine, Schwalben und Reste römischer Kanalanlagen genießen kann.

Karstgebirge Torcál, Dolmen: Viel Natur rund um Antequera

Überhaupt ist die umliegende Natur Antequeras famos. 50 Kilometer nördlich vom tosenden Málaga hinter den sieben Bergen auf einer mit Olivenhainen bedeckten Hochebene am Fuße des Torcál ist es gelegen. Jenes Karstgebirge mit den märchenhaften Formationen, die sich einst so schnell aus einem Ur-Meer auf über 1.500 Meter erhoben, dass sie allerlei Getier mitnahmen, das hier versteinerte und zu sehen ist. Bergziegen springen zwischen Michelin-Männchen ähnlichen Felstürmchen herum, es gibt Wanderwege für alle Schwierigkeitsgrade, ein Besucherzentrum.

Ziegenherde in Andalusien.
Antequera und Umgebung sind berühmt für seine Ziegenkäse. Die Herden begegnen dem Wanderer schonmal überraschend. © Marco Schicker

Rundherum finden wir Höhlen mit 30.000 Jahre alten Zeichnungen, römische Villen der Siedlung Singlia Barba und natürlich die berühmten Megalith-Bauten der Dolmen, die Weltkulturerbe der Unesco und fußläufig vom Zentrum erreichbar sind. Sie sind 1.500 Jahre älter als Stonehenge, ein neu eröffnetes Museum erzählt Geschichte und Mythen der frühen Bewohner.

Die Legende der Liebenden von Antequera

Die Mythen Antequeras treffen sich indes alle in einem Punkt. Die Eingänge der Dolmen-Höhlen richten sich nicht nach den Sternen, wie sonst üblich, sondern auf einen Fels, der wie der Kopf eines Mannes mit markanter, „maurischer“ Nase ausschaut. Diese Peña de los Enamorados erzählt von der tragischen Geschichte zwischen einem in Granada gefangen gehaltenen Christen und einer Mauren-Schönheit aus Archidona, hier ums Eck. Ging natürlich schief die Sache, ein Romeo-und-Julia-Ende war ihnen beschieden.

Die besten Blicke auf Stadt und Felsen hat man von der Alcazaba. Zwei maurische Türme sind zu erklettern, in den einen hingen Christen eine Glocke. Unten Ruinen einer westgotischen Kirche, einer römischen Villa, ein römisches Bad sogar und die Ruinen der Burg-Moschee, die man ohne Beschilderung gar nicht erkennen würde und die nur noch ein paar Winterstürme brauchen, um gänzlich zu verschwinden. Auffallend ist der Zugang zum Burgviertel, das ein eigenes „weißes Dorf“ darstellt. Es ist der Arco del Gigante, das Riesentor, das im 15. und frühen 16. Jahrhundert aus maurischen Steinen und römischen Grabplatten errichtet wurde.

Torcál-Gebirge bei Antequera
Bizarre Karstformationen im Torcál-Gebirge bei Antequera. © Malaku/Wikimedia Commons

Ein paar Schritte lohnen sich auch zum hinteren Teil der Burg. Dort gelangt man zur Puerta de Málaga, dem Stadttor, das noch aus der Kalifatszeit bis Anfang des 11. Jahrhunderts stammt, während die Burg selbst vor allem Nasriden-Domäne war. Am Tor entlang fließt der Río de la Villa, an dessen Ufer umgebaute und lieblich verfallende Textilfabriken und Färbereien aus dem 18. Jahrhundert stehen. Eine eigene Wanderroute führt hier entlang.

Nicht alles ist Gold, was in Antequera glänzt: Ein Blick hinter hübsche Fassaden

Angeblich killte die Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts den Industriezweig, da billige Konkurrenz aus Granada Waren nun einfacher an Málagas Hafen liefern konnte. Das stimme nicht, erklärt ein Alteingesessener: „Es waren die Landherren, die die Industrie vertrieben, damit sie billige Landarbeiter hatten“. Eine organisierte Arbeiterklasse brauchten die „señoritos“ nicht, deren Namen man an Straßen, Geschäften und Palais bis heute lesen kann und die sich, in teure Steppwesten gesteckt, ihren Ibérico-Schinken in einer einschlägig bekannten Bar gegenseitig in die Mäuler stopfen. Gut organisiert waren indes die Bruderschaften, so gut, „dass sie regelmäßig durch die Gasthäuser zogen und kostenlose Verpflegung einforderten, andernfalls man dem Wirt das Leben zur Hölle machen würde“, berichtet einer dieser Wirte, der das noch vor ein paar Jahrzehnten erlebte.

Blick von der Burg Antequera in die Berge im Hinterland von Malaga.
Gleich hinter der Festung von Antequera geht es in wilde Natur und entlang des Stadtflusses, an dem Zeugen der Textilindustrie des 18. und 19. Jahrhunderts verwittern. © Marco Schicker

Da bröckelt die Fassade, auch, als mir ein Kneipengast erzählt, wie noch Anfang der 70er Jahre eine Frau spurlos verschwand, als sie angetrunken während der Semana Santa-Prozession, bei der die Legión mitmarschierte, ausrief, „Armer Jesus, in welch schlechter Gesellschaft du doch bist“. Die Guardia Civil führte sie ab, sie ward nimmermehr gesehen.

Viel zu feiern: 175 Jahre Stierkampfarena, 275 Jahre Feria de Agosto

Apropos Kneipen, auch die Küche Antequeras vereinigt die vier andalusischen Himmelsrichtungen, probieren Sie die Flamenquines mit Ochsenschwanz (rabo de toro), die Porra antequerana (eine Version des salmorejo) und die Molletes (schwammige Brötchen) mit allerlei köstlichem Belag von Sardellen bis in Sherry gesottenem Schweinsbraten. Am besten isst man bei San Sebastián und in seinen Nebengassen.

Im Januar 2023 hat, nach jahrelanger Behördenkeilerei, der städtische Bahnhof Antequera wiedereröffnet, die Stadt ihre Position und Funktion als Kreuzung Andalusiens stärken können. Zum Naturgebiet Torcál kommt man leider nur mit dem Auto, Fahrrad fahren ist nur außerhalb der Ortschaften auf Feldwegen ratsam. Die Oliven-Vega wird derzeit mit einem „Trockenhafen“, einem gigantesken Logistikpark zugepflastert, niemand protestiert. Gegen einen 1.000 Fußballfelder großen Solarpark bei Antequera, dort, wo seit 2.000 Jahren Oliven standen, protestieren sie schon, aber nur das Bauernvolk des Vorortes Cartaojal. Die Fassaden werden gewahrt in Antequera: 175 Jahre Stierkampfarena und 275 Jahre Feria de Agosto de Antequera feiert die Stadt 2023, das Herz Andalusiens, die Stadt am Kreuzweg, das Unesco-Welterbe, die perfekte Idylle. Die Fassaden bleiben in Takt, in alle Straßen fallen die Schatten der Kirchtürme. Vorerst.

Zum Weiterlesen: Bandoleros - Eine Reise zu Andalusiens berühmten Räubern.

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