250 Jahre danach versucht die Landesregierung, wenn auch mit weitaus geringerem Aufwand, erneut eine Besiedlung des „leeren Andalusiens“. Dazu wurde jetzt ein Katalog mit den elf von Landflucht am stärksten betroffenen Gebieten in allen acht Provinzen Andalusiens vorgestellt, jene von vor 250 Jahren sind auch wieder dabei. Für Andalusien allgemein muss die Junta nicht werben, der Landesminister für Justiz und lokale Verwaltung, José Antonio Nieto, erklärt, dass Kultur, Gastronomie, Landschaften, Geschichte und „unsere Menschen“ allseits bekannt und beliebt seien. Doch Nordeuropäer, und um diese geht es dem Minister mit dem Projekt, zieht es nun eben fast ausschließlich zu Meer und Strand, wie die Motten zum Licht, was er freilich so nicht sagte. Dort aber steigen die Preise und sinkt der Trinkwasserspiegel, sind Strände und Straßen überfüllt, steigert die Gentrifizierung soziale Spannungen mitunter ans Limit, liegt die Hässlichkeit durch Bauwahn oft schon darüber.
Während das Hinterland Andalusiens immer leerer wird: „Das Bedauerliche ist, dass selbst Provinzhauptstädte wie Jaén, Córdoba, Granada und Cádiz Bevölkerung verlieren“, lamentiert der Minister. Dass das bei beiden Letztgenannten an exorbitanten Mietsteigerungen durch die Flut von Ferienwohnungen liegen könnte, die seine Landesregierung unreguliert gestattet oder an miserablen Löhnen seiner „señoritos“, reflektierte er nicht. Er wolle vor allem Menschen, die arbeiten, nach Andalusien holen. Also schon Arbeit haben und sie mitbringen, keine Latinos und „Moros“, die die Besetzunglisten der Mindestlohnanbieter auffüllen, denn die kommen von ganz allein und über die spricht man nicht so gern.
Nun hantierte der Minister mit Schlagworten, die ihm wohl ein Praktikant notiert hatte, die sonst meist noch Böhmische Dörfer sind: Generation Z, digitale Nomaden, Menschen im Home Office. Für die warb Granada schon nach Ende der Corona-Pandemie, mit Teilerfolg. Minister Nieto möchte, „die Fehler der Vergangenheit“ vermeiden, die „reifere Menschen um die 45 und älter“ angezogen hätten. Nun soll es „eine jüngere Zielgruppe sein“, die aber, und das sei der Knackpunkt, „funktionierende Dienstleistungen und ein arbeitsfreundliches Umfeld“ brauche, um sich in Dörfern und Kleinstädten anzusiedeln, die teils so weit vom Schuss sind, dass sich Hund und Katze dort „Gute Nacht“ sagen würden, fände sich nur auch in jedem Dorf je ein Exemplar.
Die Landesregierung starte hiermit einen „Aufruf an ganz Europa: Kommt nach Andalusien!“ Denn wenn, so rechnet Minister Nieto forsch vor, „nur 0,1 Prozent der 470 Millionen EU-Bürger dem Ruf folgen, wären das fast eine halbe Million neue Bürger für Andalusien“. Das sei auch angemessen, denn, so belegt der Minister, lustig mit Äpfel, Birnen und Oliven jonglierend: „Andalusiens Fläche entspricht 95 Prozent der Fläche Portugals, hat aber nur 82 Prozent der dortigen Bevölkerungszahl“.
Geld und konkrete Projekte für die als notwendig bezeichnete Infrastruktur hatte Nieto nicht im Gepäck. Die Gemeinden bleiben weitgehend auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, EU-Gelder an Land zu ziehen, Investoren anzulocken, sich bei Bahn und Busgesellschaften um Anschlüsse zu mühen, der Landesregierung Planstellen für Lehrer abzubetteln oder Erneuerbare Energien, einen Brunnen oder eine Aufbereitungsanlage zu installieren oder wenigstens zu verhindern, dass auch der letzte Geldautomat abgeschaltet wird und die letzte Tante Emma schließt. Besonders dramatisch sieht es mit der Gesundheitsversorgung aus. Andalusiens Landesregierung konzentriert sich lieber darauf, den privaten Anbietern Steuergelder zuzuschanzen als die Versorgung im ganzen Land zu sichern.
Nicht einmal einen kostenlosen Spanischkurs rückt die Landesregierung raus, auch das müssen die Kommunen selbst stemmen. In eines der staatliche Förderprogramme (mit EU-Geldern) zu kommen, auch dabei wird Sevilla kaum helfen, so lange in Madrid „die Kommunisten“ an der Macht sind. Dafür soll aber das Webportal der Landesregierung „im nächsten Jahr oder bis 2025“ stehen, für fast 600.000 Euro. Auf dem sollen dann nicht nur alle Orte und die notwendigen Infos über vorhandene Einrichtungen und Dienste verzeichnet, sondern auch eine Wohnungs- und Jobsuche integriert und lokale Anreize der jeweiligen Rathäuser in Spanien für Einwanderer (hier für Valencia) aufgeführt sein, sei es ein garantierter Kindergartenplatz oder eine kostenfreie Wohnung für die Bäckerfamilie, die den örtlichen Ofen wieder anschmeißt oder kostenloses High-Speed-Internet für die Generation Z, die sicher mit voller Freude in Dörfer zieht, in denen, wenn auch im schönsten Sinne des Wortes, nichts los ist. Aber dieses „Nichts“ ist eben ein andalusisches.
Es gibt auch spanische Regionen und Orte, die Anreize für neue Bürger bieten (Übersicht bei 20minutos), z.b. Nachlass bei der Grundsteuer IBI beim Hauskauf, Mietzuschüsse, Prämien für im Dorf geborene Kinder usw., einzig Andalusien fehlt auf der Liste. Weiter ist da bereits eine Webseite, „Komm, leb auf einem Dorf“, auf der Immobilienfirmen, Unternehmer und Dörfer in Form von Listen und interaktiven Karten praktische Kurztipps zu Dörfern im „leeren Spanien“ geben, fein sortiert nach Region, hier ist Andalusien (vor allem Provinz Málaga bereits mit 47 Einträgen vertreten, auch ohne Landesregierung.
Nicht minder reizende italienische Dörfer haben die Welt verstanden, sie loben mitunter vierstellige Bar-Prämien aus, für Menschen, die ein Haus in einem leeren Dorf kaufen oder über mehrere Jahre mieten. Ähnliche incentives gibt es in Frankreich und Griechenland, einschließlich Steuerbefreiung für Kleinunternehmen und Selbständige. In Andalusien gibt es hingegen bald eine Webseite, für die irgendeine Agentur 600.000 Euro einstreicht. Agent Thürriegel, der vor 250 Jahren tausende Einwanderer-Familien in die Sierra Morena lockte, beendete seine Karriere übrigens in einem spanischen Gefängnis. Wegen Betrugs.
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