1. Costa Nachrichten
  2. Spanien
  3. Land und Leute

Auswandern nach Spanien: „Leeres“ Andalusien will 500.000 europäische Einwanderer anwerben

Erstellt:

Von: Marco Schicker

Kommentare

Eine typische Gasse eines Dorfs der Alpujarra in Granada.
Weniger Lärm, keine Abgase: In den engen Gassen der Dörfer der Taha sind die Autos zumeist tabu. In Mecina etwa muss man sein Fahrzeug an der Zufahrtsstraße am Ortsrand stehen lassen. © José Antonio Nieto

Europäer, unter 45 Jahre alt und arbeitsam sollen sie sein, die halbe Million Einwanderer, die Andalusiens Landesregierung in Dörfer im Hinterland locken will. Sogar Provinzhauptstädte wie Jaén, Córdoba, Granada und Cádiz sind von Abwanderung betroffen. Die Pläne dagegen weniger als halbherzig.

Sevilla – Bereits im 18. Jahrhundert lockte Spaniens König Carlos III. tausende deutsche, niederländische und österreichische Familien als Kolonisten in die entvölkerte Sierra Morena, einen malerischen, aber auch widrigen Teil Andalusiens. Der windige bayerische Ex-Militär Thürriegel log als königlich privilegierter Vermittler den nach dem Siebenjährigen Krieg Verzweifelten das Blaue vom Himmel herunter, kassierte für jeden Einwanderer eine stattliche staatliche Kopfprämie, wenn sie katholisch und nicht vorbestraft waren. Thürriegel sorgte notfalls selbst dafür. Die Kolonisten wurden mit Baumaterial, Vieh, Saatgut beschenkt – wenn es nicht durch lokale Korruption oder die hier allgegenwärtigen Bandoleros zuvor abhanden kam. Ein in Peru geschulter Kolonialverwalter wurde für die „Nuevas Poblaciones“ eingesetzt, die im Volksmund bald einfach „deutsche Dörfer“ hießen.

La Carolina, Hauptplatz.
La Carolina in der Sierra Morena. Gegründet durch deutsche und holländische und weitere europäische Einwanderer im 18. Jahrhundert. © Fundación Municipios Pablo de Olavide

Dutzende Ortschaften wie La Carlota und Las Carolinas wurden so gegründet, mit Steuerfreiheit, aber auch Seuchen, Ausbeutung und Hungersnöten ausgestattet – und unerträglicher Hitze. Einige Investoren wurden angelockt, errichteten Fabriken, doch die Gegend blieb die ärmste Andalusiens, schon nach Napoleon zogen viele in die wachsenden Städte, während der Franco-Zeit wanderten Nachfahren der alemanes in die Heimat ihrer Vorfahren zurück, die Jugend flieht bis heute in hellen Scharen.

Auswandern nach Spanien: Überfüllte Küstenorte, leeres Hinterland - Andalusien hat viel zu bieten

250 Jahre danach versucht die Landesregierung, wenn auch mit weitaus geringerem Aufwand, erneut eine Besiedlung des „leeren Andalusiens“. Dazu wurde jetzt ein Katalog mit den elf von Landflucht am stärksten betroffenen Gebieten in allen acht Provinzen Andalusiens vorgestellt, jene von vor 250 Jahren sind auch wieder dabei. Für Andalusien allgemein muss die Junta nicht werben, der Landesminister für Justiz und lokale Verwaltung, José Antonio Nieto, erklärt, dass Kultur, Gastronomie, Landschaften, Geschichte und „unsere Menschen“ allseits bekannt und beliebt seien. Doch Nordeuropäer, und um diese geht es dem Minister mit dem Projekt, zieht es nun eben fast ausschließlich zu Meer und Strand, wie die Motten zum Licht, was er freilich so nicht sagte. Dort aber steigen die Preise und sinkt der Trinkwasserspiegel, sind Strände und Straßen überfüllt, steigert die Gentrifizierung soziale Spannungen mitunter ans Limit, liegt die Hässlichkeit durch Bauwahn oft schon darüber.

Landkreise und Gebiete in Andalusien, in der die Landesregierung gezielt für Einwanderung werben will:

U45 – Europäer – arbeitsam: Andalusien will nur „Premium“-Einwanderer

Während das Hinterland Andalusiens immer leerer wird: „Das Bedauerliche ist, dass selbst Provinzhauptstädte wie Jaén, Córdoba, Granada und Cádiz Bevölkerung verlieren“, lamentiert der Minister. Dass das bei beiden Letztgenannten an exorbitanten Mietsteigerungen durch die Flut von Ferienwohnungen liegen könnte, die seine Landesregierung unreguliert gestattet oder an miserablen Löhnen seiner „señoritos“, reflektierte er nicht. Er wolle vor allem Menschen, die arbeiten, nach Andalusien holen. Also schon Arbeit haben und sie mitbringen, keine Latinos und „Moros“, die die Besetzunglisten der Mindestlohnanbieter auffüllen, denn die kommen von ganz allein und über die spricht man nicht so gern.

Ein typisches Haus der Alpujarra Alta in Granada mit einer Wolldecke vor der Tür.
Wenn das Metallgerüst auf dem Dach und die Laterne an der Hausecke nicht wäre, wüsste man in dieser Gasse in Fondales nicht, in welchem Jahrhundert man sich befindet. © José Antonio Nieto

Nun hantierte der Minister mit Schlagworten, die ihm wohl ein Praktikant notiert hatte, die sonst meist noch Böhmische Dörfer sind: Generation Z, digitale Nomaden, Menschen im Home Office. Für die warb Granada schon nach Ende der Corona-Pandemie, mit Teilerfolg. Minister Nieto möchte, „die Fehler der Vergangenheit“ vermeiden, die „reifere Menschen um die 45 und älter“ angezogen hätten. Nun soll es „eine jüngere Zielgruppe sein“, die aber, und das sei der Knackpunkt, „funktionierende Dienstleistungen und ein arbeitsfreundliches Umfeld“ brauche, um sich in Dörfern und Kleinstädten anzusiedeln, die teils so weit vom Schuss sind, dass sich Hund und Katze dort „Gute Nacht“ sagen würden, fände sich nur auch in jedem Dorf je ein Exemplar.

Die Landesregierung starte hiermit einen „Aufruf an ganz Europa: Kommt nach Andalusien!“ Denn wenn, so rechnet Minister Nieto forsch vor, „nur 0,1 Prozent der 470 Millionen EU-Bürger dem Ruf folgen, wären das fast eine halbe Million neue Bürger für Andalusien“. Das sei auch angemessen, denn, so belegt der Minister, lustig mit Äpfel, Birnen und Oliven jonglierend: „Andalusiens Fläche entspricht 95 Prozent der Fläche Portugals, hat aber nur 82 Prozent der dortigen Bevölkerungszahl“.

Leben im Hinterland Spaniens, speziell in Andalusien, hat eine ganze Reihe Vorteile:

Geld und konkrete Projekte für die als notwendig bezeichnete Infrastruktur hatte Nieto nicht im Gepäck. Die Gemeinden bleiben weitgehend auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, EU-Gelder an Land zu ziehen, Investoren anzulocken, sich bei Bahn und Busgesellschaften um Anschlüsse zu mühen, der Landesregierung Planstellen für Lehrer abzubetteln oder Erneuerbare Energien, einen Brunnen oder eine Aufbereitungsanlage zu installieren oder wenigstens zu verhindern, dass auch der letzte Geldautomat abgeschaltet wird und die letzte Tante Emma schließt. Besonders dramatisch sieht es mit der Gesundheitsversorgung aus. Andalusiens Landesregierung konzentriert sich lieber darauf, den privaten Anbietern Steuergelder zuzuschanzen als die Versorgung im ganzen Land zu sichern.

Webseiten mit Infos zu Anreizen für das Auswandern nach Spanien

Nicht einmal einen kostenlosen Spanischkurs rückt die Landesregierung raus, auch das müssen die Kommunen selbst stemmen. In eines der staatliche Förderprogramme (mit EU-Geldern) zu kommen, auch dabei wird Sevilla kaum helfen, so lange in Madrid „die Kommunisten“ an der Macht sind. Dafür soll aber das Webportal der Landesregierung „im nächsten Jahr oder bis 2025“ stehen, für fast 600.000 Euro. Auf dem sollen dann nicht nur alle Orte und die notwendigen Infos über vorhandene Einrichtungen und Dienste verzeichnet, sondern auch eine Wohnungs- und Jobsuche integriert und lokale Anreize der jeweiligen Rathäuser in Spanien für Einwanderer (hier für Valencia) aufgeführt sein, sei es ein garantierter Kindergartenplatz oder eine kostenfreie Wohnung für die Bäckerfamilie, die den örtlichen Ofen wieder anschmeißt oder kostenloses High-Speed-Internet für die Generation Z, die sicher mit voller Freude in Dörfer zieht, in denen, wenn auch im schönsten Sinne des Wortes, nichts los ist. Aber dieses „Nichts“ ist eben ein andalusisches.

Es gibt auch spanische Regionen und Orte, die Anreize für neue Bürger bieten (Übersicht bei 20minutos), z.b. Nachlass bei der Grundsteuer IBI beim Hauskauf, Mietzuschüsse, Prämien für im Dorf geborene Kinder usw., einzig Andalusien fehlt auf der Liste. Weiter ist da bereits eine Webseite, „Komm, leb auf einem Dorf“, auf der Immobilienfirmen, Unternehmer und Dörfer in Form von Listen und interaktiven Karten praktische Kurztipps zu Dörfern im „leeren Spanien“ geben, fein sortiert nach Region, hier ist Andalusien (vor allem Provinz Málaga bereits mit 47 Einträgen vertreten, auch ohne Landesregierung.

Nicht minder reizende italienische Dörfer haben die Welt verstanden, sie loben mitunter vierstellige Bar-Prämien aus, für Menschen, die ein Haus in einem leeren Dorf kaufen oder über mehrere Jahre mieten. Ähnliche incentives gibt es in Frankreich und Griechenland, einschließlich Steuerbefreiung für Kleinunternehmen und Selbständige. In Andalusien gibt es hingegen bald eine Webseite, für die irgendeine Agentur 600.000 Euro einstreicht. Agent Thürriegel, der vor 250 Jahren tausende Einwanderer-Familien in die Sierra Morena lockte, beendete seine Karriere übrigens in einem spanischen Gefängnis. Wegen Betrugs.

Zum Thema: Deutsche Auswanderer in Spanien - Blondinen in der Sierra Morena

Auch interessant

Kommentare