1. Costa Nachrichten
  2. Spanien
  3. Land und Leute

Eine eigene Welt in Spanien: Die baskische Mythologie - Von Riesen, Zwergen und dem Weihnachtsmann

Erstellt:

Von: Judith Finsterbusch

Kommentare

Häuser stehen neben einem Fluss
Elizondo in Navarra: Hier hat Erfolgsautorin Redondo ihre Baztan-Trilogie angesiedelt, in der auch Wesen aus der baskischen Mythologie vorkommen. © Judith Finsterbusch

Die Basken sind ein besonderes Volk hoch im Norden von Spanien. Sie haben nicht nur ihre ganz eigene und einzigartige Sprache, sondern auch ihre eigenen Mythen und Legenden. Ein Ausflug in die baskische Mythologie und zu den Menschen, die sie bis heute bewegt.

Vitoria - Galtzagorris sind winzige Zwerge, die immer in kleinen Gruppen auftreten. Galtza ist Baskisch für Hose, Gorri heißt rot. Winzige, rote Hosen tragende Zwerge also. Der Mensch kann sie einfangen und ihnen in einer kleinen Dose ein vorübergehendes Zuhause geben. Lässt er sie daraus wieder frei, werden die Galtzagorris um den Kopf ihres neuen Besitzers herumschwirren und ihm einflüstern, was er in schwierigen Situationen zu tun hat. Es sind gute Zwerge, immer darauf bedacht, zu helfen.

Baskische Mythologie einzigartig in Spanien - Gute Zwerge und ein Weihnachtsmann

Die Galtzagorris sind wohl die kleinsten Wesen der baskischen Mythologie. „Das Spektrum reicht von diesen winzigen Figuren bis hin zu Riesen und Drachen mit einem, drei, fünf oder sieben Köpfen, den Herensuge“, erklärt Aritza Bergara. Der baskische Musiker und Autor beschäftigt sich seit Jahren mit der Mythologie seiner Heimat im Norden von Spanien, er hat eine ganze Serie von Kinderbüchern herausgegeben, in denen er die wichtigsten Legenden erzählt und die bekanntesten Persönlichkeiten vorstellt. „Die baskische Mythologie ist eine faszinierende Welt. Und das Schöne an ihr ist, dass sie nicht in sich abgeschlossen ist. Sie gibt jedem, der sich mit ihr beschäftigt, den Freiraum für eigene Interpretationen“, sagt Bergara.

Da wäre etwa der „baskische Weihnachtsmann“, der Olentzero, der den Kindern im Baskenland und Teilen Navarras die Geschenke bringt, wenn anderswo in Spanien Santa Claus oder die Reyes Magos schwer beladen von Haus zu Haus ziehen. Die Geschichten hinter dieser baskischen Figur haben sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer weiter entwickelt: „Heute ist der Olentzero in seiner modernen Variante vielmals einfach ein Weihnachtsmann, der statt roter Zipfelmütze eine txapela, die typische Baskenmütze trägt“, sagt Bergara. Auch eine Partnerin wurde dem Olentzero angedichtet, Mari Domingui.

Legenden von Riesen, die Dolmen bauten - Baskische Mythologie und das Christentum

Dabei war der „originale“ Olentzero wohl einfach ein schmutziger Köhler in verschlissener Kleidung, der in den Bergen wohnte und Geschenke mitbrachte, wenn er in die Dörfer herunterstapfte, um zu essen und zu schlafen. „In einigen Gegenden war gar nicht so recht definiert, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, es war viel mehr ein geschlechtsloses, gar nicht unbedingt physisches Wesen als Symbol für eine Zeit, in der Gutes passiert“, sagt Bergara. In den letzten Jahren hat sich sogar eine Version durchgesetzt, bei der die Galtzagorris mit ihren roten Hosen dem Olentzero helfen, die Geschenke zu verteilen.

Illustration einer Greisin mit tanzenden Zwergen
Die baskische Mythologie ist voll von faszinierenden Wesen. © Raquel Alzate

Neben der Legende vom Köhler gibt es noch eine weitere zum baskischen „Weihnachtsmann“, die die historische Ausbreitung des Christentums im Baskenland aufgreift. Sie führt zu den Jentiles, vor Kraft strotzenden Riesen, die in den Bergen im Baskenland hausten und so stark waren, dass sie die vielen Dolmen oben in den Pyrenäen errichtet haben sollen. Eines Tages, so erzählt Bergara, spielte eine Gruppe junger Jentiles in der Sierra de Aralar, als sie plötzlich ein helles Licht am Himmel sahen. Die jungen Riesen erschraken und versammelten andere Jentiles in der Sierra, doch niemand hatte eine Erklärung für das Phänomen parat. So begab man sich auf die Suche nach einem uralten, weisen Jentil, der seine Höhle schon seit Jahren nicht mehr verlassen hatte.
„Als der weise Jentil das Licht am Himmel sah, rief er: ,Kismi ist gekommen‘“, erzählt Bergara weiter.

Eine eigene Sprache und eine eigene Mythologie - Die Basken sind einzigartig

Kismi bedeutete in der Sprache der Jentiles „Affe“, und damit meinten die Riesen wohl, dass Jesus Christus geboren sei. Der alte Jentil erklärte daraufhin, die Zeit der Riesen sei nun beendet und die von Jesus angebrochen, und stürzte sich von einer Klippe. Alle anderen Riesen versteckten sich unter den Dolmen und verschwanden in der Erde. „Alle, bis auf einer. Dieser ging hinunter in die Dörfer und erzählte den Menschen von der Ankunft Kismis, Jesus Christus“, sagt Bergara. Die baskische Version der Weihnachtsgeschichte war geboren, man hatte eine Figur, die die frohe Kunde verbreitete, und eine Legende, die bis heute erzählt wird. Etwa 1.000 Jahre ist es her, dass sich das Christentum im Baskenland verbreitete und den Glauben an die alte Mythologie schrittweise ablöste, vergleichsweise spät also. Doch die Basken waren ja schon immer eigen.

Mehr aus dem Baskenland: Die Küche der Basken - Spießrutenlauf mit Gilda

Sie haben mit dem Euskera eine Sprache, von der niemand so recht weiß, woher sie eigentlich kommt, und die mit keiner anderen Sprache verwandt ist. Und sie haben eben ihre eigene, uralte Mythologie. Geschichten und Legenden werden zwar überall erzählt, doch nirgendwo so, wie im Baskenland, und kaum irgendwo anders dürften sie bis heute so lebendig sein wie in Euskal Herria. Eben weil die Basken recht spät das Christentum für sich entdeckten, aber auch, weil die baskische Mythologie stets nah am Volk war.

Stets nah am Volk: Baskische Mythologie begleitete die Menschen

Während die Griechen ihren Zeus auf den Olymp verbannten und die Römer Jupiter gar in den Himmel, sind die Protagonisten der baskischen Mythologie da, wo eben auch die Basken sind: In den Wäldern und Seen, auf Bergen und in Höhlen. Der Basajaun zum Beispiel, der Herr der Wälder, den die Schriftstellerin Dolores Redondo zum Auftakt ihrer Bestseller-Trilogie aus dem Baztan-Tal in Navarra einem breiten Publikum des 21. Jahrhunderts vorstellte. Er ist in den Wäldern des Baskenlandes anzutreffen, trägt dichtes Fell, und zum Naserümpfen der Basken wird er auch als baskischer Yeti bezeichnet.

Ein Weg führt durch einen Wald, durch die Bäume scheint die Sonne hindurch.
Die Geschichten aus der baskischen Mythologie spielen sich dort ab, wo die Menschen sind: In den Wäldern, auf Bergen, in Bächen und Flüssen. © Judith Finsterbusch

„Der Basajaun hat eine sehr enge Verbindung zu den Schäfern. Er zeigt sich, um vor drohenden Unwettern zu warnen oder um Wölfe zu verscheuchen, die der Herde zu nahe kommen. Die Hirten danken es ihm mit Brot, Milch oder was sie sonst erübrigen können“, sagt Bergara. Natürlich haben die Basken auch einen einäugigen Riesen, den Tartalo, und so etwas wie Nymphen, Lamiar genannt, es gibt Hexen, die Sorginak – und über allem steht die Göttin Mari.

Über allem eine Frau - Baskische Mythologie mit Matriarchin Mari

„Eine Besonderheit der baskischen Mythologie ist, dass alle Wesen einer Matriarchin unterstehen“, sagt Bergara. Wer einen Basken fragt, wo die Göttin Mari, die vermutlich ursprünglich mal eine Fruchtbarkeitsgöttin war, anzutreffen ist, bekommt als Antwort den Berg Anboto. Hier lebte Mari sieben Jahre lang, bevor sie weiterzog zum nächsten Berggipfel, auf einem Karren, der von Widdern gezogen wurde und umhüllt von einem Feuerballen, sodass die Basken den Umzug gut von der Erde aus beobachten konnten. Von Mari hängt alles ab, Glück und Unglück, Leben und Tod, eine gute oder eine schlechte Ernte.

Urlaubstipp für den Herbst: Reise nach San Sebastián und zum Jakobsweg im Baskenland

„Die Geschichten aus der baskischen Mythologie wurden bei der mündlichen Weitergabe ausgeschmückt, es wurde hinzugefügt und weggelassen, von Region zu Region entwickelten sich eigene Versionen. Doch wenn man all die Verzierungen wegkratzt, kommt man immer wieder zur eigentlichen Essenz zurück“, sagt Bergara. Eine Essenz, die wie alle Mythologien und auch Religionen stets versuchen, Antworten zu geben auf die Fragen, die die Menschen seit jeher beschäftigen: Warum gibt es uns? Warum sind wir hier? Wie können wir Dinge erklären, für die wir keine logische Erklärung haben? „Es ist eine Art und Weise, die Welt zu verstehen. Heute leben wir längst in einer anderen Zeit, natürlich. Aber viele Elemente aus diesen Geschichten sind bis heute thematisch aktuell“, sagt Autor Bergara.

Geschichten lebendig halten - Autor vermittelt Kindern baskische Mythologie

Auch deshalb versucht er, Kinder, Jugendliche und Erwachsene für die uralten Legenden zu begeistern. Manche werden sich seit Jahrzehnten, andere seit Jahrhunderten, ein paar sogar seit über 1.000 Jahren erzählt. Mit seinen Büchern hat Bergara es geschafft, den wichtigsten Legenden und Wesen aus der baskischen Mythologie ein neues, aktuelles Gewand zu verpassen, mit vielen Illustrationen und Zeichnungen. Und er hat sich mit einer Gruppe aus Navarra zusammengetan, die die mythischen Wesen aus Schaumgummi nachbaut und mit ihnen bei Volksfesten auftritt. Daraus sind Videos entstanden, die heute in baskischen Schulen gezeigt werden.

Bergara geht es darum, der nächsten Generation ein Stück dieser fantastischen Welt zu zeigen. „Wir haben eine ganz eigene Kultur. Dabei ist unsere Sprache vielleicht das wichtigste Element. Aber es gibt auch die alten Tänze, die Instrumente, die Musik – und die Mythologie“, so Bergara. Für Erwachsene schreibt er gerade am dritten Teil einer Thriller-Trilogie, in der die Jentiles, jene Riesen, eine wichtige Rolle spielen. Seine Kollegin Dolores Redondo hat es schon geschafft, Menschen für all diese seltsamen Wesen zu begeistern. Ihre Bücher wurden in 38 Sprachen übersetzt, die Baztan-Trilogie in deutsch-spanischer Zusammenarbeit verfilmt. Elizondo, das Dorf in Navarra, in dem die Geschichten spielen, erfreut sich eines touristischen Booms, es gibt Führungen zu den Romanschauplätzen, 2021 wurde der Werbespot zur Weihnachtslotterie, dem weltberühmten Gordo, hier gedreht.

Ein Treppengeländer verläuft an einem Fußweg durch eine Höhlenlandschaft.
Ausflugstipp in die baskische Mythologie mit Hexengeschichten aus den Höhlen von Zagarramurdi. © Judith Finsterbusch

Mythologie zum Anfassen - Tipps für Reisen ins Baskenland

Vollkommen verdient: Hier oben, in den Pyrenäen, hinter den dicken Mauern der Steinhäuser, lebt ein Volk, das es sich lohnt, kennenzulernen. Mit seiner atemberaubenden Landschaft, seiner komplizierten Sprache, bei der die Buchstaben wahllos aneinandergereiht zu sein scheinen, und seiner so einzigartigen Kultur. Und wer einmal durch ein baskisches Dorf geschlendert, die Sierra de Aralar hinaufgestapft oder im Nebel durch den Irati-Wald spaziert ist, dem mag es gar nicht mehr so unwahrscheinlich vorkommen, dass plötzlich eine Gruppe von Zwergen mit roten Hosen hinter einem Baum auftauchen könnte.

Auch interessant

Kommentare