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Musliminnen an der Costa Blanca: Der Islam zwischen Serrano und Sangria

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Von: Luna Hakim

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Auf einer Promenade am Meer laufen Frauen mit Kopfbedeckung.
An der Costa Blanca fallen verhüllte Musliminnen vor allem im Sommer aus der Reihe. © David Revenga

Drei muslimische Powerfrauen von Spaniens Mittelmeerküste stellen sich vor. Der Islam im Spannungsfeld gesellschaftlicher Normen und persönlicher Überzeugung - einmal ganz aus weiblicher Sicht. Zum Weltkopftuchtag am 1. Februar, mit Kommentar.

Wenn der Duft des frischen Serranoschinkens die Küche eingenommen hat, der Chorizo das Frühstücksbuffet besetzt und der Abend mit einem Glas Sangria ausgeklungen wird, dann fühlt sich der Spanier zu Hause. Köstlichkeiten wie diese, aber auch die vielen FKK-Strände, etwa an der Costa Blanca, sind Attraktionen, die jährlich Unmengen an Touristen nach Spanien locken. Und dann gibt es da diese weitere Attraktion, die gar nicht als solche angesehen werden möchte: Die verhüllte Muslimin.

Zum Hingucker wird die Bekennerin des Islam vor allem, wenn sie an einem warmen Sommertag neben ihrem T-Shirt tragenden Mann die Promenade entlangläuft. Aus beobachtenden Blicken der halbnackten Badegäste am Strand werden schnell urteilende, etwa wenn die Frage aufkommt: „Wie hält sie das aus, unter dem vielen Stoff? Werden Frauen, die sich so kleiden, unterdrückt?“ Das wollen wir zum Welttag des Hijab - des muslimischen Kopftuchs - am 1. Februar herausfinden und sprechen mit gläubigen Musliminnen von der Costa Blanca.

Musliminnen an Spaniens Küste: Passion für die Religion

Trotz der Blicke, die sie für ihr Kopftuch kassiert, liebt María Eugenia Bermúdez ihre Religion. Im Alter von 32 Jahren trat die gebürtige Christin dem Islam bei und lebt seither jede Sekunde als Muslimin aus: „Der Islam hat mir etwas gegeben, was mir das Christentum nie geben konnte: Er hat meine spirituelle Leere gefüllt.“ Es war für die 62-Jährige genau das, was sie ewig gesucht und gebraucht hat. Zum Islam kam die Spanierin durch ihren tunesischen Ehemann. Als sie ihn kennenlernte, praktizierte er den Glauben jedoch kaum, weswegen sie gemeinsam anfingen, die Religion immer ernster zu nehmen – und Al-Taufik gründeten, eine in der Stadt geschätzte Suppenküche für die Armen.  

Auf die Frage, was ihr am Islam besonders gefällt, kommt - wie aus der Pistole geschossen - ein einfaches „alles“. Dann erklärt die Spanierin: „Der Koran gibt dir zu jeder Frage eine Antwort, ganz egal wie komplex oder einzigartig die Frage auch sein mag.“ Das 1.400 Jahre alte heilige Buch der Musliminnen und Muslime sei „aktueller denn je, denn er ist weiterhin auf jede politische Krise, jede Neuerfindung und jedes moderne Problem anwendbar“, sagt die Spanierin begeistert. Die Konvertitin schätze außerdem besonders am in Spanien seit vielen Jahrhunderten verwurzelten Islam, dass an jeden und alles gedacht sei: „Egal ob Tier, Natur, oder Mensch, der Koran sagt uns, wir sollen Respekt vor allen Lebewesen und der Natur zollen.“

Nächstenliebe zum Beruf - „Ich werde weiterhin respektiert“

Respekt, genauso wie Nächstenliebe, war María Eugenia Bermúdez und ihrem Ehemann schon immer wichtig. So wichtig, dass sie sich im Jahr 2009 dazu entschieden, die muslimische Tafel zu eröffnen. „Die Idee kam, als meine Mutter eine alleinstehende Wohnung hatte und ich die Gelegenheit ausgenutzt habe, um einige Obdachlose dort aufzunehmen und Ihnen Mahlzeiten sowie eine Obhut zu geben.“ Irgendwann kamen bei den Essenszeiten mehr Menschen als dort geschlafen haben und so entsprang ihr die Idee, in Elche das Al-Taufik zu eröffnen, das nun täglich 200 hungrige Mägen füllt. „Manchmal kamen sogar bis zu 550 Menschen am Tag“, verrät die Mutter eines 40-jährigen Sohnes und einer 38-jährigen Tochter.

„Als Muslim ist es deine Pflicht, die Hilfe an Bedürftige anzubieten, die dir zur Verfügung steht – egal ob Zeit oder Geld“, verrät sie, während im Hintergrund Helfer bereits die erste Mahlzeit für die heutigen Besucher zubereiten. María Eugenia Bermúdez ist offensichtlich Muslimin, denn sie trägt ein Hijab – das islamische Kopftuch. Trotzdem fühlt sie sich wohl, ihre Religion im lockeren Spanien auszuleben: „Ich werde weiterhin respektiert und gemocht. Es hat sich kaum was geändert seit meiner Konvertierung. Auch neue Menschen begegnen mir mit Interesse“, berichtet die gebürtige Sevillanerin und fügt hinzu: „Mir gefällt es, wenn mir Fragen bezüglich des Islams gestellt werden. Das zeigt mir, dass die Menschen interessiert sind, mehr darüber zu erfahren.“

Eine Frau mit Kopftuch und Maske kocht auf einer riesigen Reispfanne.
Musliminnen an Costa Blanca: María Eugenia Bermúdez betreibt eine islamische Tafel für Arme. © Luna Hakim

Kopftuch = Araberin? Ein neues Bild vom Islam

Generell spüre sie mehr Bewusstsein und Akzeptanz gegenüber des Islam: „Das erkennt man unter anderem an den Krankenschwestern, die Kopftücher tragen.“ Von Vorurteilen bleibe sie trotzdem nicht verschont. „Zum einen denken die meisten, ich sei arabisch, nur weil ich ein Kopftuch trage. Zum anderen kamen mit Beginn des Kopftuch-Tragens die Probleme in meiner Familie“, so María Eugenia Bermúdez. Lediglich ihre Mutter wurde neugierig gegenüber der Religion. Durch die Tochter stieg ihr Interesse immer mehr, sodass sie sich mit 70 Jahren tatsächlich noch dazu entschied, ebenso dem Islam beizutreten.

Doch nicht nur ihrer Mutter konnte sie den Islam näherbringen, „auch einige regelmäßige Besucher unserer Tafel sind dem Islam beigetreten, nachdem sie durch meinen Ehemann und mich ein ganz neues Bild des Islams und einen tieferen Einblick in die Religion bekommen haben.“

María Eugenia Bermúdez wünscht sich noch mehr Offenheit gegenüber dem Islam in der spanischen Gesellschaft und erzählt von ihrer nicht leiblichen Tochter, die aufgrund ihres Kopftuchs viele Probleme hinsichtlich der Jobsuche hatte. „Die Leute dachten wohl, ihr Gehirn sei durch das Hijab verbrannt“, vermutet die 62-Jährige. Die zum Islam übergetretene Spanierin wünscht sich, dass Menschen die Person kennenlernen, und nicht nur auf die Religion schauen. Ihrer Meinung nach sollte es ein Unterrichtsfach an den Schulen geben, das über den Islam aufklärt und Schritt für Schritt die Vorurteile verschwinden lässt.

„Im Islam geht es um weitaus mehr als um Haram und Halal.“ 

Hanan El Ayadi, muslimische Aktivistin

Aktivistin von Costa Blanca: Verletzungen in Schule und Supermarkt

Eine dieser Muslimminen, die sich gegen die Vorurteile gegenüber dem Islam einsetzen, ist die 23 Jahre alte Hanan El Ayadi Benabdellah. Die in Spanien geborene Aktivistin mit marokkanischen Wurzeln möchte ihre Rolle als islamische Frau ausnutzen, um die Gesellschaft aufklären. Der Verein G-Chime, in dem El Ayadi an der Costa Blanca als Kommunikationsbeauftragte arbeitet, tritt für ein positives Bild des Islam – und auch des Kopftuchs – ein. „Wir wollen den Menschen zeigen, dass wir lediglich wegen unseres Musliminnen-Daseins oft in der Öffentlichkeit leiden müssen. “

„Wir sollten ihnen klarmachen, welche Wirkung ihre rassistischen Kommentare auf uns haben, die ja nicht mal einen Zweck besitzen“, betont die Botschafterin der internationalen Organisation des Welt Hijab Tag für Spanien. „Vor allem wir Frauen, die Kopftücher tragen, sind jeden Tag verletzenden Bemerkungen und Verhaltensweisen ausgesetzt – egal ob im Restaurant, in der Schule oder im Supermarkt“, klärt die Kopftuchträgerin auf. Al Ayadi und ihre Kolleginnen sehen es als ihre Aufgabe an, „muslimische Frauen aus verschiedenen spanischen Städten zusammenzubringen, um uns gegenseitig zu motivieren, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und zu zeigen, dass wir nicht alleine sind.“

Powerfrau mit Kopftuch: Mit Humor zurückschlagen

Die sich als emanzipiert bezeichnende Aktivistin möchte zeigen, dass keines dieser Vorurteile gegenüber Musliminnen stimmt und dass es einfach nur an Aufklärung bedarf: „Viele denken, Frauen seien im Islam schwächer als Männer. Dass sie nur existieren, um Kinder auf die Welt zu setzen, den Haushalt zu schmeißen und den Mann zu bekochen.“ Doch was viele nicht wüssten: am Anfang der islamischen Geschichte war „die Frau unseres Propheten Mohameds seine rechte Hand und hatte dieselbe Wichtigkeit wie er!“

Nun argumentiert Hanan El Ayadi leidenschaftlich: „Würden alle dem folgen, was im Koran steht, würden wir nie die Rolle der Frau hinterfragen, denn es steht: Du sollst die Frau gut behandeln. Solltest du das nicht tun, kann das nach dem Tod ein Grund für dich sein, keinen Eintritt zum Paradies zu bekommen“.

Mit ihren 23 Jahren ist die Aktivistin und Kommunikationsbeauftragte, sowie Studentin der Sozialarbeit an die vielen überraschten Blicke bereits gewohnt. Etwa, wenn sie als muslimische und kopftuchtragende Frau von ihren gesellschaftlichen Engagement und ihrem Studium erzählt. Auch in der Universität wurde sie bereits mehrfach mit Stereotypen konfrontiert: „Einige meiner Dozenten sprechen absichtlich meinen arabischen Nachnamen falsch aus, einfach aus rassistischen Intentionen.“ Ihre Waffe gegen Rassismus: Humor. „In solchen Situationen sollte man sich nicht angreifen lassen, sondern dagegen zu stehen und mit Witzen zurückschießen“, äußert sie.

Vom Islam lernen: Dankbarkeit für kleine Dinge

Doch wie fühlt sie sich in einem Land, wo Muslime zur Minderheit gehören und die Muslimin sich tagtäglich für ihre Religion rechtfertigen muss? „Ich fühle mich halb fremd, halb daheim“, antwortet die geborene Spanierin. Das liege besonders daran, dass sie keiner als Einheimische sehe. Sie glaubt, wie Bermúdez, dass es an ihrem Kopftuch liege: „Sobald du dich mit einem Hijab bedeckst, ist das ein Beweis für andere, dass du keine Spanierin bist“, klagt El Ayadi. Mit 21 Jahren hat sie angefangen, ein Kopftuch zu tragen. Aus freiem Willen, betont sie, „und nicht, weil meine Eltern mich dazu beeinflusst haben!“

Und obwohl sie so viele Vorurteile im Alltag begegnet und selbst ihre Freunde dachten, sie dürfte aufgrund ihres Kopftuchs nicht mehr ausgehen, würde sie niemals ihre Religion wechseln. Im Gegenteil: „Ich versuche mich Tag für Tag immer mehr mit dem Islam auseinanderzusetzen, schaue mir Videos darüber an, lese den Koran oder bete.“

Eine Frau mit Brille und Kopftuch spricht in einer Bibliothek.
Musliminnen an Costa Blanca: „Ich fühle mich halb fremd, halb daheim“, bekennt Aktivistin Hanan El Ayadi. © G-CHIME

Was Hanan El Ayadi so sehr am Islam gefalle? „Es hilft mir enorm, das Leben und die kleinen Dinge wertzuschätzen.“ Gerade das Fasten oder das Gebot der Armenhilfe machen sie bewusster für die Probleme auf der Welt und dadurch noch dankbarer für das, was sie hat: „Für Wasser, Essen, ein Dach über dem Kopf und Kleidung, was für viele auf der Welt nicht selbstverständlich ist.“ Auf ihrem Instagram-Account gibt sie ihren über 2.000 Followern Einblicke in ihr Leben als Muslimin und möchte ihnen eine friedvollere Ansicht der Weltreligion näherbringen: „Im Islam geht es um weitaus mehr als um Haram und Halal.“

Zur Aufklärung: Diese beiden Begriffe haben nicht nur mit der Küche zu tun, sondern bezeichnen, welche Tätigkeiten im Islam als Sünde gelten (haram), und was hingegen erlaubt ist oder gar gerne gesehen wird (halal). Doch laut der Spanierin mit marokkanischen Wurzeln sei jene moralische Unterscheidung eben nicht das Wichtigste in der Religion: „Es geht ebenso um die Liebe zu Gott und den Respekt gegenüber deinen Mitmenschen.“

In erster Linie Mensch: Die fünf Säulen des Islam

Die 39-jährige Viktoria Rinmah sieht das genauso. Wenn es nur um Verbote und Gebote im Islam ginge, wäre die an der Costa Blanca lebende Französin nie zum Islam konvertiert. Was unsere nächste Gesprächsparnterin von unseren weiteren Musliminnen unterscheidet, ist offensichtlich: Sie trägt kein Tuch auf dem Kopf. Nicht jedoch, weil sie eine Kritikerin der nach außen getragenen Religiosität wäre. Aber: „Ich will, dass man mich als Mensch sieht, nicht die Religion dahinter.“ Vor neun Jahren ist Rinmah dem Islam beigetreten und lebt ihn seitdem unter anderem, indem sie seine fünf Säulen erfüllt.        

Die fünf Säulen des Islams – das Gebet, die soziale Pflichtabgabe, die Pilgerfahrt nach Mekka, die Glaubensbekenntnis und das Fasten – die Richtlinien und eigentlich wichtigsten Regeln für einen Muslim oder eine Muslimin. Aber Moment, wo ist hier das Alkohol- und Schweinefleischverbot, das Kopftuch und die Gehorsamkeit der Frau gegenüber dem Mann / des Vaters versteckt? Anders als die weit verbreitete Ansicht steht auch laut Viktoria Rinmah der Islam nicht auf solchen strengen Verboten und Geboten. Das Schöne und Menschliche stehe für sie im Vordergrund. Und als Beispiel nennt auch sie den Ramadan.

Exkurs zum Weltkopftuchtag: Kritik an verkürzter Sicht auf Hijab in Spanien

sw. Seit 2013 wird am 1. Februar der „World Hijab Day“ als internationaler Tag des islamischen Kopftuchs begangen – und zugleich kritisiert. In Spanien verteidigt ihn etwa das linke Podemos-Spektrum im Sinne der Toleranz und Vielfalt. Eine neue Ikone der Bewegung ist die muslimische Politikerin, Kopftuchträgerin und Vox-Rivalin Fátima Hamed Hossain aus Ceuta. Doch hat Spanien auch eine Frauenriege, die den Aktionstag energisch bekämpft. Eine Wortführerin ist hier seit Jahren die spanischstämmige Juristin Wassyla Tamzali aus Algerien. Für sie ist es „inkompatibel, Feministin zu sein, und Kopftuch zu tragen.“

Ferner tut sich die aus Marokko stammende, in Spanien lebende Hakima Abdoun als leidenschaftliche Befürworterin eines kritischen Feminismus unter Nordafrikanerinnen in Spanien hervor. Laut Abdoun ist es eine „Modeerscheinung“, in westlichen Medien vorwiegend Frauen zu porträtieren, die aus freien Stücken das Kopftuch trügen. Dadurch werde jedoch das wahre Bild „verzerrt“ und „Millionen von Frauen und Mädchen auf der Welt“, die oft unter Lebensgefahr zum Kopftuchtragen gezwungen würden, im Stich gelassen. Schwere Kritik übt die Gründerin der Vereinigung Neswía an der Verharmlosung der islamischen Kleidung – ob in der Modebranche oder unter linken Parteien.

Statt Vielfalt („diversidad“) zu verkünden, „sollten sie sich in erster Linie um Freiheit kümmern.“ Betroffene Frauen seien eingeklemmt zwischen dem „linken Europa und rechten Islam“, mahnt das Kollektiv Neswía.

Regeln ja, aber mit Hintergrund - Bewusstsein für Arme

Der Ramadan ist der heilige Monat der Musliminnen und Muslime (in diesem Jahr vom 2. April bis zum 2. Mai). Dreißig Tage lang ist es von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang verboten zu essen, zu trinken, zu rauchen und Geschlechtsverkehr zu haben. Auch soll man keine Schimpfwörter verwenden und besonders viel Nächstenliebe zeigen. Also doch Regeln und Verbote? Nicht ganz. Denn einerseits soll das Fasten die Gläubigen zur Liebe und Gottesnähe zurückbesinnen. Andererseits soll den Menschen durch das Ess- und Trinkverbot ein Gefühl dafür geben werden, wie es armen Menschen geht, die keinen Zugang zu Nahrung oder Wasser haben.

Und nach Sonnenuntergang wird sich der Bauch vollgeschlagen? Das vermuten über den Islam viele Laien. Die Wirklichkeit, das erklären unsere Gesprächspartnerinnen im Einklang, falle schon allein wegen des Leistungsvermögens des Magens nicht ganz so wild wie man glauben könnte aus.  Die materielle Nächstenliebe gegenüber seinen Mitmenschen deckt dagegen die Säule der sozialen Pflichtabgabe ab. „Bei der jährlichen Pflichtabgabe werden 2.5 Prozent seines Geldes, was man innerhalb eines Jahres nicht berührt hat, an arme Menschen gespendet“, erklärt Viktoria Rinmah.

Säulen des Islam: Reise beginnt mit Glaubensbekenntnis

Eine weitere Säule ist das Glaubensbekenntnis – auch genannt die „Schahāda“, die Viktoria Rinmah vor neun Jahren in einer Moschee in Marrokko absolviert hat. Hierbei wurde sie vom Imam, etwa mit einem Pfarrer zu vergleichen, aufgefordert, ihm einen Teil des Gebets nachzusagen:„aschhadu an la ilaha illa llah wa-(a)schhadu anna muhammadan rasul allah“, was auf Deutsch so viel bedeutet wie „ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Gott selbst gibt und ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist.“ Damit war die Französin zu einer Muslimin geworden.

Die Reise im Islam beginnt mit der Glaubensbekenntnis und führt zur fünften Säule – die Pilgerfahrt, die viele Muslime erst im hohen Alter bestreiten. Einmal im Leben sollten gläubige Frauen und Männer, wenn möglich, eine Reise in die Millionenstadt Mekka in Saudi-Arabien antreten. Bei der wichtigsten Reise eines Muslims oder einer Muslimin treffen sich bis zu drei Millionen Gleichgesinnte, um siebenmal die Kaaba, ein wichtiges Heiligtum des Islams, zu umrunden. Rinmah durfte die Pilgerfahrt bereits wenige Monate nach ihrer Konvertierung erleben. Der Grund klingt nach einem Märchen aus 1001 Nacht: Ein arabischer Prinz.

Praktisches Wissen: Pilgerfahrt voller Inputs

 „Während meiner Konvertierung in Marokko war in der Moschee ein Prinz, der bei der Zeremonie zugehört hat. Nach meiner Schahāda kam er zu mir und schenkte mir und meinem damaligen Ehemann eine Pilgerfahrt in Form von 10.000 Euro“. Voller Erzählfreude fährt die Französin fort: „Ich war eben erst dem Islam beigetreten, hatte sie noch kaum praktiziert und wenige Monate später durfte ich auf Kosten eines Prinzen nach Mekka fliegen. Das war unglaublich.“ Die Muslimin strahlt, als sie anfängt über ihre Reise nach Mekka zu erzählen. „Ich habe die Pilgerfahrt ohne praktisches Wissen über den Islam begonnen und bin als quasi fertig Ausgebildete nach Hause geflogen“, berichtet sie. Dank der Reise dürfe sie den Ehrentitel einer Hadschi tragen. 

Auf der Pilgerfahrt vereinigten sich Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen an einem Fleck und „sind sehr friedvoll und respektvoll zueinander“, was aber laut Viktoria Rinmah selbstverständlich sei, denn „man geht hin, um mitunter um Verzeihung für seine Sünden zu bitten. Das wäre ja paradox, würde man sich dann schlecht verhält.“ Sie erzählt, dass sie komplett abschalten konnte, als sie sich der Kaaba widmete. Auf einer Art und Weise, die nicht zu beschreiben sei, haben sich ihre Batterien ganz neu aufgeladen: „Dein ganzes Leben geht auf einmal im Einklang mit deinem Glauben zu Allah“, verrät die Hadschi strahlend.

Viktoria Rinmah begann bereits mit 18 Jahren sich mit dem Islam zu beschäftigen. Schnell habe sie gemerkt: „Hier fühle ich mich vollkommen und wohl“. Immer mehr dachte und fühlte sie sich in die Religion ein, bis sie 12 Jahre später auf einer Reise nach Marokko die Motivation so sehr packte, dass sie kurzerhand entschied: Sie wollte jetzt konvertieren. Gemeinsam mit dem Freund ihres damaligen auch muslimischen Ehemanns ging sie daraufhin in eine Moschee und führte die Schahāda durch, während zufällig genannter arabische Prinz dabeisaß.

Fünfmal am Tag auf dem Gebetsteppich

Bis heute sei es der Muslimin wichtig, die Liebe zu Gott täglich neu auszudrücken. Das tue sie nicht zuletzt mit dem Gebet. „Fünfmal am Tag führe ich auf einem Gebetsteppich in Richtung Mekka das Gebet aus, das nur wenige Minuten dauert“ beschreibt die Lehrerin. Privat ist die dreifache Mutter Lehrerin. In ihrem beruflichen und privaten Umfeld sei ihre Religion kaum ein Thema. Victoria Rinmah erzählt, dass sie lieber diskret mit dem Thema umgehe. „In meinem Bekanntenkreis wissen es nur die, die mich sehr gut kennen“, erzählt sie und setzt fort: „Das tue ich, um Vorurteile mir gegenüber möglichst zu verhindern.“

Außenstehende dächten, Musliminnen oder Muslime seien „dumm“, oder dass sie an „Fabeln“ festhielten. Aufgrund solcher Beobachtungen kostete es Viktoria Rinmah zwölf Jahre, den Schritt zur Konvertierung zu wagen: „Ich wollte erst mein Wissen über den Islam so festigen, dass ich für jede Frage gewappnet bin.“  Abgesehen von einigen Spannungen bei Familientreffen wurde die gebürtige Französin seit ihrer Konvertierung übrigens mit keinem Vorurteil konfrontiert. „Ich sehe ja nicht muslimisch aus“, sagt sie. Ihre damalige Nachbarin, die ein Kopftuch trägt, hat jedoch anderes in Spanien erlebt.

Gemälde von einer hockenden Frau in einem arabischen Raum.
Muslimin beim Gebet: Ein Gemälde von Osman Hamdi Bey, 1880. © Wikimedia Commons

Die Nachbarin fühle sich in diesem Land unwohl und wolle wieder zurück in ihre Heimat, nach Marokko, berichtet Viktoria Rinmah „Ich war einmal im Sommer mit ihr spazieren. Sie komplett bedeckt, ich im T-Shirt. Als ein Spanier uns entgegengekommen ist, sagte er zu mir, dass ich besser angezogen sei, weil es dadurch weniger heiß ist.“ Aber stecke in den islamischen Verhaltensregeln nicht auch Sexismus?, fragen wir.  „Ich sehe keine Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau“, kommentiert Viktoria Rinmah. „Wir sind eben biologisch unterschiedlich, weswegen die Rollen und Aufgaben, sowie Rechte und Regeln unterschiedlich aufgeteilt sind – dennoch haben wir gleich viele Rechte“, betont die Englischlehrerin.

Gesprochenes und gelebtes Gottvertrauen - Verständnis für Vorurteile

Von außen könne das sicher so aussehen, als würde die mit Kopftuch bedeckte Frau sich dem Mann unterwerfen. Aber in Wirklichkeit ginge es dabei um Respekt gegenüber der Frau. „Als Muslimin soll man sich bescheiden anziehen, sich nicht zur Schau stellen. Die Frau nicht anzusehen, wird im Islam als respektvolle Geste gegenüber der Frau angesehen“, erklärt Viktoria Rinmah, die selbst gern ihre blonden Locken offen trägt. Gibt es bei ihr also keine äußerlichen Anzeichen der Religiosität? Nicht in Form eines Tuches aus Stoff vielleicht. Aber durchaus in Form einer besonderen Positivität.

Ganz typisch für sie, das bestätigt uns ihr näheres Umfeld, sei das „In schā‘ Allāh“ („So Gott will“). Das gesprochene und fröhlich ausgelebte Gottvertrauen, das der Mutter durch schwierige Situationen verhalf, wie die Scheidung. Nein, ein rigides, verängstigtes Wesen der Religion bekommen wir in der Muslimin mit dem ansteckenden Lachen nicht zu sehen. Aber einige Dinge im Islam - das glaubt auch Viktoria Rinmah - müsse man trotz aller Werte der Religion reformieren. Wie die Regel, dass ein muslimischer Mann eine Ehe mit einer nicht muslimischen Frau eingehen, andersrum jedoch nicht.

„Für mich ist es schwer einen muslimischen Mann kennenzulernen, denn hier sind gefühlt 99 Prozent der Männer keine Moslems“, sagt die Wahlspanierin. Wegen der islamistischen Lage in einigen Ländern der Welt - und auch wegen der terroristischen Vorfälle der jüngeren Vergangenheit - könne Viktoria Rinmah Vorurteile gegen den Islam verstehen. Doch genau deswegen wünsche sie sich für die Gesellschaft: „Es sollten mehr Muslime und Musliminnen in der Politik und in den Medien vertreten sein, um den Islam positiver zu repräsentieren und zu zeigen, dass es genug friedvolle und intelligente muslimische Menschen gibt.“  

Eine Zahl zum Ende unserer Reportage: Von 100 Frauen, die in Spanien leben, sind vier muslimisch. Man trifft sie aber eben nicht alle nur auf der Promenade. Sie können eine Leiterin einer Tafel für Hungrige sein. Eine kecke Aktivistin. Eine geschiedene Lehrerin. Sie können ein Kopftuch aus sichtbarem Stoff tragen. Oder auch eines aus fröhlichem Gottvertrauen. Viele weibliche Glaubenswege kennt der Islam. Das lehren uns bereits drei besondere Frauen, die unter Spaniens Sonne ohne Schinken und Sangría auskommen.

Eine dunkelhaarige Frau lächelt freundlich.
Autorin Luna Hakim: „Seelenfrieden und Bösartigkeit, die unterschiedlicher eigentlich nicht sein könnten, vereinen sich leider auch in der Religion.“ © Luna Hakim

Kommentar von Luna Hakim: Aufklärung auf beiden Seiten

Aufgewachsen in einer muslimischen Familie, bin ich täglich umgeben von Menschen, die durch ihre Verbundenheit zu Gott ihren Seelenfrieden fanden – mein Vater allen voran. Ich erlebe, wie der Islam ihn anspornt, ein guter Mensch zu sein. Er zollt jedem Lebewesen gleichviel Respekt und spendet Geld an bedürftige Menschen. Ich sehe, dass sein Glaube an Gott ihm die Ruhe und gleichzeitig auch Energie gibt, die ihn jede Hürde des Lebens mit tiefer Gelassenheit meistern lässt. Setzt man Religion richtig ein, resultiert daraus eine extreme Bereicherung, die die spirituelle Leere füllt. Eine Tiefe, wie sie der Koran oder die Bibel bietet, erreicht kaum ein Buch, das vom Sinn des Lebens erzählt. Doch Seelenfrieden und Bösartigkeit, die unterschiedlicher eigentlich nicht sein könnten, vereinen sich leider auch in der Religion. Krieg, Hass, Ausgrenzung sind die Folge, wenn Menschen den Glauben als Instrument missbrauchen. Viel Leid und Schaden kann Religion herbeiführen. Selbst in Familien, als Ausrede für überaus strenge Erziehung und eine starre Hierarchie, wo der Vater seine Tochter zum Kopftuchtragen zwingt und der Bruder sie von der Schule bis nach Hause verfolgt, um sicherzustellen, dass sie nicht mit einem Jungen ein paar Worte austauscht. Aufklärung sollte nicht nur unter Außenstehenden, sondern auch unter Anhängern der Religion vonstatten gehen.

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