Ort an Costa Blanca in „Ukraine“ umbenannt: Drei Jahre im spanischen Bürgerkrieg
Einen kuriosen neuen Namen erhielt 1936 die Gemeinde San Fulgencio. Die treibende Kraft war jedoch keine Solidarität mit dem ukrainischen Volk. Auch blau-gelbe Flaggen suchte man vergebens.
San Fulgencio – Eine kleine Ukraine ist die Costa Blanca in diesen Tagen zumindest im Herzen: So gut wie alle Gemeinden hissen die blau-gelbe Flagge, spenden für Betroffene des Krieges, oder beteiligen sich an der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge. Einen großen Lkw voller gespendeter Hilfsgüter sandte auch der kleine Ort San Fulgencio in die Aufnahmestation nach Alicante. Eine „Ukraine am Fluss Segura“, das war San Fulgencio aber einmal wirklich. 1936, als der Bürgerkrieg in Spanien ausbrach, wurde die Gemeinde umbenannt. Ucrania del Segura lautete sein Name bis 1939, als der faschistische Diktator Franco die Macht an sich riss. Nun, angesichts des Krieges in der Ukraine, erinnerte sich San Fulgencio an sein „ukrainisches“ Kapitel.
San Fulgencio | Gemeinde in Spanien |
Bevölkerung: | 7.943 (2018) |
Provinz: | Provinz Alicante |
Ort an Costa Blanca in „Ukraine“ umbenannt: Im Krieg für drei Jahre
Allerdings hat die Zeit als „kleine Ukraine“ im Ort, der heute als Siedlung vieler internationaler Bewohner bekannt ist, wenige Spuren hinterlassen. Weder im Stadtarchiv, noch unter älteren Bewohnern fand das Rathaus bei einer kürzlichen Recherche Erinnerungsstücke an die Stadt unter dem Namen Ucrania del Segura. Nur ein mögliches Ortswappen jener Tage wurde entdeckt: Ein rot-weißer Schild mit Hammer und Sichel vor einer aufgehenden Sonne, umarmt von goldenen Weizenähren, gekrönt mit einem roten Stern. Ganz kommunistisch, ganz sowjetisch.
Ob dieses Wappen in dem umbenannten Ort in besagten 30ern wirklich im Einsatz war, ist zwar nicht bewiesen. Doch passt es in die Zeit der verheerenden Radikalisierung des damaligen Spaniens. Während die eine Seite den Faschismus umarmte und mit den Diktatoren Hitler und Mussolini - etwa bei der Bombardierung von Alicante - offen paktierte, schlug auf der anderen Seite der stalinistische Kommunismus erschreckende Wurzeln. Auch an der Costa Blanca. Auch im kleinen San Fulgencio.
Denn was mit Sicherheit gesagt werden kann: Die Umbenennung des Ortes war 1936 keine Würdigung der Ukraine als Nation. Blau-gelbe ukrainische Flaggen, aus Solidarität mit dem ukrainischen Volk, wird es an der Costa Blanca in den Jahren des spanischen Bürgerkrieges keine gegeben haben. Die 30er Jahre waren jedoch für die Ukraine das Jahrzehnt einer äußerst blutigen Unterdrückung. 1922 war das Land, das erst 1918 die Unabhängigkeit erkämpft hatte, in den Schoß der Sowjetunion gezwängt worden.
Kornkammer mit Hungersnot: Aus Heiligem mach Sowjetisch
Ging Wladmimir Lenin noch vergleichsweise gnädig mit dem ukrainischen Erbe um, vollzog Nachfolger Josef Stalin eine grausame Wende. Verboten wurden der Ukraine die Sprache, Nationalsymbole, Kulturgüter. Wer nicht gehorchte, wurde in Gulags, die russischen Konzentrationslager, deportiert. Die durch Moskaus Planwirtschaft gezielt herbeigeführte Hungersnot („Holodomor“) kostete mindestens drei Millionen Ukrainer das Leben. Für die Sowjetunion dagegen war die so fruchtbare Ukraine eine Trophäe, das Eldorado des goldenen Getreides.
Hatte vielleicht der sehr bäuerliche Charakter von San Fulgencio damit zu tun, dass diese Kornkammer am Fluss Segura zu Spaniens kleiner „Ukraine“ wurde? Wer weiß. Für seinen besonders fruchtbaren Boden ist der Ort im Süden der Costa Blanca bekannt: Auf einem getrockneten Sumpfgebiet ließ Luis Antonio Belluga, ein Politiker und katholischer Kardinal, im 18. Jahrhundert die Gemeinde gründen. Als Name wählte man den eines geschätzten Heiligen des 6. Jahrhunderts aus der Hafenstadt Cartagena: Fulgentius.
Mit der Umbenennung 1936 wollte man sicher nicht zuletzt dieses religiöse Erbe beseitigen: Aus dem Namen des San Fulgencio wurde eine Widmung für die in linken Kreisen fast religiös verehrte Sowjetunion.

Auf blutrotem Faden
Roter Stern, Hammer und Sichel – diese Insignien vieler Republikaner in Spanien waren dieselben, die zugleich 3.000 Kilometer entfernt, mitsamt blutiger „Säuberungen“, der Ukraine aufgezwungen wurden. Solidarität mit dem unterdrückten Land oder eine allgemeine Verurteilung Stalins blieb in Spanien jener Tage aus. Vielmehr äußerten spanische Politiker bis in die Regierungsspitze Verbundenheit mit dem Diktator, der nicht nur Abermillionen Menschen auf dem Gewissen hatte. Sondern der nie anerkannte, dass ein Land wie die Ukraine eine eigene Identität und freie Daseinsberechtigung hat. Ein roter Faden, auch mitten durch San Fulgencio, führt von jenem Denken bis zum heutigen russischen Kriegstreiber.
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