„Und ich habe es vor 35 Jahren von Emeterio gelernt“, sagt Maruja Sabuco, die mit der gemeinsamen Tochter Rosa María Vicente am Schulmuseum Pusol eine AG im Palmenflechten betreut. „Allein der Prozess zur Gewinnung der Blätter dauert neun Monate“, erklärt Sabuco. „Im Sommer schnüren wir zunächst die Palmkronen zusammen.“ Frei bleibt nur die oberste Spitze. Dieser im Valenciano nyugat genannte Vorgang sorgt dafür, dass die älteren Zweige die neu wachsenden zudecken und vom Licht abschneiden.„So findet keine Photosynthese statt.“ Die Zweige bleiben weiß.
Nach drei Monaten klettern die Palmengärtner der Costa Blanca wieder in schwindelerregende Höhen und führen den encapuchado durch. „Eine Kappe kommt auf die Spitze der Palme.“ Der aus Palmenblättern oder Plastik bestehende vellet ähnelt einer umgedrehten Tüte. So verpackt warten die Palmen sechs Monate auf den nächsten Besuch der Kletterer. Der Schnitt steht dann an. Einmal auf dem Boden angelangt, werden die Blätter sauber gebürstet. „Wir befreien sie von einer tabakähnlichen Farbe“, erklärt Sabuco. Dann werden die Blätter ihrer Größe nach geordnet.
Die Kategorie especial kann drei Meter überschreiten und ist für wichtige Persönlichkeiten oder ältere Familienmitglieder reserviert. Die cadetes, ab einem Meter Größe, tragen bei der Prozession Kinder , den cogollo oder die punta von einigen Zentimetern hingegen Kleinkinder. Bis zu acht Palma-Blanca-Klassen zählen die Hersteller der der weißen Palmen. Qualitativ schlechtere Blätter wie die faixa nutzen sie zur Herstellung von Hüten und Körben, oder binden damit die Palmen für das nächste Jahr ab.
„Die Blätter, die wir für gut befinden, legen wir für 24 Stunden in Chlorwasser“, erklärt Maruja Sabuco. Nach diesem Bad kommen sie in eine luftdichte und feuchte Dunkelkammer, in der sie Gasen aus verbranntem Schwefel ausgesetzt werden. „Ein höchst gefährlicher Vorgang“, warnt die Spanierin. „Doch die Palmen festigen dadurch ihre Farbe und gewinnen an Stärke.“ Die Blätter sind bereit für den Höhepunkt der Palmenkunst: den trenzado, das Flechten. Traditionell ist es eine Kunst, die meistens von Frauenhänden ausgeübt wird. Es sind auch Lehrerinnen, die die Arbeitsgruppe am Schulmuseum Pusol leiten.
„Schon im Kindergarten geben wir den Schülern eine Einführung in die Palma Blanca“, erklärt Grundschullehrerin María José Marroquí. „Unser Ziel ist es, diese einmalige Tradition nicht zu verlieren.“ Zu Beginn des Unterrichts verteilt sie kleine weiße Blätter von Palmen auf den drei Tischen, an denen mehrere acht- bis elfjährige Kinder sitzen. „Und jetzt so, wie wir es gelernt haben“, sagt sie und hält das Palmenblatt hoch. Mit dem Fingernagel schneidet sie es an und teilt es in zwei Hälften, ohne sie komplett zu trennen. Die zwei entstandenen Flügel klemmt sie mal nach links, mal nach rechts, bastelt so eine gezackte Kette.
„Das ist nicht fair“, sagt ein Junge, dem die Arbeit schwer fällt. „Die Mädchen haben lange Fingernägel, wir Jungen nicht.“ Gusano, also Wurm, lautet der Name der eingeübten Figur. „Ein Standard-Element der weißen Palme“, erklärt Marroquí. „Wir nennen sie so, weil sie mit zwei Spitzen ausklingt, die wie Fühler eines Insekts aussehen.“ Unterdessen betreuen Maruja Sabuco und Rosa María Vicente die Schüler und basteln dabei in Minutenschnelle kleine Palmen-Türmchen. Das Ergebnis jahrelanger Übung. „Bei uns wurde daheim immer nebenbei eine Palme geflochten“, so Rosa María Vicente.
„Allein der Prozess zur Gewinnung der Blätter dauert neun Monate.“
Eine weitere Familie, die seit vielen Jahrzehnten eine über die Stadtgrenzen hinausreichende Referenz für Palmenkunst ist, heißt Serrano Valero. In einer unscheinbaren Garagenwerkstatt an der Plaza Jaime in der Palmenstadt entstehen jedes Jahr die berühmtesten Kunststücke des Metiers. Die Königin und der Papst zählen zu den Stammkunden des Betriebs.
Beim Besuch von costanachrichten.com ist in der Werkstatt von Serrano Valero gerade ein ausgefeiltes Werk in Arbeit. Entlang der meterhohen weißen Palme winden sich Schnörkel und Ketten und umspannen mehrere, mit Schläufchen versehene Stockwerke. Unterhalb der Spitze eine von Engeln umringte Jungfrau Maria. „Fast alles aus einem Stück gemacht“, schwärmt Vorarbeiterin Paqui Serrano, die sich nur einen Tipp entlocken lässt, wer denn der Kunde sein könnte. „Eine bekannte Person aus Spanien“. Mehrere Wochen habe die Herstellung gedauert, auf rund 1.000 Euro beliefe sich der Preis des Exemplars.
Den Großteil seiner weißen Palmen verkauft Serrano Valero im für den normalen Geldbeutel erschwinglichen Preissegment. „Von den geflochtenen Palmen verkaufen wir zum Palmsonntag zwischen 4.000 und 5.000 Stück. Wie viele der Glatten es sind, kann ich gar nicht sagen“, sagt Paqui Serrano. Die Familie verkaufe nicht nur innerhalb Spaniens, sondern viel nach Italien, und auch aus Deutschland gebe es Anfragen. Der in den Tagen vor der Karwoche - Semana Santa - fast durchgängig geöffnete Laden in der Werkstatt verkauft außer weißen Palmen auch Datteln und Flechtprodukte wie Körbe.
Trotz ihrer hohen Anforderungen sind die mit der Palmenkunst verwandten Berufe, die des palmerers oder der trenzadora, keine anerkannten Berufe an der Costa Blanca oder in Spanien. In einem Atelier im Huerto San Plácido, wo auch das Palmenhain-Museum beheimatet ist, bietet die Palmenstadt Elche aber immerhin Kurse zum Palmenflechten an. Die Regel ist es dennoch, die Kunstform zu Hause von den Älteren zu lernen. „Mir hat es meine Tante beigebracht“, erklärt Paqui Serrano. „Als Kind begann ich, ein wenig mitzuhelfen. Für mich war es ein Spiel.“
„Auch heute noch gibt es in Elche Familien, die das ganze Jahr von der Palme leben“, sagt Lehrerin María José Marroquí aus der Palmenstadt. „Dann aber immer sowohl von den Datteln, von der Dekoration und auch der Palma Blanca – nicht aber nur von einem dieser Dinge.“ Heutige Hersteller der weißen Palmen gehen meist einem Hauptberuf nach und müssen diesen in den Wochen vor Palmsonntag mit der Fabrikation der weißen Palmen in Einklang bringen. „Am Tag bleibt uns manchmal gerade Zeit, einen Happen zu essen“, so Serrano.
Rosa María Vicente opfert ihre Freizeit gern für die Palma Blanca. Als hauptsächlich ausgeübte Arbeit eigne sich die Tätigkeit des Herstellens der weißen Palmen für sie jedoch nicht. „Schon das Hochklettern auf die Palme ist mir zu gefährlich“, bedauert die Expertin von der Costa Blanca. Erkrankte Pflanzen knickten manchmal unerwartet um, wenn ein palmerer an der Krone zugange sei.
Dass die einmalige Tradition einen Einbruch erleiden könnte, das befürchteten viele in der Palmenstadt schon seit Jahren. Zwar fanden die weißen Palmen in Zeiten vor der Corona-Pandemie jedes Jahr aufs Neue reißenden Absatz. Aber für Nachwuchs in der Palmengärtnerei und im damit verwandten Kunstgewerbe sorgten eben nur private Kreise oder eine außergewöhnliche Schule der Costa Blanca wie das Museo Pusol.
Kurz bevor wir uns dort verabschieden, treffen wir noch die vierjährige Rocío, die Tochter der Palmenflecht-Lehrerin Rosa María Vicente . „Rocío komm mal her, wie nennt man das hier?“, fragt die Mutter, und deutet an einer weißen Palme auf das zuvor in der Klasse gebastelte kleine Kunstwerk. Keine Sekunde vergeht, und schon hat die kleine Schülerin korrekt geantwortet: „Gusano“.
Die weißen Palmen aus Elche werden an den Tagen vor Palmsonntag auf Straßenmärkten der Palmenstadt, aber auch in Alicante oder in Orihuela verkauft. Rund ums Jahr werden kleinere Modelle der Palmas Blancas in Elche im Souvenirladen El Cor d´Elx verkauft, in der Nähe des Palmenmuseums (Museo del Palmeral), in das unsere Route durch die Palmenoase Elche führt. Auch über die kulturellen und geschichtlichen Hintergründe des Palmen-Weltkulturerbes der Costa Blanca lesen Sie auf unseren Seiten.