Auch in dem wesentlich kleineren Küstenort Dénia an der Costa Blanca hat das Leben im casco antiguo Ecken und Kanten. Das weiß Daniela Gerlach nur zu gut. 2016 zog die Deutsche aus dem Hinterlandort Benidoleig in die Kreisstadt der Marina Alta, und öffnete „ganz bewusst“ in der Alt- und nicht in der Neustadt den Kultursalon La Ñ. Sie habe als Kulturschaffende etwas in Dénia bewegen wollen, aber es habe sie auch der Faktor des Älterwerdens dazu bewogen, ins Stadtzentrum zu ziehen.
„Ich wohne gerne in der Altstadt, weil ich Leben um mich herum brauche, und es ist ein großer Vorteil, es nicht weit in die Markthalle und auf den Markt zu haben, wo man täglich frisch einkaufen kann“, sagt sie. In den ersten Jahren habe es sich allerdings noch um einiges besser in der Altstadt gelebt. Der Tourismus habe in Dénia in den letzten Jahren stark zugenommen. „Die Altstadt kollabiert im Sommer unter den Massen an Touristen“, sagt Gerlach. Ruhe habe man selten, in den Lokalen der nahe gelegenen Calle Loreto sei immer viel los. „Nachts schallen die Gespräche in den engen Gassen doppelt und dreifach. Im Sommer gibt es viele Nächte, in denen ich wegen des Lärms nur fünf, sechs Stunden Schlaf finde.“
Ein Ärgernis, denn gerade in dieser Zeit stehe sie besonders früh auf, weil die Morgenstunden aus beruflicher Sicht ganz wichtig für sie seien. „Das ist erst in den vergangenen Jahren so extrem geworden“, meint die Altstadtbewohnerin und betont: „Ich habe weder etwas gegen Touristen, noch gegen die Veranstaltung von Fiestas. Aber ich meine, es müsste sich ein Maß finden lassen, um das Leben der Bewohner erträglicher zu machen.“ In Dénia konzentriere sich alles auf den Tourismus.
Aufgefallen ist der Deutschen folgendes: „Die Häuser, die in letzter Zeit in der Altstadt renoviert werden, sind als Apartments konzipiert.“ Es sehe ganz danach aus, dass sie für touristische Vermietung vorgesehen seien. „Hoffentlich verwandelt sich unsere Altstadt nicht in eine Airbnb-Wüste“, sagt Daniela Gerlach.
Mit ihrer Befürchtung könnte sie richtig liegen. Das Phänomen hat sich in den vergangenen Jahren in einigen historischen Altstadtteilen bedeutender spanischer Großstädte bemerkbar gemacht. Zum Beispiel in Córdobas Altstadtviertel, wo sich Bewohner zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Entwicklung zu stoppen. Es wurden Projekte angeschoben, die zum Ziel haben, Langzeitmieter für die Altstadt zu gewinnen.
Von lärmenden Touristen bleibt Dénias Altstadtbezirk Les Roques unterhalb der Burg bislang noch weitgehend verschont. Der Lärm der Calle Loreto mit ihren unzähligen Lokalen ist in diesem Teil der Altstadt kaum zu hören. Hier treffen wir Almudena García, die mit 35 Jahren zu den jüngeren Bewohnerinnen des Viertels zählt. Schon ihre Kindheit hat die Therapeutin für Hypnose und Rückführung mit ihren Eltern im Carrer Sant Francesc verbracht. Ihr Studium verschlug sie ins Ausland, doch nach längeren Aufenthalten in London, Kairo, Berlin und Kolumbien zog die 35-Jährige in das leerstehende Elternhaus ein.
García wohnt gerne in Les Roques, auch wenn sie sagt: „Die Privatsphäre ist hier gleich null, man steht ziemlich unter Beobachtung der Nachbarn. Sie wissen, wann du das Haus verlässt, und sie bekommen mit, wann und mit wem du nach Hause kommst.“ Aber sie sehe auch viele Vorteile in dem relativ engen Zusammenleben: „Es ist mir schon passiert, dass ich aus Versehen den Haustürschlüssel von außen steckengelassen habe und dass dies von einer aufmerksamen Nachbarin bemerkt wurde.“ Häuser in Dénias Burgviertel sind Ausländer lassen sich hier nieder
Im Sommer sei ihre Tür immer offen, wenn sie im Haus sei. „Es kommt dann auch schon mal vor, dass Touristen stehenbleiben und versuchen, einen Blick in meine Wohnung zu erhaschen“, erzählt die alleinstehende Frau. Aber sie habe nichts zu verbergen. Besonders gefällt der Spanierin, dass sie auf kein Auto angewiesen ist. „Ich bin in fünf Minuten in der Markthalle und im Zentrum, erledige fast alles zu Fuß“, schwärmt sie. „Und für weitere Strecken habe ich ein Fahrrad.“ Sie hätte sich auf jeden Fall auch in der Altstadt niedergelassen, wenn ihr das Haus ihrer Eltern nicht zur Verfügung gestanden hätte. „Hier gibt es kaum Verkehr und keinen Stress“, lobt die Spanierin ihr Umfeld. „Das bedeutet für mich Lebensqualität.“ Ihre Nachbarn halte sie auf Distanz. „Ich bin hilfsbereit und da, wenn man mich braucht, aber ich übertreibe es nicht mit der nachbarschaftlichen Nähe.“
Das Altstadtviertel Les Roques sei sehr gefragt, weiß die Therapeutin, die den oberen Teil des dreistöckigen Altstadthauses bei Airbnb zur Vermietung anbietet. „Hier steht kein Haus zum Verkauf, und man findet auch kaum etwas zur Dauermiete.“ Viele Häuser seien in den vergangenen Jahren von Ausländern gekauft worden, die diese selbst als Feriendomizil nutzten. Zu Zeiten, als die Häuser in dem Viertel noch in spanischer Hand gewesen seien, habe das anders ausgesehen. „Früher vermieteten viele Eigentümer ihre Altstadthäuser, wenn sie von hier wegzogen. Die ausländischen Eigentümer halten das anders.“
Dass sich in Les Roques ein Wandel vollzogen hat, bestätigt auch Santiago Inocencio. Der Spanier, der vor 30 Jahren aus Madrid nach Dénia kam, ließ sich kurz vor seiner Familiengründung vor 15 Jahren hier mit seiner Lebenspartnerin nieder. Inzwischen sind seine Kinder elf und 14 Jahre alt, haben also ihre bisherige Kindheit in dem alten Viertel verbracht. „Ich habe sie mal gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, dass wir von hier wegziehen“, erzählt Inocencio. „Das fanden beide nicht gut.“
Wir begleiten den Altstadtbewohner in die Markthalle. An jedem Stand wird Santi, wie ihn alle nennen, mit großem Hallo begrüßt. „Ich kaufe hier jeden Morgen ein und trinke einen Kaffee“, erzählt er. Dabei strahlen seine Augen vor Freude. Und schon hört man ihn sagen: „Wenn ich mein Lebensumfeld mit dem in Madrid vergleiche, kann ich nur sagen: Das hier ist wahrer Luxus.“
Seit er in Dénia lebt, hat der gebürtige Madrilene stets in einem der Altstadtviertel gelebt. „Mich bringt hier nichts mehr weg“, sagt er. „Auch wenn es mitunter nervt, wenn man eine halbe Stunde nach einem Parkplatz sucht.“ Das sei eines der Probleme, mit denen Altstadtbewohner konfrontiert seien. „Da nützt auch die Genehmigung der Stadt wenig, die uns Anwohnern gegen eine Gebühr erlaubt, in bestimmten Straßen unseres Viertels zu parken“, erzählt er. Oft würden auf diesen entsprechend markierten Parkplätzen unerlaubt aber geduldet Touristen parken. Eine Crux seien auch die ortsunkundigen Leute, die mit ihren Fahrzeugen etwa durch seine verkehrsberuhigte Straße donnern. „Dabei kann man ihnen gar keinen Vorwurf machen“, meint er. „Autofahrer, die in ihr GPS die Burg Dénia eingeben, werden automatisch durch unsere Straße geleitet. Mit dem Ergebnis, dass sie am Eingang der Burg feststellen, dass es weder Parkplätze noch einen Wendehammer gibt.“
Solche Probleme habe man in dem Stadtteil früher nicht gekannt, erzählt Petra González. Mit 82 Jahren ist sie eine der ältesten Bewohnerinnen von Les Roques. Seit 58 Jahren lebt die aus Ciudad Real stammende Spanierin schon in dem Altstadtviertel und ist so was wie die gute Seele der Straße. „Meine älteste Tochter war erst ein paar Monate alt, als mein Mann und ich nach Dénia kamen“, erzählt die Seniorin, die vor Agilität nur so sprüht. Die Frage, ob sie denn keine Schwierigkeiten mit den steil ansteigenden Gassen habe, wischt sie weg. „Ach was, kein bisschen“, meint González und lacht. „Nach so vielen Jahren hat man sich daran gewöhnt.“ Auch daran, dass Passanten neugierig stehenbleiben, wenn sie die Seniorin beim Klöppeln vor dem Haus sitzen sehen. „Früher haben hier immer viele Frauen vor ihren Häusern gesessen und gingen einer Handarbeit nach oder hielten ein Schwätzchen“, erzählt sie.
Ein wenig Wehmut schwingt in der Stimme mit, als sie sagt: „Da hat sich leider viel verändert. Die ausländischen Bewohner hier kennen das nicht, und die jungen Spanierinnen haben keine Zeit. Das Leben heute hat einen anderen Rhythmus als vor 50 Jahren.“