Die Gründer waren ausgerechnet ein baskischer und ein katalanischer Geschäftsmann: Ybarra und Bonaplata. Sie beantragten damals beim Stadtrat, eine Viehmesse abzuhalten, der genehmigte das auf dem Prado de San Sebastián, damals offenes Feld hinter der alten Tabakfabrik (heute Uni), neben der späteren Plaza de España, die 1929 zur Ibero-Amerikanischen Ausstellung gebaut wurde. Was die Gründer 1846 nicht auf der Rechnung hatten, war die Feierfreude der Andalusier, die die Viehmesse umstandlos kaperten und in eine vorgezogene Sommerfrische mit angeschlossenem Volksfest umwandelten. Und so klagten die beiden Unternehmer schon nach der Premiere 1846, dass „wir hier viel mehr Polizei brauchen, die Sevillaner mit ihrem Singsang und ihren Tänzen machen den Abschluss von Verträgen fast unmöglich“.
Daran sollte sich wenig ändern, im Gegenteil, das Volksfest verdrängte mit der Zeit die Viehmesse. Für Sevillaner und Leute aus dem Umland wurde die Feria ein Höhepunkt im Jahreskalender und ein touristisches Event, das rund 800 Millionen Euro Umsatz in die Stadt bringt - in nur einer Woche. Bald machten sich neben den Zelten und Viehherden auch Karrussells und mit ihnen allerhand fahrendes Volk breit, die Feria wurde eine Stadt in der Stadt mit heute über 1.000 casetas und eigenen Straßenplänen. Der Bereich des Rummels heißt Calle del Infierno, Höllenstraße. 1973 geschah der entscheidende Umzug ins Barrio Los Remedios, dem Südende des legendären Bezirks Triana auf der rechten Seite des Guadalquivir. Das Festgelände, das sich vom Zentrum über die Brücken Puente de Remedios und Puente de Delicias gut erreichen lässt, ist mittlerweile 45 Hektar groß, 1.100 Buden wurden für die Feria 2023 genehmigt. Gefeiert wird aber praktisch in der ganzen Stadt.
Die Feria ist aber nicht nur eine Zusammenstellung aller nur denkbaren Sevilla-Klischees, sondern auch ein lebendiges Modell der andalusischen Gesellschaft – und die ist nach wie vor streng ständisch organisiert. So sind die meisten privaten casetas für Normalsterbliche unzugänglich, sie gehören den „alten“ Familien, den Viehzucht- und Sherry-Dynastien, Landbesitzern mit Vorfahren bis zu den Westgoten, aber auch neureichen Sunny-Boys, deren größte Lebensleistung das Erben war. Wer niemanden kennt, kommt in diese kaum hinein, es sei denn, er fragt und hat Glück oder die Feiernden sind schon so betrunken, dass es ihnen egal ist. Daneben gibt es etliche öffentliche casetas, von Vereinen, bis Parteien, Gewerkschaften, Gastrobetrieben. Die gestreiften Zeltbahnen, mal mehr, mal weniger geschmückt mit Blümchen, Tuchbahnen, Fähnchen, Fässern, Stierköpfen und folkloristischem Firlefanz sind sozusagen die Basislager der Ferianten: Hier stärkt man sich für lange Nächte, hier reitet man auf, hier wird geflirtet, bis die Zeltwände wackeln. Vom Tiermarkt zum Basar der Eitelkeiten.
Gegessen wird traditionell viel pescaíto, Teller mit Bergen von frittiertem Fisch, aber auch Löffelgerichte wie Kichererbsen mit Spinat oder Kabeljau, neben den Klassikern aus dem Meer und den feinsten Ibérico-Schinken. Als Katerfrühstück gibt es natürlich auch in Sevilla die churros mit Schokolade, die hier „calentitos“ heißen oder den berühmten montadito de pringá, eine Art Wurst, ursprünglich aus dem Bodensatz der Eintöpfe gemacht. Getrunken wird natürlich auch viel, Bier, Wein, Cava. Doch vor allem Manzanilla oder Fino. Beides sind trockene Sherrys, in Mode gekommen ist in den letzten Jahren der Rebujito, weil der nicht so reinhaut und süß schmeckt. Es bleibt beim Sherry, doch wird der mit viel Eis und Zitronenlimonade zum Longdrink.
Es dauert nicht lange, dann wird gesungen und getanzt, Sevillanas natürlich. Dieser 6/8-taktige „andalusische Walzer“ ist längst spanisches Gesamterbe. Zur „Tradition“ gehören auch über ein Dutzend Stierkämpfe und Legionen ausgebeuteter Kellner und Tellerwäscher, für die Arbeitsrecht und Überstundenregelungen nicht zu gelten scheinen. Das Frittierfett des „pescaíto“ ist so nicht das einzige, was im sonst so bunt-fröhlichen Fiesta-Trubel ein wenig ranzig duftet.
Feria de Sevilla 2023 vom 23. bis 29. April 2023:
Stierkämpfe in der Real Maestranza am 9. und 16. April sowie täglich vom 19. April bis 1. Mai. Feria-Gelände sowie Feria-Barrios: Altstadt, Bellavista, Macarena, Los Remedios, San Pablo und Cerro-Amate sind ab 23. April täglich ab 13.30 Uhr geöffnet, Tanz und Musik ab 21 Uhr mit offenem Ende. Samstag, 22. April, abends traditionelles Pescaíto-Fest mit frittiertem Fisch. Für Tagesausflüge ins überbelegte und überteuerte Sevilla bieten sich Bahn und Busse aus kleinen Orten in der Umgebung an, die Öffis fahren die gesamte Nacht hindurch. Details und Lagepläne für das Feria-Gelände und die casetas und Programme..
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